Suche nach iranischem „Todesrichter“ in Deutschland

Seit Tagen wird in den persischsprachigen sozialen Netzwerken über den Aufenthalt des iranischen Richters Hassan Tardast in Deutschland und die juristischen Möglichkeiten zu dessen Verhaftung spekuliert. Wer ist der Mann und warum wird er gejagt?

Von Farhad Payar

Reyhaneh Jabbari war 19 Jahre alt, als sie im Sommer 2007 wegen „Mordes“ an einem ehemaligen Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes verhaftet wurde. Sie gestand die Tötung des verheirateten Mannes und erklärte wiederholt, dass sie in Notwehr gehandelt habe: Der Getötete habe sie vergewaltigen wollen. Sieben Jahre später wurde Reyhaneh dennoch hingerichtet. Ihr Todesurteil hatte der Richter Hassan Tardast gefällt, bekannt als „Todesrichter“.

Behnood Shojaie war 17, als er in einem Streit einen Gleichaltrigen tötete. Auch er hatte Notwehr geltend gemacht: Der Getötete habe ihn mit einem Messer angegriffen. Vier Jahre später, im Herbst 2009, wurde Behnood gehängt. Auch dieses Todesurteil fällte der Richter Hassan Tardast.

Das sind nur zwei der über 1.000 „Mordfälle“, die Tardast in seiner Zeit als Richter bearbeitete. Nach seinen Aussagen wurden „nur“ 20 Prozent seiner Urteile in 2. Instanz aufgehoben. Wie viele von Tardasts Todesurteilen vollstreckt wurden, ist unbekannt. Nach iranisch-islamischem Recht wird Mord mit Vergeltung bestraft. Wenn die Familie des Opfers auf Vergeltung besteht, wird der Mörder hingerichtet. Verzichtet die Opferfamilie darauf, kann das zur Freilassung des Verurteilten führen. Allerdings gilt dies erst, wenn ein Richter die Schuld des Angeklagten erkannt hat.

Gegen das Vergessen

Die Hinrichtung von Behnood Shojaie geriet relativ schnell in Vergessenheit, obwohl er bei der Tat noch minderjährig war. Aber Reyhaneh Jabbaris Mutter Shole Pakravan hat sich zur Aufgabe gemacht, gegen das ihrer Tochter und „der gesamten Familie“ angetane „Unrecht“ zu kämpfen.

Behnood Shojai
Behnood Shojaie

Eine ihrer letzten Aktivitäten in diesem Kontext: Pakravan hat gemeinsam mit anderen iranischen Aktivist*innen publik gemacht, dass der inzwischen pensionierte Richters Hassan Tardast sich in Deutschland aufhalten soll. Angeblich war er bis vor kurzem in Berlin – ob zu Besuch bei seinen Kindern oder mit einer anderen Aufenthaltserlaubnis, wurde bisher nicht festgestellt. Auf eine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour teilte die Bundesregierung mit, keine Erkenntnisse über Tardasts Aufenthalt in Deutschland zu haben. Damit geben sich Diaspora-Iraner*innen allerdings nicht zufrieden, denn nicht selten haben Menschen wie Tardast mehrere Identitäten.

Neben Pakravan haben politische Agitator*innen und Aktivist*innen der sozialen Netzwerke die Nachricht tausendfach im Internet verbreitet. Einige befassen sich auch mit der Frage, ob eine Verhaftung des „Todesrichters“ hierzulande möglich ist.

Lieber lautlos handeln

Manche Oppositionelle finden solches Aufsehen nicht richtig, weil die Zielperson davon erfahren und schnell verschwinden könnte. In der Tat haben vor Tardast zwei andere iranische Richter, die sich in Deutschland aufhielten, in Nacht- und-Nebel-Aktionen die Flucht ergriffen, als über ihren Aufenthaltsort in den sozialen Netzwerken berichtet wurde: im Januar 2018 der ehemalige Chef der Justiz, Ayatollah Mahmoud Shahroudi, und im Juni dieses Jahres der Richter Gholamreza Mansouri. Letzterer flüchtete nach Rumänien, wo er unter mysteriösen Umständen ums Leben kam – durch den Sturz aus dem Fenster seines Hotelzimmers.

Natürlich ist es wichtig, dass solche Leute wie Richter Tardast hier für ihre menschenrechtswidrigen Urteile verhaftet und zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Shole Pakravan im Gespräch mit Iran Journal. Doch würden bereits die Internetkampagnen gegen Funktionäre der iranischen Judikative, Legislative und Exekutive im Ausland diesen zu verstehen geben, dass ihre Taten Folgen haben: „Tardast fühlt sich jetzt nicht mehr sicher in Deutschland und vielleicht nirgendwo im Ausland.“ Das sei eine Lektion für Leute wie den „Todesrichter“, damit sie wüssten, dass sie sich „für das Unrecht, das sie vielen angetan haben“, verantworten müssen, sagt die noch trauernde Mutter.

War das Urteil Unrecht?
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