Gratis Kebab essen und warten im Iran

„Iran, Ordibehescht 1396“ heißt ein neues Buch über den Iran. „Der Reisebericht“ von Christian Welzbacher sei „ein Aufruf zum Dialog mit dem vermeintlichen Feind“, schreibt der Verlag. Fahimeh Farsaie stellt das Buch vor.

In der letzten Dekade sind in Deutschland viele Bücher und Reiseberichte über den Iran veröffentlicht worden. Das sind meist Publikationen, die versuchen, ein reflektiertes Bild über das „Land der Mullahs und des Atomprogramms“ zu vermitteln, weit entfernt von der offiziellen iranischen Regierungspolitik. Das setzt grundlegende Vorbereitungen und zweckdienliche Recherchen voraus, damit die subjektiven Einschätzungen der Verfasser*innen mit Fakten und Zahlen belegt werden können. Kurz: eine Reise- und Buchplanung.
Neulich ist aber ein Reisebericht über den Iran in Berlin aufgelegt worden, dessen Verfasser diesen ursprünglich gar nicht hatte schreiben und während seines dreiwöchigen Aufenthalts im Iran gar keine Notizen hatte machen wollen: das Buch „Iran, Ordibehescht 1396“ des Kunsthistorikers Christian Welzbacher. Der Titel, der sich auf das iranische Sonnenkalendersystem bezieht, bedeutet auf Deutsch schlicht: „Iran, April-Mai 2017“.
„Ich hatte zunächst überhaupt nicht vorgehabt, etwas zu notieren. Ich wollte meine Beobachtungen nicht als ‚Material‘ begreifen“, erklärt der Autor darin (S.167). Nach wenigen Tagen im Iran ändert Welzbacher aber seine Meinung, fixiert und interpretiert alles, was ihm in Teheran, Isfahan und Täbriz auf- und einfällt, „Seite um Seite wie ein echter Tagebuchschreiber“. „Iran, Ordibehescht 1396“ ist das Ergebnis dieser ungeplanten – aber nicht unvoreingenommenen -, thematisch zusammenhanglos angeordneten Reiseprotokolle.

Wenn Welzbacher im Iran nicht seinen „Geschäften“ nachgeht, besucht er Museen, Moscheen und Kebabstuben - Foto: Nationalmuseum in Teheran
Wenn Welzbacher im Iran nicht seinen „Geschäften“ nachgeht, besucht er Museen, Moscheen und Kebabstuben – Foto: Nationalmuseum in Teheran

Der Grund der Reise

Warum Christian Welzbacher im April 2017 in den Iran reist, erfährt man erst auf den Seiten 32 und 115. Demnach musste er zweifachen Verpflichtungen nachgehen. Die erste Aufgabe: mit dem Architekturbüro Diba Kontakt aufnehmen. Das Büro unterhält, schreibt der Autor, gleichzeitig eine an internationalem Austausch interessierte Kultur-Eventagentur namens Saba. Welzbacher wollte mit der Leiterin des Büros, der iranischen Stararchitektin Leila Araghian, verhandeln, um eine 2012 für das deutsche Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) kuratierte Ausstellung zum Moscheenbau der Gegenwart nach Teheran zu bringen. Abgesehen davon, dass auf der heutigen Webseite von Diba kein Hinweis auf Saba zu finden ist, bleibt auch unklar, wer ihm die Aufgabe zugewiesen hatte.
Der zweite Auftrag, für dessen Durchführung er ein Arbeitsvisum von der iranischen Botschaft in Deutschland erhalten hatte, hat ebenfalls mit dem „Moscheenbau in Europa“ zu tun: Welzbacher sollte einen Vortrag zu dem Thema an der Islamischen Universität Täbriz halten. Wie diese Aufgabe zustande gekommen ist, wird wieder nicht erklärt.Trotz des dafür erteilten Visums verläuft das Vorhaben nicht reibungslos: Zwei Stunden vor Beginn des Vortrags versucht ein Funktionär des Bildungsministeriums, Welzbachers Auftritt zu unterbinden. Es gelingt ihm aber nicht und Welzbacher kann seine Aufgabe erfüllen und vor dem Seminar auftreten.

Störfaktoren ohne Ende

Wenn der Autor gerade nicht mit den genannten „Geschäften“ zu tun hat, besucht er Museen, Moscheen und Kebabstuben, lässt sich gerne von seinen iranischen Begleitern einladen und ärgert sich stets über Abgaswolken, Hupkonzerte, den Gestank in der Luft, „der immer wie der muffige Feinstaub vom Kalk getünchter Wände in der Nase hängen bleibt“ (S. 46); über die grimmige Sonne, die alle Farben bleicht; über Objekte aus poliertem Stahl im Skulpturenpark der Hauptstadt, „die im Sommer so heiß wie glühende Hochhöfen werden“ (S. 46); über hässliche Häuser aus Glas und Beton als Importe aus „einer fremden Welt“; über den Basar, der nicht exotisch genug und in „vielerlei Hinsicht ein modernes Handelszentrum [ist], dessen Strukturen und Abläufe überall auf der Welt so ähnlich sind, wie das dahinterliegende Interesse“ (S. 25).

