Das Mogel-Kabinett

Die Reformer, obwohl im Parlament in der Mehrheit, können sich gegenüber den Machtansprüchen Ayatollah Khameneis nicht durchsetzen. Das zeigt sich bei der Wahl von Präsident Rouhanis neuem Kabinett. Sie verraten damit auch Rouhanis Wahlversprechen. Der „Wille des Volkes“ wird von Ayatollah Khamenei diktiert.   

Am 20. August 2017 wurden 16 der 17 von Präsident Hassan Rouhani dem iranischen Parlament vorgeschlagenen Minister bestätigt. Der einzige den Reformern zugerechnete Kandidat auf der Liste, für den Posten des Energieministers vorgesehen, fiel bei der Abstimmung jedoch durch.

Es heißt, einige Abgeordnete aus dem Reformlager sollen als Gegenleistung für ihre Zustimmung bestimmte energetische Maßnahmen für ihre Wahlkreise von ihm gefordert haben, die er nicht für erfüllbar hielt. Aus diesem Grund hätten sie die Zustimmung verweigert. Dieser Umgang des Reformlagers, der sogenannten „Fraktion der Hoffnung“, mit dem einzigen ihm zugeordneten Minister zeugt von der politischen Kurzsichtigkeit der Reformer.

Es ist verwunderlich, dass die Mitglieder dieser Fraktion den von der Gegenseite, also dem iranischen „Revolutionsführer“ Ayatollah Ali Khamenei, vorbestimmten Ministern ihre Stimme ohne Gegenleistung gegeben haben. Schon vor vier Jahren waren im ersten Kabinett Hassan Rouhanis mindestens sechs Minister von Khamenei persönlich nominiert worden: die für Verteidigung, Justiz, Information, Inneres, Wirtschaft und Gesundheit.

Damals waren die Reformer im Parlament eine schwache Minderheit. Im aktuellen Parlament gehören ihnen jedoch 150 der 299 Sitze. Man hätte erwarten können, dass sie damit mindestens 40 bis 45 Prozent der Kabinettsposten beanspruchen würden. Es stellt sich deshalb die Frage, warum die Reformer ihren Wählerauftrag nicht ernst nehmen und zur Realisierung ihrer Wahlversprechen klare personelle, programmatische und sachliche Forderungen stellen?

Die Antwort ist sehr einfach

Der oberste Machthaber im Lande, Ayatollah Khamenei, ist nicht gewillt, die Macht mit der Legislative und der Exekutive zu teilen. Sollten Gesetze erlassen werden, die ihm nicht passen, macht er von seinem im Artikel 57 der Verfassung religiös legitimierten Recht der „absoluten Herrschaft des obersten Gelehrten“ Gebrauch und annulliert jede ihm nicht passende Parlaments- oder Regierungsentscheidung mit einem sogenannten „Herrschaftsdekret“. Die Regierung oder das Parlament haben demnach nur Macht innerhalb der vom „Obersten“ geduldeten Grenzen. Im Bewusstsein dieser Lage haben sich die „Light-Reformer“ des aktuellen Parlaments dafür entschieden, der Konfrontation mit dem „absoluten Herrscher“ aus dem Weg zu gehen.

In der Geschichte der Islamischen Republik Iran hat es immer wieder Parlamentarier gegeben, die sich dem „Obersten“ entgegen gestellt haben und seinen Vorgaben nicht gefolgt sind. Seit der Niederschlagung der Grünen Bewegung des Jahres 2009 gibt es im Iran jedoch nur noch sehr selten Parlamentarier, die bereit wären, die Konsequenzen ihrer Autonomie als Volksvertreter zu tragen. Das Gleiche gilt für den Staatspräsidenten, auch er verzichtet auf sein verfassungsgemäßes Recht, seine Kabinettsmitglieder selbst zu bestimmen.

