Die gewaltige Waffe der Hardliner

Wenn Gerichtsbarkeit eine Sache des Allmächtigen ist, dann müssen seine Stellvertreter Recht sprechen. Also krempelte Khomeini das alte Justizministerium um und ernannte einen Ayatollah zum Chef der judikativen Gewalt. In der neuen Verfassung ließ er festschreiben, dass an der Spitze der Justiz ein „مجتهد جامع الشرایط ‚“, eine „Quelle der Nachahmung“, zu stehen habe, und dass die Justiz, wo nur islamisches Recht gesprochen werde, allein dem Revolutionsführer unterstehe.
So wurde die judikative Gewalt zu einer Domäne der Geistlichen – und einem effektiven Rüstzeug des Revolutionsführers.
Eine Mammutbehörde
Solange Khomeini lebte, diente diese Gewalt dazu, die Gegner der islamischen Republik zu bekämpfen. Doch sein Nachfolger Ali Khamenei ging noch einen Schritt weiter und baute die judikative Gewalt zu einer uneinnehmbaren Bastion der Hardliner aus. Der Chef der Justiz wird für fünf Jahre ernannt, doch Ayatollah Larijani ist seit 13 Jahren Chef der Mammutbehörde. Für diese arbeiten 130.000 Beschäftigte, die 14 Millionen Akten verwalten und 300.000 Gefangene beaufsichtigen.
Der Spross einer Familiendynastie will mehr
Ihr oberster Chef, der 56-jährige Larijani, dessen Rang als Ayatollah unter Gelehrten höchst umstritten ist, gehört zu einer der mächtigsten Familiendynastien des Gottesstaates. Sein älterer Bruder Ali ist Parlamentspräsident, die anderen drei Brüder bekleiden ebenfalls wichtige Posten an der Spitze des Staatsapparates. Sadegh genießt das Vertrauen des Revolutionsführers, ihm steht ein General der Revolutionsgarden als Vize zur Seite.
Und immer, wenn der Chef der Judikative zu einer Pressekonferenz einlädt, wissen die Journalisten, dass es um ein innen- oder außenpolitisches Thema gehen wird. Rechtsthemen kommen bei solchen Presseterminen entweder gar nicht oder nur am Rande zu Sprache.
Khameneis Nachfolge
Seit etwa einem Jahr wird im Iran wegen einer Krankheit Khameneis teils sehr offen und teils in Andeutungen über seinen möglichen Nachfolger spekuliert. Und jedes Mal erwähnen einige Beobachter auch den Namen Sadegh Larijani, während andere darüber nur schmunzeln.

Ayatollah Khamenei wurde im September 2014 an der Prostata operiert - Foto: Rouhani besucht ihn im Krankenhaus
Khamenei wurde im September 2014 an der Prostata operiert – Foto: Rouhani besucht ihn im Krankenhaus

 
Denn für sie ist Larijani weder ein Ayatollah noch besitzt er das nötige Charisma für diesen Posten. Sie halten ihn für einen einfachen Technokraten, einen naiven Befehlsempfänger. Es ist aber möglich, dass Larijani sich tatsächlich als den künftigen Revolutionsführer wähnt – und sich deshalb fast täglich zu Wort meldet, hauptsächlich gegen Präsident Rouhani. Larijanis Ambitionen nehmen offenbar selbst manche russischen Diplomaten ernst, die einen direkten Draht zum iranischen Machtzentrum haben. Als Staatsoberhaupt Khamenei vor drei Jahren ins Krankenhaus musste, zitierten Sputnik News und Radio Moskau russische Experten, die Sadegh Larijani als künftigen Revolutionsführer erwähnten.
Wie auch immer, wegen massiver Menschenrechtsverletzungen steht Sadegh Larijani mit weiteren acht Personen auf einer Boykottliste der Europäischen Union.
In der Öffentlichkeit tritt Sadegh Larijani als effektivster Oppositionsführer gegen Präsident Rouhani auf, einer, der Rouhani nicht nur verbal, sondern auch praktisch die Stirn bietet. Und seine „judikative Gewalt“ ist dabei seine Waffe.
Jeder hat seinen Richter
Es würde ein sehr dickes Buch ergeben, wollte man all die Prozesse aufzählen, die Larijanis Behörde in den vergangenen 13 Jahren gegen die Reformer angestrengt hat. Und mehrere Bände kämen dazu, könnte man die Schicksale all jener Journalisten, Anwälte und Studenten beschreiben, die oft mit fadenscheinigen Argumenten verurteilt und für Jahre eingesperrt wurden. Im Reich Larijanis gibt es mehrere Arten von Revolutionsgerichten: jene, die sich auf Verfahren gegen Aktivisten der nationalen Minderheiten spezialisiert haben; jene, die sich mit Oppositionellen im Ausland beschäftigen; und jene, die sich ausschließlich Anwälte, Journalisten oder Aktivisten der Zivilgesellschaft – also Reformer – vornehmen.
Für Geistliche, die sich oppositionell betätigt oder andere Verfehlungen begangen haben, gibt es eine eigene Gerichtsbarkeit, getrennt von der für den Rest der Bevölkerung.
In Haft wegen Telegram
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