Gestern Säure, heute Messer, morgen Mord?

Nach den Säureanschlägen von Isfahan sind Iranerinnen diesmal in der Stadt Dschahrom Opfer von Gewalt auf offener Straße geworden. Die persischsprachige Netzgemeinde reagiert empört. Gemischt sind die Reaktionen auf den Musiker Hossein Alizadeh, der eine wichtige französische Ehrung ablehnte.
Mindestens sechs junge IranerInnen sind in den vergangenen Wochen in der südiranischen Stadt Dschahrom Opfer von Messerattacken geworden. Der bereits in Gewahrsam genommene mutmaßliche Täter, der fünf dieser Frauen in die Gesäßbacken gestochen haben soll, ist ein Angehöriger der ultrakonservativen paramilitärischen Basidsch-Milizen. Laut lokalen Behörden soll der Mann geistig verwirrt sein. Dass er ein Basidsch-Milizionär sein soll, ist für viele IranerInnen jedoch Beweis dafür, dass die Messerangriffe – ebenso wie die Säureanschläge, die in jüngster Zeit auf nicht streng verschleierte Frauen in der Stadt Isfahan verübt wurden, einen religiösen oder politischen Hintergrund haben. Der Mann soll gestanden haben, indirekt von einem Geistlichem motiviert worden zu sein. Der Geistliche habe gesagt, Frauen, die nicht streng islamisch gekleidet sind, sollte man töten.
„Wer zu solchen Taten fähig ist, ist in der Tat geistig verwirrt. Aber wenn man in die Gesichter dieser Wahnsinnigen blickt, sieht man immer einen Basidschi“, schreibt Niema55 auf Balatarin. Nun gebe es keine Zweifel mehr, wer die Drahtzieher der Säureanschläge in Isfahan gewesen seien, schreibt auch Twitter-User Pat: „Die Basidschi-Einheiten“. Vor allem weibliche Internet-NutzerInnen zeigen sich geschockt: „Zuerst hat man versucht, und Frauen mit Säure einzuschüchtern, nun versucht man es mit Messern. Was ist das bloß für ein Land, wo so etwas möglich ist?“, fragt Azadeh auf der Facebook-Präsenz von BBC Farsi. Ähnlich äußert sich Arianna: „Gestern war es die Einschüchterung durch Säureattacken, heute sind es Messerattacken, morgen werden sie dann dazu übergehen, Frauen, die das Kopftuch zu locker binden oder Leggings tragen, zu ermorden.“ Eine Iranerin mit Namen Hasti sorgt sich um ihre Sicherheit. Sie schreibt: „Ich habe mir ernsthaft überlegt, mich künftig mit einem Motorradhelm in mein Auto zu setzen, damit mein Gesicht vor Säureattacken bei offenem Fenster geschützt bleibt. Soll ich mir jetzt auch noch eine Stahlrüstung besorgen, um Messerattacken abzuwehren?“, fragt sie.
Wut auf Politiker und Mullahs

Demonstration in Teheran
Demonstration in Teheran gegen die Säureattacken in Isfahan

Einige sehen die Schuld für die Angriffe bei Politikern und Geistlichen: „Ich frage mich, warum diese so genannten geistig Verwirrten immer nur Attentate auf Frauen verüben, nie auf Männer. Die Wahrheit ist doch, dass hier ein religiöser Fanatiker eigenhändig die Wahrung der islamischen Tugend, wie sie von den Herren Parlamentariern gefordert wird, durchsetzen wollte“, schreibt ein anonymer User auf Radio Farda. Auch der Twitter-User GreenQuran sieht die Verantwortung für die Attacken beim iranischen Parlament: „Solange unsere Abgeordneten wie selbstverständlich unsere Frauen erniedrigen dürfen, wird es auch weiterhin Säure- und Messerattacken geben.“ Ein Radio-Farda-User mit dem Pseudonym Shazdeh-68 sucht die Verantwortung primär bei der Geistlichkeit: „Schuld sind diejenigen, die in den Moscheen die Menschen zu Gewalt anstacheln.“ Sara, eine Facebook-Userin, sieht die Verantwortung auch bei der Bevölkerung, die aus ihrer Sicht zu viel Vertrauen in das politische System hat. Auf der Facebook-Seite von Deutsche Welle Farsi schreibt sie: „Schuld an dieser Situation sind wir selbst. Als wir hätten aufschreien müssen, haben wir geschwiegen. Stattdessen sind wir brav zu den Wahlurnen gerannt.“
„Wir werden unser Leben weiterleben“
Die Antwort auf die Frage, warum es immer häufiger zu Anschlägen auf Frauen kommt, glaubt ein Besucher der Facebook-Präsenz von BBC Farsi zu kennen: „Die Konservativen wollen, dass sich die Frauen immer unsicherer fühlen und schließlich den Entschluss fassen, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und ihrer klassischen Rolle als Hausfrau und Mutter nachzugehen“, schreibt Farshid. Doch dass diese Rechnung der konservativen Kräfte aufgehen könnte, bezweifelt Samira: „Wir Frauen, die jeden Morgen im Dunkeln aufstehen und zur Arbeit gehen, sind wohl die stärksten Frauen der Welt. Bei all den Gefahren, die uns drohen, wäre es tatsächlich klüger, wenn wir uns in unseren Wohnungen verschanzen würden. Stattdessen trotzen wir aber den Gefahren und leben unser Leben weiter.“
Alizadeh verzichtet auf Ehrung aus Frankreich

