Soziale Folgen der Corona-Pandemie im Iran

Die Corona-Pandemie bedroht im Iran Reiche und Arme, Mächtige und Unterprivilegierte nicht gleichermaßen. Im Gegenteil: Die sozialen Gegensätze sind in diesen Zeiten noch deutlicher und härter zu spüren.

 Von Nasrin Bassiri

Erst nannte Ayatollah Ali Khamenei das Coronavirus eine „biologische Waffe der USA“, die die iranischen Parlamentswahlen am 21. Februar verhindern sollte. Kurz darauf tat das religiöse Staatsoberhaupt des Iran das Virus dann als „Lappalie“ ab: Es sei „kein großes Unglück“, sagte er: Der Iran habe „mit wichtigeren Problemen zu kämpfen.“ Das Virus, so der oberste Geistliche des Iran, könne mit Beten und dem Beistand der Imame und Heiligen beseitigt werden: „Wenn ich konkret gefragt werde, empfehle ich das siebte Gebet von Sahifeh Sajjadieh.“

Khameneis Reden werden stets vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt. Mit diesen sorgte der Ayatollah für Heiterkeit. Denn die iranische Bevölkerung ist mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren jung, und sie ist gut gebildet. Das Coronavirus als von den USA entwickelte Waffe zu bezeichnen und gegen die Epidemie ein Gebet zu empfehlen, fasste sie als peinliche Äußerung eines Staatsmannes auf.

Zwischen Arbeitslosigkeit und Brain-Drain

Jung und gut gebildet – aber deshalb noch lange nicht ökonomisch gut gestellt. Das iranische Amt für Statistik sprach 2018 von 13,2 Millionen Hochschulabsolvent*innen – bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 82 Millionen Menschen – und berichtete kürzlich, 7,6 Millionen von ihnen seien heute in Beschäftigung.

Die Arbeitslosigkeit ist bei IT-Absolvent*innen mit 41 Prozent am höchsten!
Die Arbeitslosigkeit in der Islamischen Republik ist bei IT-Absolvent*innen mit 41 Prozent am höchsten!

Doch das sind nicht unbedingt gute Jobs für die jungen Akademiker. Die Nachrichtenwebseite Dawatonline berichtete 2018 über den promovierten Städtebauingenieur Moslem Najafi, der als Hilfskraft bei der Stadtreinigung in Kermanshah beschäftigt ist und dort mit einer Reinigungsmaschine die Straßen sauber hält. Najafi, der verheiratet ist und einen zweijährigen Sohn hat, bekommt dafür monatlich 1,5 Millionen Tomanl, umgerechnet 90 Euro. Das reiche kaum, um Milchpulver und Windeln für seinen Sohn zu bezahlen, sagt der junge Ehemann. Doch als Lehrer an der Hochschule habe er pro Semester 150.000 bis 200.000 Toman Gehalt erhalten – umgerechnet neun bzw. 12 Euro.

Über ähnliche Fälle berichten auch das staatliche Fernsehen und zugelassene Zeitungen: promovierte Akademiker, die als Tagelöhner auf Baustellen, als Taxifahrer oder Reinigungskräfte ihre Familien ernähren müssen.

Saied Namaki, der stellvertretende Direktor für allgemeine und soziale Entwicklung bei der Behörde für Planung und Management, sagte im April 2018 laut der Nachrichtenagentur ISNA, 42 Prozent der Hochschulabsolvent*innen im Iran seien arbeitslos. Angst vor der Arbeitslosigkeit hält Namaki für verantwortlich für den Brain-Drain – also die Auswanderung von Hochqualifizierten aus dem Iran.

Laut Negaamnews war die Arbeitslosigkeit im Oktober 2019 bei IT-Absolvent*innen mit 41 Prozent am höchsten, gefolgt von Umweltfächern mit knapp 38 Prozent, Kunst mit 28 Prozent und Physik und naturwissenschaftlichen Fächern mit 27,8 Prozent.

Kaum Hilfe für Geschädigte

Doch die gespaltene iranische Führung ist anders als einige europäische Staaten nicht in der Lage, durch Corona in Not geratene Arbeitslose, Geringverdiener oder Kleinunternehmer*innen effektiv zu unterstützen. Dafür sind die Wirtschaftssanktionen, aber auch die rivalisierenden Machthaber um Ayatollah Khamenei verantwortlich, der uneingeschränkt Macht ausüben kann, aber niemandem Rechenschaft schuldig ist. 

Nach den Unruhen im November 2019 infolge von Benzinpreiserhöhungen hat die iranische Regierung die Unterstützung für Menschen, die staatliche Hilfe benötigen, erhöht. Das sind nach Schätzung des iranischen Wirtschaftsmagazins Eghtesadonline vom März 2020 über 19 Millionen Familien und damit etwa 78 Millionen der zur Zeit etwa 83 Millionen Einwohner*innen Irans. Die monatlichen Zuschüsse betragen für eine Person umgerechnet 11 Euro, eine 5-köpfige Familie erhält 42 Euro. Dabei werden nur bis zu drei Kinder bezuschusst, mehr als drei Kinder werden nicht berücksichtigt.

Seit Mitte März erhielten die Betroffenen zusätzlich viermal zinsgünstige Darlehen in Höhe von umgerechnet 60 Euro, die sie mit bis zu 12 Prozent Zinsen zurückzahlen müssen Ein fünftes Mal soll der Zuschuss für den Fastenmonat Ramadan ausgezahlt werden, sagte Rouhani am 15. April in einer Rede.

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