Joe Bidens neue Weltordnung – der Nahe Osten und der Iran

 In der Irak- und der Außenpolitik insgesamt hat Joe Biden während seiner gesamten politischen Karriere keine gute Figur gemacht. Unter den Demokraten war er eher ein militärischer Hardliner. Als Senator von Delaware unterstützte er die militärischen Interventionen in Serbien im Jahr 1999, in Afghanistan im Jahr 2001 und im Irak im Jahr 2003. Im Mai 2006 hatte Biden zusammen mit Leslie Gelb einen Plan zur Aufteilung des Irak in drei Föderationen, eine schiitische, eine sunnitische und eine kurdische, genannt „Einheit in der Autonomie”, vorgelegt. Ende September 2007 hat der US-Senat diesem Plan, der nie eine Realisierungschance hatte, zugestimmt – Hillary Clinton stimmte dafür, Barack Obama dagegen.

Als Vize von Barack Obama ruderte Biden zurück: Der Irak-Krieg sei ein Fehler gewesen. Blinken und Biden waren unter Obama auch verantwortlich für die Umsetzung von dessen Wahlkampfversprechen, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen. Hierbei spielte Biden als Vizepräsident eine Schlüsselrolle bei dem geplanten Abzug von etwa 100.000 Soldaten bis Ende 2011, mit dem ein Sicherheitsvakuum geschaffen wurde, das den Weg für den Aufstieg des IS ebnete. Bis 2014 besetzte die bewaffnete Gruppe große Teile des irakischen Territoriums – eine Entwicklung, die die US-Streitkräfte im Rahmen einer internationalen Koalition wieder in das Land zurückbrachte.

Blinken, Sullivan und Burns sind sich der Fehler der Vergangenheit bewusst und versuchen, einen neuen Ansatz zu verfolgen. Biden beabsichtigt, US-Kampftruppen aus dem Irak und Afghanistan nach Hause zu bringen, wobei nur eine kleine Anzahl von Anti-Terror-Kräften übrig bleiben soll. Es wird erwartet, dass die USA mit dem Abzug von mehr als einem Drittel ihrer 5.200 Personen starken Kampftruppen im Irak auf Kurs bleiben, um das Niveau bis Ende des Jahres auf 3.000 zu senken. Ein vollständiger Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak ist weiterhin unwahrscheinlich.

Biden und Afghanistan

 Eine der ersten Entscheidungen, die Biden bei der Übernahme der Präsidentschaft treffen muss, betrifft das weitere Vorgehen in der Frage des Verbleibs von US-Truppen in Afghanistan. Wenn die unter Trump gegen den ausdrücklichen Rat des Militärs beschlossenen Truppenreduzierungen wie geplant bis zum 15. Januar 2021  abgeschlossen sind, wird Biden vom Pentagon unter Druck gesetzt werden, unverzüglich bis zu 5.000 neue Soldaten dorthin zu entsenden. Ziel wird eine Streitkräftestruktur sein, die das Pentagon zur Gewährleistung der Stabilität beim Übergang Afghanistans zum Frieden für notwendig hält. Dies würde den gemeinsamen Friedensplan der USA mit den Taliban zumindest erschweren.

Biden war unter Obama einer der Verantwortlichen für die Umsetzung von dessen Wahlkampfversprechen, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen!Biden war unter Obama einer der Verantwortlichen für die Umsetzung von dessen Wahlkampfversprechen, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen!
Biden war unter Obama einer der Verantwortlichen für die Umsetzung von dessen Wahlkampfversprechen, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen!

Biden und der Libanon 

 Als Donald Trump 2018 die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegte, stand der Libanon an vorderster Front der israelisch-arabischen Rivalität. Ein Jahr später gingen die Libanes*innen zu Tausenden gegen ihre eigene politische Elite auf die Straße und forderten das Ende des auf die politisch-religiösen Kasten orientierten politischen Systems der Machtteilung. Wenn die Libanes*innen jetzt an den Gewinner der US-Wahlen denken, hoffen sie, dass die USA an die zerrüttete Wirtschaft ihres Landes denkt – Israel ist derzeit nicht das Hauptanliegen des Libanon.

Eine entsprechende Diplomatie der USA hat bereits begonnen. Im November 2020 gab die iranische Interessenvertretung im Libanon, die Hisbollah, dem Druck der USA nach und der libanesischen Regierung grünes Licht, Gespräche mit Israel zu führen, um ihren Streit über Seegrenzen beizulegen. Es war die faktische Anerkennung eines Staates, den die Hisbollah offiziell nicht anerkennt. Die Zustimmung der Hisbollah zu den Gesprächen mit Israel wäre ohne den Rat aus dem Iran nicht denkbar. Das iranische Parlament hatte im Vorjahr mit großer Mehrheit das Recht der Hisbollah auf bewaffneten „Widerstand“ gegen Israel bestätigt. Die Zeiten ändern sich, die Widersprüche werden nicht kleiner.

