Die Notwendigkeit eines zweiten nationalen Konsenses
Die wirtschaftliche Schieflage ist derzeit das größte Problem des Iran. Präsident Hassan Rouhani hofft nach dem Ende der internationalen Sanktionen auf ein Wirtschaftswunder. Für seinen Berater, den Ökonomen Masoud Nili, ist dieses Ziel aber nur durch massive Investitionen aus dem Ausland zu erreichen.
Das Schicksal des Iran ist von den bevorstehenden wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig. Das ist die Kernaussage des Ökonomen Masoud Nili, Universitätsprofessor und Wirtschaftsberater von Präsident Hassan Rouhani.
Auf einer Konferenz, die Ende Februar in Teheran stattfand, stufte der Wirtschaftsexperte die letzten Monate des Jahres 2013 als den ökonomisch schlechtesten Zeitraum für den Iran in den vergangenen Jahren ein. Damals wurden in Sachen Arbeitslosigkeit und Mangel an Investitionen einmalige Rekorde aufgestellt.
2013 war die Ahmadinedschad-Ära zu Ende gegangen. Dessen Regierung hinterließ leere Kassen, hohe Arbeitslosigkeit, eine Inflation von etwa 40 Prozent und eine äußerst angespannte politische Lage sowohl im In- als auch im Ausland. Jetzt, kurz nach dem Ende der Sanktionen, sei der Iran an einem entscheidenden Punkt angekommen, so Nili. Heute getroffene Entscheidungen würden innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre Früchte tragen – wenn sie die richtigen seien. Andernfalls werde die Zukunft den Iran hart bestrafen.
Doppelschneidiges Schwert: die junge Bevölkerung
Die junge Bevölkerung des Iran könne für das Land Fluch und Segen zugleich sein, so Nili. Knapp 45 Prozent der IranerInnen sind zwischen 15 und 34 Jahre alt. Dies könnte für einen nachhaltigen Wirtschaftsschub sorgen, vorausgesetzt, es gebe ausreichende und gezielte Investitionen. Sonst könnte sich die junge Bevölkerung als das größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Problem herausstellen, so der Ökonom.
In den acht Jahren Amtszeit von Präsident Ahmadinedschad wurde mit dem Ölverkauf als Haupteinnahmequelle des Landes die beispiellose Summe von 578.000.000.000 Dollar verdient. Trotz 246-prozentigem Zuwachs der Einnahmen im Vergleich zur vorherigen Regierung wurden aber kaum neue Arbeitsplätze geschaffen. Statt dessen mussten viele Unternehmen die Zahl ihrer Arbeitskräfte sogar reduzieren.
Der Arbeitsmarkt musste den riesigen Ansturm verkraften, der durch die hohen Geburtenraten der 1980er Jahre zustande kam. Deshalb entschieden sich immer mehr junge Menschen, zu studieren, um ihren Marktwert zu steigern. Dies löste jedoch das Problem nicht: Die jungen Arbeitslosen wurden zu arbeitslosen Akademikern. Um den Überhang an Arbeitskräften abzubauen und Neuankömmlingen auf dem Arbeitsmarkt Perspektiven zu bieten, müssten in den kommenden Jahren jährlich mindestens 655.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, so Nili. Dies sei mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von durchschnittlich vier Prozent nicht zu schaffen.
Massive Investitionen aus dem Ausland notwendig
Laut dem Wirtschaftsberater des Präsidenten benötigt der Iran in den kommenden Jahren jährlich 28 bis 54 Milliarden Dollar frisches Geld. Soviel Kapital konnte das Land in der Vergangenheit allerdings nie aufbringen. „Nicht einmal ein Zehntel dieser Summe wurde in der Vergangenheit investiert“, so Nili.
Eine kräftige Erhöhung des Ölpreises in naher Zukunft schließen Experten aus. Sollte der Ölpreis in den nächsten Jahren bei 40 bis 50 Dollar pro Barrel bleiben, sei eine positive wirtschaftliche Veränderung des Landes nicht zu erwarten, so Nili. Deshalb müssten neue Investitionsquellen gefunden werden. Eine Lösung seien exportorientierte direkte Investitionen aus dem Ausland.
Wie kann die islamische Regierung aber zwischen dringend notwendigen Investitionen aus dem Ausland und ihren eigenen politischen Anforderungen ein Gleichgewicht herstellen? Kann das Land ausländische Investoren für sich gewinnen, während die konservativen Machthaber ihren Konfrontationskurs beibehalten? Inwieweit werden die politischen Gegner Rouhanis, die für das Atomabkommen harte Kompromisse machen mussten, bereit sein, seine wirtschaftlichen Entscheidungen zu unterstützen?
Die Ultrakonservativen, die in den wichtigsten Angelegenheiten des Iran ohnehin das letzte Wort haben, halten die wirtschaftlichen Grundeinstellungen der Regierung Rouhani zum Teil für liberalistisch und neoliberalistisch und sind streng dagegen. Außerdem halten sie jegliche Form der Annäherung an den Westen für eine ernste Bedrohung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit des Landes. Kurz nach dem Wiener Atomabkommen, das die Aufhebung der internationalen Sanktionen einleitete, warnte der geistliche Führer des Landes Ali Khamenei vor dem „Eindringen der Feinde“. Diese würden die Gunst der Stunde ausnutzen und sich mit dem trojanischen Pferd der Wirtschaft in die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten des Landes einmischen.
Die andere Seite fordert deshalb einen nationalen Konsens im Bereich Wirtschaft. Genau eine solche parteiübergreifende Einigung hat auch die Atomeinigung ermöglicht. Nicht ohne Grund hat Rouhani deshalb bereits mehrfach von der Notwendigkeit einer zweiten „nationalen Einigung“ gesprochen. Der Präsident weiß besser als jeder andere, dass er nur mit dem Atomabkommen und ohne die Unterstützung seiner mächtigen politischen Gegner die Achillesferse seiner Regierung, die wirtschaftliche Schieflage, nicht beseitigen kann.
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Quelle: Eteamd
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani