Biden muss im Nahen Osten Reparaturarbeit leisten

Nach Trumps Abgang wird dessen „Friedenspolitik“ unverhüllt dastehen. Sie diente vor allem amerikanischen Interessen. Biden wird es schwer haben mit diesem Erbe – auch in Bezug auf das Atomabkommen mit dem Iran. Ein Kommentar von Peter Philipp.

Das offizielle Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen stand noch nicht fest, da hatten Beobachter, Kommentatoren und sicher auch Politiker im Nahen Osten längst begonnen, sich Gedanken zu machen über die sich immer deutlicher abzeichnende Zeit nach Trump. Und für manche von ihnen dürften dabei ernüchternde Erkenntnisse entstanden sein. Vor allem in Israel, wo der nationalistische Premier Netanjahu nun „seinen besten Kumpel in Washington“ (so die linksliberale Tageszeitung „Haaretz“) zu verlieren droht. Zwar sage man Netanjahu gute Beziehungen zu Biden nach, aber das Blatt warnte auch, er werde nicht mehr – wie bei Trump – „seinen eigenen Schlüssel zum Weissen Haus haben“.

Netanjahu scheint dies auch schmerzhaft bewusst geworden zu sein. So war er einer der letzten unter Israels Politikern, die Biden am Samstag zum Wahlsieg gratulierten. Er tat es – wie bei Trump gelernt – auf Twitter und mit der bewusst kumpelhaft gehaltenen Anrede „Joe“. Seit vierzig Jahren kenne man einander und diese guten Beziehungen sollten nun weiter gepflegt werden.

Spekulationen um „Abschiedsgeschenke“ Trumps

Netanjahu scheint seiner Sache aber nicht so sicher zu sein. Denn immerhin ist ja nicht auszuschliessen, dass Trump vor der endgültigen Amtsübergabe am 20. Januar noch einige Überraschungen in petto hat. So könnte er Netanjahu grünes Licht geben für die oft beschworene, dann aber wegen der Präsidentschaftswahl auf Eis gelegte Annexion grosser Teile des Westjordanlandes; ebenso wäre ein anderes „Abschiedsgeschenk“ denkbar, das Netanjahu bei möglichen Neuwahlen Anfang des Jahres nützen könnte: Rückendeckung für eine israelische Militäroperation gegen den Iran.

Solche und ähnliche Spekulationen kursieren gegenwärtig in Israel. Wobei allen doch auch klar sein dürfte, dass die bisherigen Geschenke Trumps gegenüber Israel weniger aus Sympathie für Netanjahu als eher aus Eigennutz gemacht wurden: Die Anerkennung der Annexion der syrischen Golanhöhen, die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die (vorübergehende) Zustimmung zur Annexion im Westjordanland und schliesslich die Normalisierungsverträge zwischen Israel, den Emiraten, Bahrein, Oman und (geplant) dem Sudan. Alle diese Massnahmen waren offiziell Teil eines von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner konzipierten Friedensplans. Besonders die vermeintlichen Friedensverträge aber sollten Washingtons Position gegenüber dem Iran stärken und gleichzeitig umfangreiche US-Waffenexporte ermöglichen.

So kommt es nicht von ungefähr, dass fast zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl dem Kongress mitgeteilt wurde, dass Washington die Lieferung weiterer Kampfflugzeuge und moderner Waffensysteme – wie Drohnen – an die Emirate beabsichtige. Bisher gibt es zwar keine offizielle Bestätigung dafür und es ist nicht sicher, ob der Kongress dem nach Verlauf und Ausgang der Wahlen noch zustimmen würde. Wenn ja, dann wäre das grünes Licht für Israel, selbst noch bessere Waffensysteme in Washington zu ordern. Und wenn nicht, dann könnten zumindest die Emirate ihren eben noch gefeierten Vertrag mit Israel in der Schublade verschwinden lassen.

Annäherung der USA an Iran?

Vor allem würden solche Faits accomplis auch Trumps Nachfolger Biden den Neustart erschweren. Bisher hat er sich nicht in der Öffentlichkeit dazu geäussert, aber man sagt ihm nach, dass er sich im Rahmen der notwendigen „Reparaturarbeiten“ in Nahost um eine erneute Annäherung Washingtons zu den Palästinensern bemühen und deswegen die Aktivitäten der nahöstlichen Trumpisten mässigen wolle. In erster Linie die des israelischen Ministerpräsidenten.

Aber nicht genug damit: Es hält sich das Gerücht, dass Biden auch versuchen könnte, zu dem von Trump verlassenen Atomabkommen mit dem Iran zurückzukehren – wie er ja auch dem Umweltabkommen von Paris wieder beitreten will. Trump hatte wiederholt erklärt, er werde nach einer Zeit massiven wirtschaftlichen Drucks auf den Iran bereit sein, Verhandlungen mit Teheran über ein umfassenderes Abkommen aufzunehmen. Im Iran wollte und konnte man ihm solches aber nicht glauben. Einmal, weil Misstrauen und Feindschaft zwischen Teheran und Washington allein schon aus historischen Gründen weiterhin zu gross sind, zum anderen, weil man Trump auch und erst recht in Teheran nicht über den Weg traute.

Vor diesem Hintergrund wird mehr als deutlich, welch schweres Erbe Joe Biden bei seiner Amtsübernahme antritt und er wird dabei jede Unterstützung brauchen. Vielleicht Grund genug für all die Staaten und Regierungen, die bisher mit Trump überquer lagen, nun seinem Nachfolger die Hand zu reichen.♦

Peter Philipp

© Journal21

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