Das Mogel-Kabinett

Es gibt im Iran vier Ministerien, die die Freiheitsrechte der Bevölkerung besonders tangieren: Justizministerium, Innenministerium, Informationsministerium, Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie. Der Justizminister wird auf Vorschlag des von Khamenei bestimmten Chefs der Judikative ernannt. Der Staatspräsident hat hier aber einen größeren Spielraum für Mitbestimmung. Dem jetzt auch mit der Stimmenmehrheit der Reformer bestätigten Justizminister Alireza Avayi wird nachgesagt, dass er wie auch sein Vorgänger in den ersten zehn Jahren nach der Gründung der Islamischen Republik und noch danach an der Hinrichtung von Oppositionellen in südiranischen Gefängnissen beteiligt gewesen und vor dreißig Jahren als Vertreter der Geheimdienste und des Informationsministeriums Mitglied einer “Delegation des Todes” gewesen sein. Avayi soll selbst bei minderjährigen Häftlingen keine Gnade gekannt habe.

Der zweite von den Reformern schon in Rouhanis erster Regierung kritisierte Minister leitet das Innenministerium. Auch er bekam nun die Stimmenmehrheit der Reformer. In seiner ersten Amtszeit wurden genehmigte Konzerte und Theateraufführung verhindert, ohne dass er etwas dagegen unternahm. Die saudi-arabische Botschaft wurde überfallen, ohne dass er etwas dagegen tat. Von ihm ernannte Provinzgouverneure vertraten meist die Linie der konservativen Geistlichkeit und Politiker. Säureattentate auf Frauen wurden nicht verfolgt.

Diese Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Offiziell müsste der Innenminister über die Polizei- und Ordnungskräfte verfügen. Tatsächlich folgten diese jedoch dem „Revolutionsführer“, der ihre Intervention in den genannten Situationen nicht wünschte. Dabei haben es die Reformer vermieden, eine echte Befehlsgewalt für den Innenminister zu fordern. In der aktuellen Situation hätten sie wenigstens Flagge zeigen und ihm die große Stimmenmehrheit (250 der 288 anwesenden Parlamentarier) verweigern können.

Das dritte wichtige Ministeramt gehört dem für die Geheimdienste verantwortlichen Informationsminister. Auch er erhielt die Stimmenmehrheit der Reformer, obwohl bekannt war, dass die Aufgabenbereiche dieses Ministeriums von den Geheimdiensten der Revolutionswächterarmee überlagert werde. Das dürfte nicht der Fall sein, wenn der verantwortliche Minister sich dem Ansinnen der Revolutionswächter entgegenstellen würde. Ständig werden Presseorgane verboten, Journalisten, Studentenvertreter oder Leiter sozialer Medien verhaftet. Der zuständige Informationsminister erklärte aber dem Parlament gegenüber, das gehe auf das Konto „anderer Organe“. Als Kritiker dieser Vorgehensweise waren die Reformer nicht zu hören.

Interessanterweise wollten sie nur die Wahl eines einzigen Ministers, des Ministers für Kommunikation und Informationstechnologie, Mohammad-Javad Azari Jahromi verhindern. Grund war ein missglückter Kuhhandel mit der kleinen Fraktion der Unabhängigen. Dabei hätte es für die Ablehnung dieses Ministers genug Gründe gegeben.

Der jüngste und vielumstrittene Minister Azari Jahromi
Der jüngste und vielumstrittene Minister Azari Jahromi

Dem bestätigten Minister für Kommunikation und Informationstechnologie wird vom Center for Human Rights in Iran vorgehalten, dass er an Verhören früherer politischer Gefangener beteiligt und auch für das Abhören privater Kommunikation von Oppositionellen verantwortlich sei. Er soll außerdem 2009 zusammen mit einem Team des Informationsministeriums mindestens fünf Mitglieder aus dem Wahlkampflager der damaligen Gegenkandidaten von Präsident Mahmud Ahmadinedschad dem sogenannten „technischen Verhör“ unterworfen und auch an deren Verhaftung teilgenommen haben. Die Light-Reformer wollten mit der Ablehnung dieses Ministers wahrscheinlich wenigstens den im Hausarrest befindlichen damaligen Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karrubi und Mir Hossein Moussavi einen Achtungsdienst erweisen. Ihr Kuhhandel ging aber schief, weil die „Unabhängigen“ sich nicht an die Abmachung hielten.

Was kann von Rouhanis Kabinett erwartet werden?

Von dem auf Vorschlag von Präsident Rouhani parlamentarisch bestätigten Kabinett kann man eigentlich nicht viel erwarten. Rouhani wird nicht einmal Teile seiner Wahlkampfversprechen halten können. Man müsste zufrieden sein, wenn der Zustand des Iran sich nicht verschlechterte. Auch mit der zweiten Wahl eines “moderaten Reformpräsidenten” wurde offensichtlich, dass weder dieses Kabinett noch künftige Kabinette etwas bewegen können, solange der politische Konsens mit der Gesellschaft nicht gefunden worden und die politische Macht den Wählern zurückgegeben ist.

Anscheinend räumt der „Revolutionsführer“ seinem Staatspräsidenten noch weniger Freiräume ein als zuvor. Rouhani setzte seinen an sich fähigen Wirtschaftsminister aus dem letzten Kabinett ab und ersetzte ihn durch einen Technokraten aus der Zollbehörde. Warum? Der Abgesetzte hatte permanent die unkoordinierte institutionelle Einnahmen- und Ausgabenpolitik des Landes bemängelt und den Posten des Wirtschaftsministers als „Selbstmordposten“ bezeichnet. Er stellte fest, dass alle dem „Revolutionsführer“ unterworfenen Organe – die Revolutionswächterarmee, die Justiz, mächtige religiöse Stiftungen – über ungesetzliche Ein- und Ausfuhrhäfen verfügten, keine Steuern und Zölle zahlten oder ihr Personal zum Teil über die Staatskasse bezahlen ließen. Rouhani hätte das Ende der mehrfachen Sonderwirtschaftszonen, insbesondere die der Revolutionswächterarmee, fordern müssen. Er hat aber bis heute die Konfrontation mit seinen Gegenspielern nicht gewagt.

Der Minister, der den illegalen Handel des „Parallelstaates“ unterbinden müsste, wäre der Minister für Industrie und Handel. Rouhani nominierte für diesen Posten aber einen den mächtigen Fundamentalisten nahe stehenden Mann, Mohammad Shariatmadai, aus dem Kreis der Geheimdienste mit bekannten Korruptionsneigungen.

Der einzige Lichtblick seiner Regierung bleibt Außenminister Javad Zarif, der seine Lage bei seiner Nominierung vor dem Parlament so beschrieb: “In den vergangenen vier Jahren war die Außenpolitik von Herausforderungen im Inneren wie im Äußeren begleitet: mangelnde Disziplin in der Wortwahl bei Außenbeziehungen betreffenden Reden, die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Gruppeninteressen, parallele und inkonsistente Handlungen bestimmter Gruppen aus verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Bereichen, unüberlegte Äußerungen und unreife Analysen der komplexen außenpolitischen Situation.“ Diese innenpolitisch bedingten Herausforderungen der Außenpolitik müssten in der neuen Periode der Regierungsarbeit beseitigt werden, so Zarif.

Es wird vermutet, dass Rouhani die Nachfolge des „Revolutionsführers“ anstrebt. Deshalb wird er nichts unternehmen, was die Fundamentalisten im System gegen ihn aktivieren würde.

  MEHRAN BARATI*

*Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.

DOSSIER:

Erfolge und Misserfolge des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani in seiner ersten Amtsperiode