Iranische Literatur in Deutschland
Wie die Hassparolen eines iranischen Präsidenten das iranische Literatur-Angebot in Deutschland verstärkten. Ein Gastbeitrag von Fahimeh Farsaie, Schriftstellerin und Branchenkennerin.
„Israel must be wiped off the map‟ – wohl kein Satz wird häufiger mit der iranischen Außenpolitik der letzten Dekaden assoziiert als dieser. Mit dem umstrittenen Zitat des von 2005 bis 2013 amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad geriet der Iran zwar international noch mehr in Isolation, präsentierte sich aber auf der literarischen Bühne Deutschlands selbstbewusster und souveräner denn je. Kaum eine kulturelle Maßnahme in der Geschichte des deutsch-iranischen Literaturaustausches hatte je eine so gravierende Auswirkung wie die brachiale Anti-Israel-Rhetorik Ahmadinedschads. War der radikaler Hassstifter etwa ein unbeabsichtigter Diener der Völkerverständigung? Die positiven Nebenwirkungen seiner zerstörerischen Abschottungspolitik halten jedenfalls bis heute an.
Der holprige Anfang
Die Veröffentlichung der Werke moderner iranischer Autoren begann in Deutschland vor etwa vier Jahrzehnten. Der Erzählband „Moderne Erzähler der Welt – Iran‟, den Faramarz Behzad mit Unterstützung von Johann Christoph Bürgel und Gottfried Hermann 1978 auf den deutschen Markt brachte, gehörte zu den ersten Publikationen dieser Art. Das Institut für Auslandsbeziehungen des Auswärtigen Amtes, das sich damals für den internationalen Kulturaustausch einsetzte, finanzierte die mehr als 50 Bände dieser Reihe, die im Horst Erdmann Verlag erschienen.
Über den Iran-Band lernte die deutsche Leserschaft erstmals zehn iranische Autoren kennen, die ihre urbanen Kurzgeschichten stilistisch mit modernen Erzähltechniken ausarbeiteten – etwa Sadeq Hedayat (1903–1951), Bozorg Alavi (1904–1997), Sadeq Tschubak (1916–1998), Gholam Hossein Saedi (1936-1985) und Huschang Golschiri (1937–2000). Obwohl die Herausgeber des Bandes den Anspruch hatten „ein vollständiges Bild der modernen Literaturszene Irans‟ darzustellen, fehlten in diesem Band die Erzählungen der damals jungen Schriftstellerinnen – wie Simin Daneschwar (1921- 2012), Goli Taraqqi (1939), Mahshid Amirshahi (1937) und Shahrnush Parsipur (1946) – ebenso wie die Werke ihrer männlichen Kollegen, die für einiges Aufsehen gesorgt hatten.
Aggressive Politik
Das Bild des Iran in den 1970er-Jahren war in Deutschland mit drei Symbolen verbunden: dem Schah, seiner Ehefrau Soraya* und dem Öl. Diese wandelten sich nach der Revolution von 1979 schlagartig in Zerrbilder wie das im Schleier gehüllter Frauen, die mit gen Himmel gereckten Fäusten Ayatollah Khomeinis herausfordernden Satz „Ich kneble Amerika mit der Faust‟ rufen, oder wütender bärtiger Männer, die unter Allahu-Akbar-Rufen die USA-Flagge in Brand setzen.
Diese abschreckenden Bilder wurden öfter in deutschen Medien abgebildet als Ahmadinedschad, der zu Beginn seiner Präsidentschaft mit aggressiven antiamerikanischen und israelischen Äußerungen auftrat und zum Kampf gegen den Westen und die westliche Kultur aufrief. Im August 2005 entfernte der Iran überraschend die Siegel der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) von seinen Nuklearanlagen und nahm im November die Arbeiten zur Urananreicherung auf. Ahmadinedschad verkündete gleichzeitig „die Wiederkehr des Verborgenen Imam, des Mahdi‟ und behauptete, dass seine „kluge Politik‟ den Weg dafür ebnen würde. Neben dem Absprechen des Existenzrechts Israels, Vernichtungsvorhersagen und Holocaustleugnungen stellte er sich vor der 60. UN-Vollversammlung als auserwählter Vorkämpfer des „Erlösers“ dar. Auch andere internationale Auftritte nutzte er, um den „Mahdi-Kult“ erneut zu beschwören.
Ernster Bruch
Als Ahmadinedschad dann die Antirassismus-Konferenz 2009 in Genf wieder für seine anti-israelischen Tiraden nutzte und auf der Fortsetzung des iranischen Atomprogramms „für zivile Anwendungen‟ beharrte, blieben der deutschen Regierung keine Zweifel mehr, dass der selbsternannte „Vorkämpfer des Mahdi‟ es mit seiner destruktiven Politik ernst meinte. Erst dann war Berlin, das anfänglich die von den USA gegen den Iran verhängten Sanktionen nicht mittragen wollte, bereit, Einschränkungen in den wirtschaftlichen Beziehungen mit Teheran in Kauf zu nehmen. Deutschland war bis dahin einer der wichtigsten europäischen Handelspartner des Iran gewesen; zu den wichtigsten Exportgütern gehörten Maschinen, chemische Erzeugnisse, Lebensmittel und pharmazeutische Produkte.
Diese plötzliche Drehung um 180 Grad hatte nicht nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Iran gravierende Auswirkungen. Sie war auch der Anlass dafür, dass sich die Schwerpunkte der Berichterstattungen über das Land in den deutschen Medien verschoben: Selbst einige der wenigen Zeitungen, die bis dahin versucht hatten, ein halbwegs reflektiertes Iran-Bild zu vermitteln, sahen das Land auf einmal auf der „Achse des Bösen‟**, berichteten täglich über angebliche Fortschritte iranischer Wissenschaftler bei der Urananreicherung und verbreiteten Hiobsbotschaften wie die baldige Vernichtung durch die „Mullah-Atombomben‟.
Kulturalisierung pur
Solch trüben und oberflächlichen Bilder förderten den Prozess der Kulturalisierung in der deutschen Gesellschaft, unter dem vor allem die in Deutschland lebenden IranerInnen litten. Sie hatten aber auch einen positiven Effekt: Sie weckten das Interesse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen daran, ein differenziertes und objektiveres Bild des Iran kennenzulernen und sich mit Geschichte, Kultur und Literatur des Landes ohne Vorurteile auseinanderzusetzen. Um dieses Interesse zu befriedigen, wurden zahlreiche Romane und Erzählbände iranischer SchriftstellerInnen, Autobiografien von Politikern und im Ausland lebenden DissidentInnen oder Iran-Reiseberichte deutscher AutorInnen und JournalistInnen veröffentlicht.
Frühere Publikationen
Fortsetzung auf Seite 2