Im Iran schreiben, in Deutschland veröffentlichen

Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran spielen sich nicht nur auf dem großen diplomatischen Parkett ab oder in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen oder Universitäten. Auch im Kleinen, auf der individuellen Ebene haben sich grenzüberschreitende Beziehungen entwickelt. Etwa zwischen Künstlern und Galerien, zwischen Autoren und Verlagen. 

Grenzüberschreitend können sie im doppelten Sinn des Wortes sein: indem sie iranischen Kulturschaffenden ermöglichen, die strengen Regeln der Islamischen Republik zu unterlaufen oder zu umgehen.
Ein Beispiel dafür ist der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan. Im Iran hat der 62-jährige Autor seit 15 Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht. Denn Cheheltan will weder Politik noch Erotik aus seinen Werken verbannen, wie es die Zensur dort vorschreibt. Deshalb veröffentlicht er seine übersetzten Werke in Deutschland, acht Bücher von ihm sind in deutscher Sprache erschienen. Auch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier gehört zu seinen Leser*innen. Im März lud er Cheheltan ein, um über seinen Roman „Der Kalligraf von Isfahan“ zu sprechen. Nasrin Bassiri hat den Schriftsteller für Iran Journal  interviewt.

Iran Journal: Herr Cheheltan, Sie schreiben für deutschsprachige Medien und haben zahlreiche Romane in Deutschland veröffentlicht. Warum gerade hier? Haben Sie Deutschland gewählt oder hat Deutschland Sie gewählt?

Amir Hassan Cheheltan: Eher hat Deutschland mich gewählt. Alles begann damit, dass meine Artikel im deutschsprachigen Raum erschienen – der erste vor 20 Jahren in der Süddeutschen Zeitung, als im Iran gerade die Kettenmorde an Schriftstellern und Oppositionellen verübt wurden. Danach bat mich Verona Lögen, die Iran-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sie zu kontaktieren, wenn ich einen Artikel zur Veröffentlichung in Deutschland hätte. Später sprach ein kleiner Verlag, Kirchheim, meine Übersetzerin Susanne Baghestani an und bekundete Interesse, einen meiner Romane in Deutschland zu veröffentlichen.

Sie leben im Iran, sind aber viel unterwegs.

Ich lebe mit meiner Frau in Teheran, bin aber oft auf Reisen und viel in Deutschland. Ich reise gerne und schätze die kulturellen Möglichkeiten, die andere Länder mir bieten. Ich habe zwei Jahre mit einem Stipendium vom „International Parliament of Writers“ in Italien gelebt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD hat mir einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Sechs Monate war ich Gast der Heinrich Böll Stiftung in der Villa Aurora in Los Angeles. Und ich halte mich auf Lesereisen oft für kürzere Zeit in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien auf.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche iranische Romane in andere Sprachen übersetzt, es scheint aber, dass Sie den Rekord halten. Woran liegt das?

Mir fällt es schwer, zu sagen, was meine Arbeit von der anderer Kolleg*innen unterscheidet. Vermutlich liegt es daran, dass meine Romane im städtischen Milieu spielen. Vielleicht sind sie wegen meiner Erzählsprache einfacher zu übersetzen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich durch meine Artikel präsenter bin als meine Kolleg*innen.

Sie schreiben in Farsi und das, was Sie bewegt, geschieht im persischen Sprachraum. Dennoch haben Sie die Weltbürger*innen im Blick – wie geht das?

Buchcover
Buchcover

Natürlich bin ich in erster Linie Iraner. Meine Sprache ist Persisch, ich kann in keiner anderen Sprache der Welt eine Erzählung schreiben. Ich bin im Iran aufgewachsen und sozialisiert worden und verstehe die Welt in persischer Sprache. Aber ich kann auch nicht sagen, dass ich lediglich meine Landsleute im Sinn habe, mit denen ich die Sprache und die Sorgen teile. Denkt man lokal, wird eine Trennlinie gezogen zwischen „uns“ und „den anderen“. Ich weiß aber, dass wir alle, ganz gleich, wo wir herkommen, globale Anliegen und Sorgen teilen – etwa Liebe, Einsamkeit, Auswanderung, Trennung. Das verbindet lokale Bürger mit globalen Weltbürgern. Die Welt ist heute nicht nur wirtschaftlich zusammengewachsen; es geht nicht mehr an, dass wir uns kulturell und literarisch isolieren. Ich sehe mich als Weltbürger.

Wie funktionieren Ihre Lesungen in Europa? Die Zuhörer*innen verstehen doch kein Persisch.

Ich lese zuerst einige Zeilen in Farsi, damit die Zuhörer*innen einen Eindruck erhalten, wie der Originaltext klingt. Danach liest ein Schauspieler oder Moderator längere Passagen auf Deutsch, und das Gespräch danach findet in englischer Sprache statt.

Wie kam es zu Ihrer Einladung beim deutschen Bundespräsidenten?
Fortsetzung auf Seite 2