Eine „Bibel“ und der islamische „Gottesstaat“

Hier werden die Wissenschaftler zu Pragmatikern und zählen praktische Schritte auf, mit denen die USA der unweigerlich kommenden Revolution im Iran behilflich sein könnten. Die Bandbreite ihrer Empfehlung ist lang und bunt. Sie reicht von freiem, überall und für jeden zugänglichem Internet bis zur Unterstützung verschiedener Oppositionsgruppen im In- und Ausland und dem Einsatz der CIA, um Überläufer aus den höheren Ränge des Regimes zu gewinnen.

Ob all dies aber nicht zu einem Bürgerkrieg führe, der aus dem Iran ein zweites Syrien, Libyen oder einen zweiten Irak mache könnte – diese Frage werfen die Autoren selbst auf. Und räumen in ihrer Antwort die Besorgnis beiseite, indem sie die historischen und politischen Unterschiede zwischen dem Iran und den genannten Ländern beschreiben.

Über diese lesenswerte Analyse ließe sich viel diskutieren. Nicht alles, was die Autoren für Gewissheit halten, ist ohne weiteres gewiss, auch die nächste Revolution nicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Doch die Autoren bezwecken mit ihrer Analyse zweierlei: Zum einen wollen sie Donald Trump verständlich machen, dass der Iran nicht Nordkorea ist und er nicht ständig von einem Deal reden solle. Denn in Wahrheit führe seine Iran-Politik ja doch unweigerlich zu einem Zusammenbruch des Regimes, einem Regime Change also. Daher wäre es besser, die Dinge beim Namen zu nennen.

Teheran hört auf die „Bibel“

Doch viele wichtiger scheint den Autoren den Blick in Richtung Iran. Denn sie wissen, dass es auch in den Teheraner Machtzirkeln Menschen gibt, die die Foreign Affairs sehr ernst nehmen. Etwa Außenminister Mohammed Javad Zarif.

Und sie haben recht. Einen Tag nach dem Erscheinen ihres Artikels geschah etwas Außergewöhnliches. Die Webseite Iran Diplomacy, die sich vor allem mit Außenpolitik beschäftigt und in der gelegentlich auch Moderate zu Wort kommen, führte mit einem Politologen der Teheraner Universität ein ausführliches Gespräch über die USA.

Eric Edelman und Ray Takeyh: Ein Krieg gegen den Iran würde auch den Interessen der USA schaden!
Eric Edelman und Ray Takeyh: Ein Krieg gegen den Iran würde auch den Interessen der USA schaden!

Der Titel dieses Interview war für iranische Verhältnisse aufsehenerregend, ja revolutionär. Er lautete: „Kein Ausweg aus der Corona-Krise ohne Verhandlung mit Amerika“.

Der Professor beschrieb ausführlich und realistisch die amerikanische Außenpolitik in Zeiten des Wahlkampfes. Solange der in den USA laufe, blieben die Sanktionen bestehen und der Iran könne und dürfe nicht auf eine Niederlage Trumps spekulieren. Und auch wenn Joe Biden die Wahl gewinnen sollte, dürfe man nicht hoffen, dass die Sanktionen schnell gelockert würden. Sollte aber Trump wieder gewinnen, was sehr wahrscheinlich sei, dann stünde der Iran noch schlechter da als heute. Sein Fazit: Gerade jetzt, in den Tagen des Wahlkampfs, wäre es klug, Verhandlungssignale Richtung Washington zu senden.

Die Antwort der Garden

Lauschte aber auch jemand dem moderaten Professor? Natürlich. Zwei Tage nach dem Interview näherten sich im Persischen Golf elf Schnellboote der Revolutionsgarden Kriegsschiffen der US-Marine. Zwei Tage später erklärte Donald Trump über sein Lieblingsmedium Twitter: „Ich habe die US-Marine angewiesen, jedes iranische Kanonenboot abzuschießen und zu zerstören, das unsere Schiffe auf offenem Meer schikaniert.“ Einige Stunden später drehten die Revolutionsgarden dann die Spirale ihrer Provokation und Machtdemonstration weiter und schickten einen Satelliten ins All.

Nun solle sich der UN-Sicherheitsrat mit der neuen Spannung zwischen Teheran und Washington befassen, fordert US-Außenminister Mike Pompeo – als ob alle dabei sind, die These der Foreign Affairs-Autoren zu bestätigen: Die Islamische Republik sei eher eine revolutionäre Bewegung als ein Staat.♦

  Persischsprachige Quellen: irdiplomacy , iran-emroozirdiplomacy

© Iran Journal

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