Die gewaltige Waffe der Hardliner

Kaum hatte der letzte Präsidentenwahlkampf begonnen, setzte eine Verhaftungswelle gegen Administratoren reformorientierter Nachrichtenkanäle beim Messenger-Dienst Telegram ein. Dieser Dienst ist im Iran eigentlich verboten, doch er spielt bei Wahlen eine wichtige und entscheidende Rolle. Nach offiziellen Angaben gibt es rund 15 Millionen Telegram-Nutzer im Land.
Die Wahl ist längst vorbei, Rouhani gewann trotz aller Einschränkungen, doch seit mehr als hundert Tagen sitzen zwölf Administratoren weiterhin ohne Anklage und ohne Besuchsmöglichkeiten in Haft. Rouhanis Minister, Parlamentsabgeordnete und die Familien der Inhaftierten haben gegen diese Verhaftungen protestiert – ohne Ergebnis. Sechs der Inhaftierten traten deshalb vergangene Woche in einen unbefristeten Hungerstreik. Doch der Generalstaatsanwalt sagte am Samstag, für sie gebe es deshalb keine Anklage und keine Besuchsmöglichkeit, weil ihre Vernehmungen weiterhin andauerten.
Die Zeichen stehen auf Sturm
Und es ist zu befürchten, dass in den kommenden Wochen die „judikative Gewalt“ noch gewaltiger auftreten wird. Denn der Streit zwischen Revolutionsführer Khamenei und dem frisch gewählten Präsidenten nimmt an Härte zu. Der mächtigste Mann des Landes kann Rouhanis überwältigenden Wahlsieg nicht verdauen. Mehr als sechs Wochen sind seit der Präsidentenwahl vergangen, Dutzende Regierungs- und Staatschef der Welt haben Rouhani inzwischen zu seinem Sieg gratuliert. Doch Khamenei hat, genau wie US-Präsident Donald Trump, noch keinen Glückwunsch ausgesprochen.
Im Gegenteil: Er nutzt alle seine öffentlichen Auftritte für Attacken gegen Rouhani. Mal greift er ihn an, weil er keine Rezepte gegen die Wirtschaftsmisere habe, mal mokiert er Rouhanis nachgiebige Haltung gegenüber dem Westen. Seit zwei Wochen macht Khameneis „Feuerbefehl“ die Runde. Anfang Juni hat der Revolutionsführer seinen Studentenmilizen befohlen, in bestimmten Situationen ohne Angst vor gesetzlicher Strafverfolgung selbst zur Tat zu schreiten. In einer Audienz nannte er diese Studenten „Offiziere des weichen Krieges“ und forderte sie auf, bei „Fehlentscheidungen der Verantwortlichen“ selbst „die richtige Entscheidung“ zu treffen. Sie sollten „nach eigenem Gutdünken feuern“, empfahl Khamenei.
Der geistliche Führer des Landes ebne damit den Weg zu mehr Gewalt durch paramilitärische Schlägertrupps, fürchten Kritiker. In sozialen Netzwerken sprechen viele davon, dass der Ayatollah praktisch die gesamte iranische Bevölkerung für vogelfrei erklärt habe. Für den Islamexperten Mohsen Kadivar ist Khameneis „Feuerbefehl“ eine „Anstiftung zum Chaos“.
Bisher ist die Zeremonie zu Rouhanis Amtseinführung von Khamenei zwei Mal ohne Angabe von Gründen verschoben worden. Bei einer seinen letzten Ansprachen ermahnte er Rouhani, er müsse aufpassen, dass er nicht so ende wie der erste Präsident der Islamischen Republik. Abolhassan Bani Sadr hieß der und floh 1981 nach seiner Amtsenthebung nach Paris.
Und warum diese Härte?
Warum Khamenei den gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählten Präsidenten so massiv attackiert, ist rational kaum nachvollziehbar – zumal das Land im Inneren genug Probleme hat und die Gefahren aus dem Ausland fast täglich zunehmen. In dieser heiklen Situation hätte Khamenei für die Bewahrung seines Systems niemanden, der geeigneter wäre als Rouhani.
Nur Rouhani vermag es derzeit, mit Mäßigung im Inneren wie nach außen das Land vor dem Abgrund zu retten. Khamenei weiß, dass Rouhani ein Geistlicher ist, der Zeit seines Lebens an den Grundsätzen der Islamischen Republik festgehalten hat – Khameneis Führerschaft inklusive.
Doch die Spannung zwischen Rouhani und den Hardlinern hält an und auch die Revolutionsgarden melden sich in diesem Streit regelmäßig zu Wort.
Das ist auch die Zeit der „judikativen Gewalt“ und ihres Chefs Sadegh Larijani, der offenbar glaubt, irgendwann Führer der Islamischen Republik werden zu können.
  ALI SADRZADEH
Quellen: isna.ir/news , persian.iranhumanrights.org , ir.sputniknews.com , eur-lex.europa.eu , www.kaleme.com , reporter-ohne-grenzen.de , fararu.com , tabnak.ir , radiozamaneh.com
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