Joe Bidens neue Weltordnung – der Nahe Osten und der Iran

Trump als Wegbereiter für Bidens Nahost-Politik?

In der Iranfrage wird Joe Biden vermutlich den von seinem Vorgänger erzeugten Druck nutzen, um einen Kompromiss unter seinen Bedingungen zu erzielen: ein Kompromiss, der die Entwicklungsgeschwindigkeit der iranischen Atomindustrie verringern und den regionalen Vormarsch seiner bewaffneten Armee in der Region stoppen soll. Toni Issa, ein bekannter ägyptischer Journalist, schrieb am 13. November 2020 in der Zeitung Al Joumhouria: Viele würden schockiert darüber sein, dass der ruhige Biden im Nahen Osten doch tiefere Veränderungen herbeiführen werde.

In allen Hauptstädten des Nahen Ostens fragt man sich, ob Biden seiner Vision regionaler Lösungen verpflichtet bleiben wird. Fest steht: In Nahost-Fragen steht Israel für ihn an vorderster Front. Biden ist bekannt dafür, dass er die Vormachtstellung Israels nicht antasten will. Er ist aber auch daran interessiert, die Palästinenser zumindest präsent zu halten, damit sie am Friedensprozess teilnehmen können. Die Zwei-Staaten-Lösung ist sein Anliegen.

Die von Präsident Trump geschaffenen Realitäten – Jerusalem als Israels Hauptstadt und die erweiterten jüdischen Siedlungen im Westjordanland – werden für Biden schwer zu umgehen sein. Er wird vermutlich versuchen, die Expansion der jüdischen Siedlungen zu stoppen, um die Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Ländern wird ihm dabei zur Hilfe kommen.

Was Israel und die Islamische Republik Iran betrifft, wird Biden nicht entgangen sein, dass der von Trump erzeugte „maximale Druck“ auf den Iran auch positive Effekte hat. Selbst nach der Ermordung des Auslandschefs der Revolutionsgarde, Qasem Soleimani, und danach des höchsten Atommanagers des Iran, Mohsen Fakhrizadeh, hat der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei die pro-iranischen Milizen im benachbarten Irak angewiesen, ihre Angriffe auf dortige US-Posten einzustellen, um keinen Anlass für einen Krieg gegen sein Regime zu liefern. Eine radikale Änderung des harten Trump-Kurses gegen das Teheraner Regime wird Biden sehr wahrscheinlich vermeiden. Auch die Sanktionen gegen den Iran wird er nicht aufheben, sondern neu ordnen, neu definieren.

Kürzlich wurden allerdings Gerüchte laut, nach denen Modjtaba Khamenei, der Sohn des iranischen Revolutionsführers, bereits Kontakte zum Biden-Team aufgenommen habe und angedeutet haben soll, er werde nach der Aufhebung der Sanktionen für die Verbesserung der Beziehungen zu den USA sorgen. Ali Khameneis Gesundheitszustand soll sich verschlechtert, der Prozess der Bestimmung seines Nachfolgers schon begonnen haben. Nach Informationen aus iranischen Oppositionskreisen, die als zuverlässig beschrieben werden, sollen zwar mehrere Kandidaten benannt, vom Expertenrat gewählt werden soll am Ende aber „Kronprinz“ Modjtaba Khamenei.

Die den Reformern nahstehende iranische Zeitung "Sazandegi" hofft auf bessere Zeit für den Iran durch Joe Biden!
Die den Reformern nahstehende iranische Zeitung „Sazandegi“ hofft auf bessere Zeit für den Iran durch Joe Biden!

Möglicher Umgang mit dem Atomkonflikt

Amos Hochstein, der als ehemaliger stellvertretender Staatssekretär sowie Sonder-beauftragter und Koordinator für internationale Energieangelegenheiten der Obama-Regierung auch Vizepräsident Joe Biden bei den Verhandlungen über das Atomabkommen beriet, sieht als mögliches neues Verhandlungsergebnis mit dem Iran ein „kleineres Atomabkommen“, ein „Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA-Minus“. Das könnte bedeuten, dass die Sanktionen nur zum Teil aufgehoben und für weitergehende Schritte zunächst einige Bereiche des Atomprogramms ausgesetzt werden müssten. Jedenfalls sollen die “Schlupflöcher” im JCPOA-Text (Irans ballistische Raketen, Interventionen der Revolutionsgarde in der Nahost-Region, Export und Import von Rüstungsgütern) geschlossen werden.

Am 11. Dezember 2020 erklärte Elliott Abrams, Trumps Sonderbeauftragter den Iran und Venezuela, in einem Interview mit dem persischsprachigen TV-Sender Iran International, die Rückkehr der nächsten Regierung in das Atomabkommen werde mit vielen Hindernissen verbunden sein. Diese Einschätzung teilt inzwischen auch der Chef der Internationalen Atomagentur Rafael Grossi, der am 17. Dezember 2020 in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters kurz und knapp sagte: „New agreement needed to revive Iran nuclear deal under Biden“. Tatsächlich wird es wegen der Flut von mehr als 180 Einzelembargos gegen iranische Personen und Institutionen kaum möglich sein, wieder zum Ausgangspunkt des Abkommens von 2015 zurückzukehren. Eine der folgenreichsten Sanktionen ist die Aufnahme der iranischen Revolutionswächter in die Liste der Terrororganisationen. Diese Entscheidung wird wahrscheinlich vom neuem Kongress als Gesetz bestätigt werden. Aus genannten Gründen wird die Frage der Beziehungen zwischen dem Iran und den USA selbst sieben bis acht Monate nach Beginn der Verhandlungen nicht über eine Reduzierung von Spannungen hinausgehen.

 Joe Bidens Weltordnung

Der frühere israelische Außenminister Shlomo Ben-Ami schrieb in einem Beitrag für die Internetplattform Project Syndicate am 17.November 2020 unter der Überschrift „Joe Biden’s World Order“: “Viele hoffen, dass der gewählte US-Präsident Joe Biden im Januar die von Amerika geführte liberale Weltordnung nach 1945 retten und sogar erneuern kann. Das ist ein verständlicher Wunsch, aber völlig unrealistisch.” Bidens Regierung wird sich jedoch der Realität stellen müssen, dass die von ihr gewünschten Änderungen am Atomabkommen für die Iraner politisch inakzeptabel sein werden. Es wird der neuen US-Regierung nichts anderes übrig bleiben, als Trumps Sanktionen gegen den Iran, inklusive der für Ölexporte, aufrechtzuerhalten, um den Forderungen der USA nach einer Änderung des JCPOA Nachdruck zu verleihen.

Hinzu kommt der Wunsch der Amerikaner, der Europäer und der Staaten am Persischen Golf, die Iraner politisch und militärisch so schnell wie möglich hinter ihre eigenen Landesgrenzen zurückzudrängen und sie zur Aufgabe der Weiterentwicklung ihres ballistischen Raketenprogramms zu bewegen. Die Iraner ihrerseits werden den Amerikanern vermutlich zu verstehen geben, sie müssten bei allen Fragen weniger fordern, sollten sie die dringend notwendige Kooperation Teherans für den Frieden in Afghanistan benötigen. Der iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif hat am 21. Dezember 2020 in einem Interview mit dem afghanischen Nachrichtenkanal ToloNews offen darüber gesprochen, dass die Iraner mit der Taliban-Führung Gespräche über die Zukunft Afghanistans führen.

Biden und der Irak
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