Biden und Saudi-Arabien

 Biden kündigte an, er wolle “die Beziehung zu Saudi-Arabien neu bewerten”. Er werde US-amerikanische Werte nicht „an der Garderobe abgeben, um Waffen zu verkaufen oder Öl zu kaufen“. In einer TV-Debatte drohte er sogar, das Königreich „wieder zu dem Paria-Staat zu machen, der er ist“. Anders als Donald Trump wird sein Nachfolger stärker die Achtung der Menschenrechte ins Gespräch bringen und auf ein Ende der Repressionen gegen einheimische Dissidenten pochen. Der bestialische Staatsmord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 im Istanbuler Konsulat Saudi-Arabiens ist für Biden noch nicht zu den Akten gelegt. „Jamals Tod war nicht vergebens“, schrieb er auf seiner Webseite. Denn die UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche Hinrichtungen, Agnes Callamard, sieht „glaubwürdige Beweise“ für eine direkte Verwicklung des saudischen Kronprinzen in die Tat. Ob Biden diesen tatsächlich an den Pranger stellen wird, ist fraglich. Denn er braucht die Saudis in seiner Iran-Strategie, um die anderen arabischen Länder dafür zu gewinnen.

Biden und der Jemen

Falls Trump seine Drohung wahr macht, in seiner verbliebenen Amtszeit die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen als terroristische Organisation zu klassifizieren, wird es für Biden schwierig werden, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Denn das würde so aussehen, als führe er damit den Willen des Iran aus. Wenn Iraner und Saudis nicht zu einem Interessenausgleich kommen, wird der Jemen-Konflikt ein „ewiger Krieg“ werden. Selbst wenn dies geschieht, bleibt die Frage, ob die arabischen Länder und die USA die Huthis als Statthalter der Islamischen Republik je anerkennen werden.

Israel-Palästina

Donald Trump machte den Palästinensern von Anfang an klar, dass mit dem „Dealmaker“ kein Staat zu machen ist. Demonstrativ beendete er die finanziellen Zuwendungen für die Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas. Mehr noch, der Republikaner schmiedete eine arabisch-israelische Allianz und führte den Palästinensern so vor Augen, dass sie nicht mehr mit ihren arabischen Brüdern in der Region rechnen dürfen.

Nun setzen diese all ihre Hoffnung auf Biden. Von ihm wird in Ramallah erwartet, dass er ähnlich entgegenkommend agiert wie einst Barack Obama. Der hatte immer wieder Kompromissbereitschaft von Netanjahu gefordert. Doch Biden wird an den von Trump geschaffenen Tatsachen kaum etwas ändern können. Der Nahostkonflikt ist längst im Status quo festgefroren. Damit kann Israel gut leben: Warum soll es verhandeln wollen und wenn ja, mit wem? Egal, wer im Weißen Haus regiert, die Palästinenser werden noch lange Zeit wenig an der US-Politik ändern können.

Die Frage der Menschenrechte

 Zwar wird Joe Biden keinen Zweifel daran lassen, dass sich in der Nahost-Politik der USA einiges ändern wird. Es ist aber nicht sicher, ob es für die Länder dieser Region ein Embargoregime für Verletzungen der Menschenrechte geben wird. Hier und da hat Biden etwas über die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten gesagt, bei Saudi-Arabien auch den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi angeprangert, doch viel mehr haben wir von ihm zum Thema Menschenrechte nicht gehört.

Während seiner Vize-Präsidentschaft war Biden in der Iranfrage hauptsächlich mit der Architektur des Atomabkommens beschäftigt. Die Amerikaner und Europäer erwarteten damals viel von der iranischen Führung, weshalb die Behandlung der Menschenrechtsfrage verhandlungspolitisch ausgeklammert wurde. In der Zeit seiner eigenen Präsidentschaft hätte Biden eher die Möglichkeit, in Kooperation mit den Europäern die massiven Menschenrechtsverletzungen, die Folter und die Massenmorde im Iran zum Bestandteil von Verhandlungen über eine Reaktivierung des Abkommens zu machen. Die Iraner werden dies vehement ablehnen, doch ausscheren aus den Verhandlungen werden sie nicht – weil sie absolut pleite sind.

Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob die USA und die Staaten Eurpoas die Courage haben werden, ihre jetzt vorhandene Machtposition im Sinne der Bürger- und Menschenrechte im Nahen Osten zu nutzen.

*Zum Autor: Kian Tabrizi ist das Pseudonym eines renommierten politischen Analysten, der unter verschiedenen Pseudonymen für persischsprachige Medien schreibt.

© Iran Journal

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