Die vielbeschworene Gastfreundlichkeit der Iraner sei ein Klischee, "wie die russische Seele“
Die vielbeschworene Gastfreundlichkeit der Iraner sei ein Klischee, „wie die russische Seele“

Der Autor findet darüber hinaus die Einstellung der Menschen zur Politik des iranischen Ex-Präsidenten Mahmud Ahmadinejad „erschreckend“: Er kann nicht nachvollziehen, dass sie diesen für die aktuelle wirtschaftliche Misere des Landes verantwortlich machen. „Ich höre diese Reden ziemlich oft, nicht nur in der Hauptstadt, sondern auf allen Stationen meiner Reise. Mir fällt auf, dass die Tirade wider Ahmadinejad immer so geführt wird, dass sie die moralische Integrität seines Nachfolgers zu erhöhen scheint.“ (S. 52)
Welzbacher ist außerdem der Meinung, dass die Iraner überhaupt nicht gastfreundlich seien: „Die vielbeschworene Gastfreundlichkeit der Iraner. Sie ist ein Klischee, wie die russische Seele“ (S. 127). Als Beweis zählt er Vorfälle wie diesen auf: „Der pampige Schaffner im Nachtzug Täbriz-Teheran, der die halbe Nacht mein Wechselgeld für den Tee zurückhielt…“ Dabei ist zu erwähnen, dass Welzbacher während seines gesamten Aufenthalts kostenlos im Gast-Apartment eines Diba-Mitarbeiters wohnen durfte. Doch auch hier hat er vieles zu beanstanden: „Das Apartment ist nicht aufgeräumt, auf Tischen und halbhohen Schränken stapelten sich leere Keksschachteln und ausgetrunkene Seltersflaschen, bevor ich kam…“ (S.153). Des Weiteren kann er die Gratisdienste der Diba-Mitarbeiter nicht als Gastfreundlichkeit bezeichnen: Sie begleiten ihn überall und „vermitteln Kontakte, machen Termine, bestellen Taxis, empfehlen Restaurants, beantworten Fragen…“ (S. 33).

Hamam à la Ingres

Es gibt aber ein Lokal, in dem sich der Autor doch im „Orient“ fühlt: In einer Teestube, die Iraner „Ghahweh-Khane“ aussprechen und die Welzbacher „Kafe-Khane“ nennt. „Zum ersten Mal fühle ich mich wirklich angekommen in einer fremden Welt, weil sie die Vorstellung bestätigt, mit der ich gekommen bin“ (S. 25). Er sieht eine Teestube in Täbriz als Symbol für das Morgenland, denn sie „entspricht den Vorstellungen von Orient in etwa so wie das Hamam auf den Odaliskenbildern von Dominique Ingres“. Warum er das Kafe-Khane, in dem „zwölf Männer mit faltigen Arbeitergesichtern aufgereiht vor weiß gekachelten Wänden an Holztischen sitzen“, mit der vielfigurigen Komposition des Bildes „The Turkish Bath“ (mehr als 24 nackte Frauen am Pool) vergleicht, bleibt unklar.

Ein traditionelles iranisches Teehaus
Ein traditionelles iranisches Teehaus

Nebelhafte Erklärungen

Es gibt aber viele Stellen im ganzen Buch, die abstrus und schleierhaft wirken, besonders, wenn es um die Gespräche mit den Zuständigen im Architekturbüro Diba geht. Statt das konkrete Thema anzusprechen und die diesbezüglichen Dialoge wiederzugeben, verwickelt sich der Autor in unzulängliche und lange Schilderungen und Kommentare, die kaum einleuchtend sind: „Auf meine Nachfrage folgen halbgare Erklärungen. Golineh redet von Verständigungs-, Orientierungsproblemen, von Problemen allgemeiner Art. Erstmals hängt etwas Unaussprechliches in der Luft, eine teuflische Lücke, die das Gespräch verdunkelt, wie eine kleine schwarze Wolke…“ (S. 137). Klarstellen kann der Autor nur, dass Sinn und Zweck der Dienstreise sich bis heute nicht erfüllt hätten.
Und was sind Sinn und Zweck dieses Dienstreiseberichtes? „Iran, Ordibehescht 1396“ erweist sich als eine Ansammlung von trüben Wahrnehmungen, halbgaren Kommentaren und Beobachtungen frei von jeglicher Sensibilität und Reflexion. Es ist ein Reisebericht, der ohne direkte Verwendung der für den Moment hingeschriebenen Aufzeichnungen des Autors und mit einer „wiederkehrenden und manchmal unerbittlichen Wut“ (S. 166) verfasst worden ist. Welzbacher stellt Sinn und Zweck seines Buches wie folgt dar: „Da die Reise auf geschäftlicher Ebene gescheitert ist, wäre es doch legitim, sie auf publizistischer Ebene zum Ergebnis zu führen, zum Beispiel, um dem Aufwand gerecht zu werden, den Kosten einen Sinn zu verleihen“ (S.169). Das könnte ein legitimes Kalkül sein.

FAHIMEH FARSAIE

„Iran, Ordibehescht 1396″, Christian Welzbacher, Mattes&Seitz Berlin, 182 S., 15,00 Euro

© Iran Journal

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