Nach Paragraf 110 der iranischen Verfassung obliegt zwar die Ernennung des Judikative-Chefs und des Oberkommandierenden der Streitkräfte dem “Revolutionsführer”. Jedoch ist nirgendwo die Rede davon, dass er auch bei der Bestellung der Kabinettsmitglieder ein Mitspracherecht hätte.

Nun hat er aber für die zweite Amtsperiode Rouhanis wieder fünf der 18 Kabinettsmitglieder bestimmt: Informationsminister, Innenminister, Außenminister, Verteidigungsminister und Minister für Kultur und Islamische Führung. Und diese Fünfer-Liste soll anscheinend noch um ein weiteres Amt erweitert werden. Khamenei will auch bei der Ernennung des noch zu benennenden Wissenschaftsministers, der auch für die Universitäten zuständig ist, gefragt werden.

Präsident Rouhani (re.) und Staatsoberhaupt Ali Khamenei
Präsident Rouhani (re.) und Staatsoberhaupt Ali Khamenei

Die verlorene Ehre der Reformer

Angesichts der Biographien der dem Parlament vorgeschlagenen Minister fällt es dem politischen Beobachter schwer, in der künftigen Regierungsarbeit Ansätze von ernsthaften politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Reformen zu erkennen. Das Volk hat dem Wahlprogramm Rouhanis folgend seine Stimme für die versprochene Reformpolitik gegeben. Regiert wird es nun von “moderaten Fundamentalisten”, die eher nichts ändern werden, weil sie sich den politischen Vorgaben des konservativen Lagers verpflichtet fühlen. Auch Rouhani selbst folgte bei seinen Auseinandersetzungen mit dem „Revolutionsführer“ in den letzten Wochen ausschließlich den Notwendigkeiten des Machtausgleichs in den oberen Rängen des politischen Systems.

Entgegen allen Vorankündigungen durfte Rouhani keine Frau in sein Kabinett berufen. Auch die religiöse Minderheit der Sunniten ist dort nicht vertreten, obwohl Rouhani mehrmals die Notwendigkeit ihrer Vertretung in der Regierung betont hatte. Die wichtigsten Kabinettsposten haben Männer aus Geheim- und Sicherheitsdienstkreisen inne – unter ihnen auch Mord- und Folterverdächtige.

Klare Botschaft 

Der “Revolutionsführer” hatte in den letzten Wochen vor den Präsidentschaftswahlen unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er selbst bei der aktuellen starken Präsenz von moderaten Reformern im Parlament nicht gewillt sei, die Macht im Staate mit den Reformern zu teilen. Präsident Rouhani wurde sogar öffentlich von ihm ermahnt, durch verbale Angriffe auf seine exponierten fundamentalistischen Gegner nicht der Spaltung im System das Wort zu reden. Sollte er seinen Rat nicht beherzigen, würde ihn womöglich dasselbe Schicksal erwarten wie bei den von Khomeini abgesetzten ersten Staatspräsidenten des Landes, Abolhassan Banisadr. Dieser hatte die Verfolgungs- und Vernichtungskampagnen von Khomeini gegen Oppositionelle im Lande kritisiert und ihr Ende gefordert.

Die Botschaft wurde von Rouhani verstanden. Um sich auf den stürmischen Wellen der Machtstruktur halten zu können, muss er wohl einer Intrigen- und Mauscheleipolitik folgen, um die Stabilität des politischen Systems nicht zu gefährden. Der “Wille des Volkes” wird letztlich von Khamenei diktiert. Dabei wäre die Existenz einer relativ starken Reformfraktion im Parlament eine gute Basis für den Machtanspruch des Präsidenten gewesen. Er ist aber realistisch genug, zu wissen, dass er das Bündnis mit “moderaten Fundamentalisten” und die Zustimmung des konservativen Klerus braucht, um die nächsten vier Jahre den Widerstand gegen seine leichte Reformpolitik zu minimieren. Wo die Reformer in dieser Konstellation bleiben, ist ungewiss.

Wo die Reformer besonders versagten

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