Der Mut zum Recht

Am Dienstag wurde in Berlin  der Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes an die iranische Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh verliehen. Sie befindet sich seit 28 Tagen im Teheraner Evin-Gefängnis im Hungerstreik.

Die iranische Frauenrechtlerin Mansoureh Shojaee nahm die Auszeichnung stellvertretend entgegen. Nach der Preisverleihung haben Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender Shojaee eingeladen und mit ihr über Nasrin Sotoudeh gesprochen. 

Die Laudatio hielt Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen .

Iran Journal veröffentlicht den Wortlaut der Laudatio:

„Im Herbst 2008 traf ich in der Wohnung eines Freundes in Teheran zu später Stunde zwei  Anwältinnen. Sie hatten ein gemeinsames Thema, an dem sie mit großem Engagement arbeiteten. Dieses Thema, das uns den gesamten Abend beschäftigte, war die Hinrichtung von Minderjährigen oder von Menschen, die zur vermeintlichen Tatzeit minderjährig waren.

Das war ein schwieriges Thema, meine Gesprächspartnerinnen waren mit vielen Fällen betraut, sie sprachen davon kenntnisreich und leidenschaftlich. Das Thema war bleischwer und kaum zu verdauen. Ich bewunderte sie, nicht nur, weil sie sich um diese geschundenen Kinder kümmerten, sondern auch weil sie nicht über diese große Ungerechtigkeit klagten, sondern stark rechtlich argumentierten. Ich kam nicht mit allen Windungen des iranischen Strafgesetzbuchs zurecht. Ihre klare Botschaft aber kam unmissverständlich an: Sie kämpften nicht gegen ein Gefühl von Ungerechtigkeit, sondern gegen Unrecht. Sie kämpften dagegen, dass Minderjährige gegen das iranische Recht hingerichtet wurden, aber selbstverständlich auch gegen das internationale Recht, gegen die vom Iran ratifizierte Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Am Ende eines langen, lehrreichen und auslaugenden Gespräches fragte ich sie, ob sie denn selbst aufgrund ihrer Arbeit Repressionen ausgesetzt seien oder gar schon einmal verhaftet worden sind. Eine von ihnen schaute herzlich lachend und verspielt auf ihre Uhr und fragte: „Wann denn das letzte Mal?“

Das ist der Ton des über den Dingen stehenden Spotts, den ich schon oft an vielen Orten von Menschen gehört habe, die es leider gewohnt sind, Unrecht ausgesetzt zu sein.

Die andere der beiden schaute mich allerdings aufgeschreckt an und sagte etwas, das ich nicht erwartet hatte. Sie sagte: „Nein, ich tue nichts Unrechtes. Ich handle ausschließlich im Rahmen des Rechts, auch wenn es oft nicht reicht in diesem Land. Außerdem habe ich zwei kleine Kinder. Denen bin ich verpflichtet.“

Ein Jahr später gingen Millionen Iranerinnen und Iraner auf die Straßen, um gegen die vielleicht plumpeste Wahlfälschung der Geschichte ihres Landes zu protestieren. Viele von ihnen verschwanden in Geheimgefängnissen, andere wurden niedergeschlagen, verhaftet, gefoltert, vergewaltigt, getötet, vertrieben. Eine der beiden Anwältinnen musste nach Europa fliehen, die Vorsichtige vertrat eine Vielzahl von Demonstrierenden der Proteste von 2009 vor Gericht. Am 4. September 2010 wurde sie selbst, wurde Nasrin Sotoudeh, die wir heute ehren, verhaftet, der Vorwurf der „Verbreitung von Propaganda und der Verschwörung zum Schaden der Staatssicherheit“ bescherte ihr eine dreijährige Haft. Während dieser Zeit trat sie regelmäßig in Hungerstreit -zusammengenommen fünf  Monate lang – um gegen die Haftbedingungen von allen politischen  efangenen zu protestieren.

Nasrin Sotoudeh, wegen ihrer Menschenrechtsaktivitäten zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt!
Nasrin Sotoudeh, wegen ihrer Menschenrechtsaktivitäten zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt!

Auf ihre perverse Art wissen Diktaturen sehr wohl, dass sie Unrecht tun, wenn sie Dissidenten einsperren. Sie verraten dies durch die Absurdität der Anschuldigungen, die sie gegen ihre Kritiker erheben, als wollten sie die wahre Absicht ihrer Verfolgung verschleiern. Das Ergebnis ist natürlich das Gegenteil – die zum Schweigen gebrachte Dissidentin entpuppt sich als Recht schaffende Anklägerin, der Tyrann als Verbrecher.

Nasrin Sotoudeh kam verwandelt aus dem Gefängnis zurück, sie hatte ihre Angst in der Zelle zurückgelassen. Ihre Verwandlung beschrieb sie selbst in einem Brief an ihren kleinen Sohn Nima wie folgt: „Mein lieber Nima,wie hätte ich denn Zeugin der Hinrichtung der Jugend unseres Landes sein und dazu schweigen können? Wie könnte ich dich ruhiger Seele abends ins Bett bringen, während ich weiss, wie andere Kinder gefoltert werden? Mein Sohn, ich konnte das nicht.“

Zwei Tage nach ihrer Entlassung aus dem berüchtigtsten Foltergefängnis des Irans Evin stand sie mit einem Protestplakat gegen die Situation der politischen Gefangenen bereits wieder vor dem Justizpalast. Sie hat wieder Mandate angenommen, so viele Angeklagte in aussichtsloser Situation verteidigt, im vollen Bewusstsein, dass das Recht, das sie auf ihrer Seite wusste, oft vor Gericht gar nichts zählt. Ihr Glaube an das Recht aber blieb und bleibt bis heute ungebrochen.

Dieser Mut zum Recht war für das Unrecht unerträglich. Sie wurde überwacht, schikaniert, von ihrer Arbeit abgehalten. Die Zeit vor ihrer zweiten Verhaftung bezeichnete sie selbst als einen „Wechsel in ein größeres Gefängnis“. Als nichts davon sie entmutigen konnte, wurde sie im Juni 2018 erneut verhaftet. Sie wurde der „Spionage, der Verbreitung von Propaganda und der Verunglimpfung des Geistlichen Führers“ beschuldigt, sowie der Mitgliedschaft in einer Menschenrechtsorganisation und dem daraus resultierenden Schüren von „Korruption und Prostitution“.

Sie wurde zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Doch schon davor war sie die Symbolfigur einer Zivilgesellschaft, der immer mehr die Luft zum Atmen genommen wird.

Ich beglückwünsche aus tiefstem Herzen den Deutschen Richterbund zur Wahl Nasrin Sotoudehs als Trägerin des Menschenrechtspreises des Jahres 2020. Man kann die Frage stellen, warum ausgerechnet sie den Preis bekommt, die sie schon eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, auch andere Preise bereits erhalten hat, wie beispielsweise den Sakharov-Preis des Europäischen Parlaments. Und es gibt auch im Iran so viele andere, die in großer Not sind und unsere Aufmerksamkeit ebenfalls dringend brauchen: Die Journalistin Narges Mohammadi etwa, die aufgrund ihres Kampfes gegen die Todesstrafe im Gefängnis ist und die die ihr zustehende medizinische Betreuung trotz ernsthafter Erkrankung nicht erhält.

Oder der bekannte Ringer Navid Afkari, dem die unmittelbare Exekution droht. Oder Samy Radjabi, dessen Verbrechen darin besteht, als Naturschützer das nationale Symboltier des Iran, den Geparden, vor dem Aussterben retten zu wollen.
Fortsetzung auf Seite 2