Eine Flutwelle wird zum Politikum
Seit über drei Wochen regnet es in verschiedenen Regionen des Iran in Strömen. 24 der 3 1 Provinzen des Landes sind von Überschwemmungen betroffen. Während die Zahl der Opfer steigt, wird die Hilfe der Regierung von der Bevölkerung kritisiert. Die Hardliner um die Revolutionsgarde und die so genannten Moderaten um Staatspräsident Hassan Rouhani rivalisieren bei den Hilfeleistungsstrategien und kämpfen um die Gunst der Bevölkerung. Ein makaberer Machtkampf.
Von Nasrin Bassiri
Einer der Videoclips, die in den vergangenen Tagen im persischsprachigen Internet kursierten, zeigt Mohammad Pakpour, den Chef der Bodenstreitkräfte der iranischen Revolutionsgarde. Er hat sich in die überflutete Provinz Lorestan begeben, anscheinend den Katastrophenopfern Hilfe geleistet und berichtet nun telefonisch seinem Vorgesetzten , Mohammd Ali Jafari. Mit schlammigen Hosenbeinen kritisiert er die „nicht ausreichende Hilfeleistung“ der Regierung: „Es gibt viele Probleme hier, aber kein Management!“ Die Regierungsbeamte würden sich nicht trauen, sich hier blicken zu lassen, „so schlimm ist die Lage. Die Leute sind aufgebracht.“ Der Clip sieht aus wie ein No-Budget-Werbespot für die Revolutionsgarde – und so wird er auch von den Aktivist*innen der sozialen Netzwerke bewertet.
Die staatliche „Organisation für Krisenbewältigung “ nannte Pakpours Äußerungen „demoralisierend“ und „Grund zu Freude für die Feinde der Revolution“. Hesameddin Ashna, Berater von Präsident Hassan Rouhani, twitterte: „Telefongespräche zu offiziellen Pressegesprächen umzufunktionieren, die bisher geleisteten Dienste herunterzuspielen, Menschen zu verunsichern und den Feinden Freude zu bereiten ist nicht gerade weise.“
Unsinnige Aktionen
Rouhani selbst hatte zuvor die Revolutionsgarde kritisiert, weil diese Eisenbahnschienen in der Provinz Golestan gesprengt hatte. „Ich habe mit eigenen Augen aus dem Hubschrauber heraus sehen können, dass die Sprengungen nichts brachten, das Hochwasser wurde lediglich von einer Seite der Schienen auf die andere Seite verlagert. Nun steht statt der Stadt Aghghala die Nachbarstadt Gomishan unter Wasser.“
Video: Hochwasser in der Stadt Khorramabad, Hauptstadt der Provinz Lorestan
Der Oberkommandant der Revolutionsgarde Mohammad Ali Jafari kritisierte dagegen die Art der staatlichen Hilfeleistungen. „Das Krisenmanagement vom Schreibtisch aus ist langsam und schwerfällig und läuft zentriert ab. Es bleibt, wenn die Anforderungen groß sind, zurück.“ Solches „passives Management“ mit „schwerfälliger Entscheidungsfindung und träger Durchführung“ könne die Probleme nicht lösen. Ein „jihadistischer Führungsstil“ hingegen werde zu einer „landesweiten Beschleunigung“ der Hilfe führen, so Jafari.
Im Internetportal einer Hardliner-Gruppe, die sich „Club junger Journalisten“ nennt, ist zu lesen: „Einige Beamte sind mit fragwürdigen Rechtfertigungen ihren Pflichten nicht nachgekommen.“ Eine „beachtliche Anzahl junge Jihadisten“ zeige aber Präsenz und stehe „an der Seite der Flutopfer und lokalen Verantwortlichen“ und leiste Hilfe.
Wut in den Katastrophengebieten
In sozialen Medien kursieren Videos verletzter Menschen in den Überflutungsregionen. Ein Bild zeigt ein großes handgeschriebenes Plakat am Eingang einer Ortschaft: „Bei uns war keiner, uns wurde nicht geholfen, von niemandem“, steht darauf.
Video: Hochwasser in der Provinz Khuzestan
Wenn Helfer kommen – ganz gleich, welchem Lager sie angehören, Hardliner oder Regierungskräfte – , sehen wir oft Bilder, auf denen Flutopfer sie angreifen oder verjagen. Wir sehen Notleidende, die beklagen, keinerlei Hilfe erhalten zu haben, oder sie erklären, „Helfer“ seien gekommen, um Selfies zu machen und wieder zu verschwinden. Ein zorniger junger Mann aus der Provinz Mazandaran im Nordiran fragt, warum sich das religiöse Staatsoberhaupt Ali Khamenei am dreizehnten Tag des neuen Jahres – ein Festtag im Iran – lächelnd ins Bild gesetzt habe, als ob alles in bester Ordnung wäre und es Blumen aus dem Himmel regnen würde. Er erinnert sich: „Vor einiger Zeit, als in Pakistan Hochwasser tobte, hat derselbe Herr sein schwermütiges weinerliches Gesicht aufgesetzt, so als ob sein Sohn gerade gestorben sei. Nun leidet unsere Bevölkerung, die Menschen hungern, und er tut so, ob alles in Ordnung sei.“
Auch eine ältere Frau aus dem Südiran greift Khamenei in einem Video an: „Du sitzt da oben unberührt wie eine Stein-Statue. Die Bevölkerung hat die Nase voll von Dir!“ Die Menschen um sie zeigen amüsierte und furchtlose Gesichter. In einem anderen Video ist zu sehen, wie der Oberkommandant Jafari attackiert und beschimpft wird.
Böse Zungen im Iran behaupten, die Verantwortlichen ließen sich nun allein deshalb öfter in den Katastrophengebieten sehen, weil sie Angst vor einem Aufstand der Betroffenen haben.
© Iran Journal
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