IS in Teheran? Innen- und außenpolitische Folgen der Terroranschläge

Wem nützen die spektakulären Terroraktionen in Teheran? Verschwörungstheorien füllen die Webseiten. Für Saudi-Arabien und seine Verbündeten sind diese Anschläge reine Inszenierung. Die Revolutionsgarden werden danach noch mächtiger werden. Präsident Rouhani hat eine schwere zweite Amtszeit vor sich. Er wird sich von seinen Versprechen für mehr Öffnung nach Innen und Außen einstweilen verabschieden müssen. Für die Mehrheit der IranerInnen beginnt eine harte Zeit.

„Lieber Onkel Napoleon“, auf Persisch: دایی جان ناپلؤن , war ein echter Straßenfeger. Wie gebannt saßen Ende der siebziger Jahre Millionen IranerInnen vor ihren Fernsehgeräten und sahen begeistert diese sowohl sozialkritische wie komödiantische Fernsehserie, die sich um politische Verschwörungstheorien drehte. Nach 16 Folgen kam jedoch das plötzliche Ende, denn dem Geheimdienst wurde die Sendung allmählich zu brisant. Das war zwei Jahre vor der islamischen Revolution im Iran. Und auch nach dieser Revolution steht die Serie samt ihres Drehbuchs auf dem Index. Doch der Spruch „Lieber Onkel Napoleon“ ist seitdem aus dem modernen Persisch nicht mehr wegzudenken, verewigt in Wörterbüchern steht er für Verschwörungstheoretiker schlechthin. Und jeder, der etwas über Komplotttheorie sagen oder schreiben will, kommt an diesen drei Wörtern nicht vorbei. So auch angesichts der jüngsten spektakulären Terroraktionen in Teheran.

Es war Mittwochnachmittag gegen 15 Uhr. Zu dieser Zeit war der Doppelanschlag noch im vollen Gange, die Schießereien im Parlament liefen noch, da rief mich mein Redakteur an und bat um einen Beitrag über diese Terroraktion. Ich müsse mich beeilen, sagte er, und fügte hinzu, die „liebe Onkels Napoleon“ seien in den sozialen Medien schon am Werk. Ich begriff, dass ich tätig werden musste. Aber wie?

Widersprüche von Anfang an

Denn es gab schon in den ersten Minuten dieser Terrorattacke genug Spekulationsmaterial für viele „liebe Onkels“. Wohl auch deshalb, weil selbst seriösen Journalisten gar keine andere Möglichkeit bleibt als zu spekulieren. Denn die Informationspolitik der islamischen Republik ist so undurchsichtig und widersprüchlich, dass sie jedem Verschwörungstheoretiker allerlei Türen und Tore öffnet.

Immer noch wissen wir weder über den wahren Hergang der Tat Genaues noch über die Zahl der Täter. Offizielle Informationen und Erklärungen widersprechen sich diametral.  Nur einige Beispiele dafür: Das Innenministerium Spricht von drei Tätern, Revolutionsgarden von vier und Geheimdienstministerium von fünf . Alle Attentäter seien getötet worden, sagte die Regierung am Ende der Aktion: Nein, eine Terroristin sei mitsamt ihrem Sprenggürtel verhaftet worden, widerspricht der Vorsitzende der Parlamentskommission für Sicherheitsfragen. Und auf den vom IS verbreiteten Videos sprechen die Attentäter ein so merkwürdiges Arabisch, dass es jedem normalen Araber wie Theater und Fälschung vorkommen muss.

Iranische Nachrichtenseiten veröffentlichten dieses Foto - angeblich einer der Angreifer, der verhaftet worden sei
Iranische Nachrichtenseiten veröffentlichten dieses Foto – angeblich einer der Angreifer, der verhaftet worden sei! – Foto: rokna.ir

Symbolische Orte

Der Doppelanschlag von Teheran wirft jedenfalls viele Fragen auf. Und er wird ernste Konsequenzen haben, innen- ebenso wie außenpolitisch. Erste unbeantwortete Fragen betreffen etwa die Orte der Anschläge. Die Terroristen töteten in Teheran nicht wahllos Zivilisten auf den Straßen, so wie in London, Paris oder Berlin, sondern griffen besonders bedeutende Orte an – obwohl nach der Ideologie des IS Schiiten eher den Tod verdienen als Christen. Das Parlament und das Mausoleum des Republikgründers Ayatollah Khomeini haben unermessliche symbolische Bedeutung für die Islamische Republik. Und genau deshalb gehören sie zu den bestbewachten Plätzen des Iran. Die Sicherheit des Parlaments obliegt den Revolutionsgarden, die sich rühmen, mächtig, effektiv und unersetzlich zu sein.

Leibesvisitationen und Metalldetektoren

Bevor man in das iranische Parlamentsgebäude gelangt, muss man sich gründlichen Leibesvisitationen unterziehen. Wie also konnten vier mit Kalaschnikows bewaffnete kräftige Männer bis zur fünften Etage gelangen und sich dort fünf Stunden lang eine heftige Schießerei mit Sicherheitskräften liefern? Die „hünenhaften“ Terroristen seien als verhüllte Frauen ins Gebäude gelangt, sagen die verantwortlichen Behörden. Doch auch das wäre unnütz, denn nach den Leibesvisitationen müssen Parlaments-BesucherInnen drei elektronische Schranken mit Metalldetektoren passieren. Auch Khomeinis Grab wird ständig und stark bewacht.

Man könnte über diese und zahlreiche andere Widersprüche dieser Terroraktion noch etliche Seiten füllen, doch lassen wir das, sonst besteht die Gefahr, dass wir uns am Ende in einen neuen „Onkel Napoleon“ verwandeln.

Teheran doch nicht sicherste Ort der Welt

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