Hossein Alizadeh: Bis zum letzten Augenblick bin ich nicht sicher, ob die Behörden mir nicht doch noch den Auftritt verbieten!
Hossein Alizadeh

Der Komponist und Musiker Hossein Alizadeh, als „Meister der traditionellen persischen Musik“ bezeichnet und von Musikkritikern als einer der einflussreichsten Musiker des Iran betrachtet, hat es dankend abgelehnt, von Frankreich als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet zu werden. Wenn die Kulturverantwortlichen des Iran der Musik mehr Beachtung schenken würden, müsste man sich nicht über die Verleihung von Auszeichnungen von anderen Nationen freuen, begründet Alizadeh seine Entscheidung in einem offenen Brief.
Auf die Haltung des Musikers gibt es in der iranischen Internet-Community gemischte Reaktionen. Viele zeigen sich verwundert: „Ich begreife nicht, warum Alizadeh kein Ritter der Ehrenlegion sein will. Wenn er mit der Kulturpolitik der Regierung nicht einverstanden ist, dann soll er doch seine Kritik etwas härter formulieren“, schreibt etwa Mahmoud auf Radio Farda. „Ich respektiere Alizadeh, und es ist seine Entscheidung, ob er die französische Ehrung annehmen möchte oder nicht. Aber ich muss offen sagen, dass ich seine Motive nicht verstehe“, so Twitter-User Alotchka
UserInnen kritisieren Alizadeh

Manche üben auch deutliche Kritik an Alizadehs Entscheidung: „Was er gemacht hat, ist respektlos. Frankreich hat in der Geschichte große Verdienste auf dem Feld der Musik, der Literatur und der Kultur im Allgemeinen. Dass er die Auszeichnung abgelehnt hat, macht absolut keinen Sinn“, schreibt Bright2009, ein User der Web-Plattform Balatarin. Wenig Verständnis für Alizadeh hat auch der Twitterer Dilmaj: „Er kritisiert in seinem offenen Brief die Kulturpolitik der Regierung. Wäre es für die Regierung nicht peinlicher geworden, wenn er die Ehrung der Franzosen angenommen hätte?“ Ähnlich argumentiert der Radio-Farda-User Arash: „Ich habe große Achtung vor Alizadeh, aber wenn er die Kulturpolitiker des Iran hätte treffen wollen, hätte er in der Vergangenheit seine iranischen Auszeichnungen und Preise ablehnen müssen und nicht diese französische Ehrung.“
Auch Lob für die Entscheidung
Doch nicht wenige Internet-NutzerInnen loben Alizadeh. „Möge dieser charakterfeste und große Künstler noch lange leben. Hoffentlich nehmen sich die anderen KünstlerInnen des Iran ein Beispiel an Alizadeh. Wahre Kunst lässt sich nicht mit Medaillen und Preisen messen“, kommentiert Nevissandeh die Alizadeh-Meldung der Nachrichtenagentur ILNA. „Man kann nur hoffen, dass das Kulturministerium Alizadeh für diese Geste Respekt zollt“, schreibt ein anonymer User des Nachrichtenportals Mashregh News, das der konservativen iranischen Revolutionsgarde nahesteht. Auch auf anderen konservativen Plattformen wird Alizadeh gelobt. So schreibt Nahid auf Ghatreh: „Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns vor diesem Mann zu verbeugen.“
Dass Alizadeh, dessen Konzertauftritte den religiös-konservativen Kräften oft ein Dorn im Auge waren, nun zu einem Liebling konservativer Medien und Internet-UserInnen geworden ist, stößt manchem Iraner sauer auf: „Wenn das so weiter geht, wird ihn bald Ayatollah Khamenei selbst mit einem Preis ehren“, so Twitter-User Fana. Und der Journalist Parviz Barati, der für das Reformblatt Shargh schreibt, bemerkt: „Alizadeh weist eine französische Ehrung zurück und avanciert zum neuen Helden der iranischen Rechten.“
JASHAR ERFANIAN