Das Staatsoberhaupt als Opposition

Ayatollah Ali Khamenei, der angeblich parteilose geistliche Führer des Iran, greift die gemäßigten Politiker um Staatspräsident Hassan Rouhani heftig an. Was bezweckt der mächtige Ayatollah mit dieser öffentlichen Kritik?
Ende März griff der oberste Religionsführer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, einen seiner langjährigen politischen Weggefährten, Akbar Hashemi Rafsanjani, wegen eines Tweets auf dem Nachrichtendienst Twitter in scharfem Ton an. „Wer behauptet, die Zukunft liege in Verhandlungen und nicht in Raketen, ist entweder ahnungslos oder ein Verräter“, so Khameneis Worte.
Der Twitter-Account, der dem als gemäßigt geltenden Geistlichen Rafsanjani gehören soll, hatte kurz davor den Satz veröffentlicht: „Die Zukunft liegt im Dialog, nicht in Raketen.“ Rafsanjani gilt als der wichtigste Unterstützer des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani und plädiert für einen Dialog mit der Weltgemeinschaft. Obwohl er nach dem Tod des Republikgründers Ayatollah Ruhollah Khomeini bei der Ernennung von Khamenei zum obersten Religionsführer eine wichtige Rolle gespielt hatte, gingen die beiden in den vergangenen Jahren politisch immer weiter auseinander.
Kein zweiter Konsens
Zuvor hatte Khamenei in seiner Rede zum persischen Neujahr am 20. März die von Präsident Rouhani ergriffene Initiative „Der zweite Konsens“ strikt abgelehnt. Er griff alle an, „die den Kampf aufgeben“, „die wirtschaftlichen Probleme des Landes durch das Gespräch mit den USA“ lösen möchten und „für den zweiten, dritten und vierten Konsens“ plädieren.
Rouhani hatte in seiner Neujahrsansprache das Thema „Der zweite Konsens“ zum wiederholten Mal angesprochen. Das ist eine Anspielung auf das Wiener Atomabkommen und die Einigung mit dem Westen – also „Der erste Konsens“. Nun wünscht sich der Präsident einen nationalen Konsens, eine Versöhnung zwischen den Hardlinern und den gemäßigten Kräften.
Ungewöhnlich klare Andeutungen

Atom Verhandlungspartner Lausanne
Die Einigung mit dem Westen hat Rouhanis Regierung beachtliche innenpolitische Vorteile verschafft

Ayatollah Khamenei ist in innenpolitischen Angelegenheiten – bis auf wenige Ausnahmen – eher für seine indirekte und interpretationsbedürftige Ausdrucksweise bekannt. Direkte Angriffe des geistlichen Führers, der innenpolitisch parteilos und parteiübergreifend handeln soll, auf zwei der wichtigsten politischen Instanzen des Landes sind ein Novum. Sie stärken überdies die Positionen der Hardliner, die Khameneis Unterstützer sind.
Nach der Neujahrsrede des Ayatollah griff denn auch der Kommandeur der Revolutionsgarde den Präsidenten verbal an. Das Volk habe schon „den ersten Konsens“ nur „mit Wiederstreben akzeptiert“: „Was sollen dann weitere Konsense bringen?“ fragte General Mohammad Ali Dschafari rhetorisch.
Anfang April behauptete die Teheraner Zeitung Kayhan, dass das Erdöl, die Haupteinnahmequelle des Iran, ohne das Atomabkommen derzeit 120 Dollar pro Barrel kosten würde. Aktuell kostet ein Barrel weniger als 40 Dollar. Die Tageszeitung gilt als das inoffizielle Sprachrohr des Büros von Khamenei.
Warum öffentliche Attacken?
Die Lösung des Atomkonflikts als wichtigstes Wahlversprechen Rouhanis verschafft ihm und seinen Befürwortern einen beachtlichen Vorteil und drängt Khamenei und seine Anhänger in die Defensive.
Rouhanis Anhängerin mit dem Poster des Präsdienten - Foto: fararu.com
Rouhanis AnhängerInnen erwarten von ihm auch innenpolitische Erfolge – Foto: fararu.com

Der in dem Maße unerwartete Sieg der Reformer und Gemäßigten bei den letzten Parlamentswahlen Ende Februar ließ die Alarmglocken der Hardliner noch lauter klingeln. In der zeitgleich mit den Parlamentswahlen stattfindenden Neuwahl des Expertenrats mussten zwei wichtige Unterstützer Khameneis aus dem Rat ausscheiden: der Chef des Gremiums Ayatollah Mohammad Yazdi und der bekannte fundamentalistische Chefideologe des Regimes Ayatollah Taghi Mesbah Yazdi. Dafür hat Rafsanjani mit einem hohen Stimmenanteil den Einzug in den Expertenrat geschafft und wird auch wahrscheinlich dessen Leitung übernehmen. Dieses Gremium, das den geistlichen Führer des Landes ernennt, ist seit Jahren Schauplatz des Machtkampfes zwischen Rafsanjani und Anhängern Khameneis.
Ein persisches Sprichwort besagt: „Ein gutes Jahr kann man an dessen Frühling erkennen“. Das neue iranische Jahr (21. März 2016 bis 20. März 2017) hat mit einem kritikreichen Frühling angefangen. Ob und welche politischen Konsequenzen die kritischen Äußerungen des Revolutionsführers für Rafsanjani und Rouhani haben werden, wird sich spätestens bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühling 2017 zeigen.
  IMAN ASLANI