Der Wiener Nukleardeal und Khameneis Überlebensstrategie

Der Wiener Atomdeal wird als Teil einer größeren Strategie zur Annäherung zwischen dem Iran und den USA und „der Zähmung der Islamischen Republik“ bezeichnet. Genau davor hat Irans Revolutionsführer Ali Khamenei Angst. Anders der Staatspräsident Hassan Rouhani. Eine Annäherung an den einstigen „Erzfeind“ würde seine Popularität national und international steigern. Lässt Khamenei das zu? 

Von Mehran Barati

Der Thermidor bezeichnet im Französischen den zweiten Monat des Sommerquartals gemäß dem Kalender der französischen Revolution. Die Absetzung Maximilien Robespierres Ende Juli 1794 bezeichnet man nach diesem Monat ebenfalls als Thermidor. Am 8. Thermidor (26.Juli) 1794 hatte Robespierre Abgeordnete der französischen Nationalversammlung in einer Rede mit dem Tode bedroht. Viele von ihnen fühlten sich so bedroht, dass ihre große Mehrheit am 9. Thermidor beschloss, Robespierre zu verhaften. Am folgenden Tag wurde er mit 21 seiner Anhänger hingerichtet. Die nachfolgenden, weniger radikalen Politiker wurden dann folgerichtig als „Thermidorianer“ bezeichnet.
Mit Blick auf die dramatische Vorgeschichte der insgesamt zwölfjährigen Atomverhandlungen zwischen dem Westen und dem Iran und des drohenden militärischen Angriffs der USA und Israels auf die iranischen Atomanlagen ist die Wahl Hassan Rouhanis zum iranischen Präsidenten vor mehr als zwei Jahren zurecht als der Sieg der „Thermidorianer“ über die unversöhnlichen Revolutionäre bezeichnet worden. Hatte der gemäßigte Rouhani seine früheren radikalen Verbündeten im Machtapparat des Staates nicht kaltstellen können, so musste er wenigstens versuchen, für die Realisierung eines Atomabkommens mit dem Westen seine Widersacher zu neutralisieren. Das ist ihm nur in Ansätzen gelungen.
Schon Monate vor dem Ende der Wiener Atomverhandlungen hatten nicht wenige Verbündete von Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei vorausgesagt, sollten die Verhandlungen zum Erfolg führen, müsste der Grabgesang der Institution des „Obersten Gelehrten” gesungen werden. Anders gesagt: In der neuen weltpolitischen Stellung des Iran gäbe es dann für Khameneis Amt keinen Bedarf mehr.
Khamenei würde jedoch einen solchen Ausgang der Verständigung mit dem Westen nie dulden. So hat er sich kaum vier Wochen nach dem weltweit begrüßten Abschluss der Atomverhandlungen im Juli zu Wort gemeldet, um den „Thermindorianern“ des Landes den Krieg zu erklären.

Khameneis Angst vor den Folgen des Atomdeals

Dieses Foto kursiert seit Sonntag, den 24. November, in der persischsprachigen Internetgemeinde. Es zeigt den iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinen US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry beim Händeschütteln nach der "historischen Einigung" zwischen dem Iran und dem Westen zur Lösung des Atomkonflikts -. Foto: Fararu.com
Der Beginn einer neuen Phase in den Beziehungen zwischen dem Iran und den USA – Händeschütteln zwischen dem iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinem US-amerikanischen Amtskollege John Kerry am 24. November 2013 – Foto: Fararu.com

Am 17. August 2015 desillusionierte Khamenei die Bevölkerung seines Landes und dessen reformistisches Lager vor den Teilnehmern der “Weltversammlung der Anhänger der Prophetenfamilie” mit den Worten: „Der Feind, den wir nennen, ist keine Einbildung oder Halluzination. Wenn wir einen Namen nennen sollten, müssten wir das Regime der Vereinigten Staaten nennen.“ Die USA bildeten sich ein, mit den Atomverhandlungen einen Weg geöffnet zu haben, Einfluss im Iran zu gewinnen. „Diesen Weg werden wir geschlossen halten“, so Khamenei. Weder wirtschaftlicher noch politischer Einfluss der Amerikaner werde zugelassen: „Auch der kulturelle Einfluss ist ausgeschlossen, das alles werden wir mit aller Kraft verhindern.“ Auch in der Außenpolitik werde so verfahren, so der Revolutionsführer: „Unsere Regionalpolitik ist der der USA entgegengesetzt.”
Solche Worte Seyyed Ali Khameneis sind an sich nicht neu. Ähnliches hat er in den vergangenen Jahren oft gesagt. Neu ist die Frontstellung gegen seinen Staatspräsidenten Hassan Rouhani, der gerade die USA ins Land holen will. Rouhani weiß genau, dass die Sanktionen gegen den Iran ohne Verständigung mit den USA wieder aktiviert werden könnten. Hatte sich Khamenei in der Atomfrage alternativlos der Linie Rouhanis und dessen Außenminister Javad Zarifs angeschlossen, so bewertet er eine außenpolitische Öffnung des Iran als schleichende Auflösung der politischen Ordnung der Islamischen Republik. Während Rouhani “die Stabilität und positive Interaktion mit der Welt sowie die Rekonstruktion des positiven Gesichts des Iran in der öffentlichen Weltmeinung” zu den Errungenschaften seiner Regierung zählt, und die Investoren aus aller Welt einlädt, die alten und maroden iranischen Ölfelder zu sanieren und in die iranische Wirtschaft und Industrie zu investieren, betrachtet Khamenei eben diese Öffnung als Nische, in die sich „der Feind USA” einnisten und die Grundpfeiler der islamischen Macht von innen zersetzen würde.

Die Fragilität der Wiener Vereinbarung

Der Wille des Iran und der USA zu einer Einigung im Atomkonflikt war von Anfang an eher einem Zwang als einer strategischen Willensbekundung zur Entspannung geschuldet. Es gab einfach keine Alternative. Ein Scheitern der Diplomatie hätte US-Präsident Barack Obama nur den militärischen Weg offen gelassen. Doch selbst unter den Hardlinern in den USA gab es keinen, der davon ausging, dass ein militärischer Angriff die Iraner von ihrem nuklearen Weg abbringen würde. Aus der Sicht der Iraner war keineswegs ausgeschlossen, dass die USA und Israel einen militärischen Schlag gegen die iranischen Atomanlagen wagen und die hohen politischen und menschlichen Kosten einer solchen Militäraktion in Kauf nehmen würden. Der Westen wollte die Entwicklung eines möglicherweise zur Atomwaffe führenden Nuklearprogramms um jeden Preis verhindern. Die Iraner hätten außerdem abwägen müssen, ob sie die immensen Kosten ihres Nuklearprogramms angesichts ihres unaufhaltsamen wirtschaftlichen Untergangs überhaupt noch tragen können. So gesehen war aus der Perspektive beider Seiten die Beendigung des Konflikts durch politische Verhandlungen die vernünftigste und ehrenrettende Lösung. Aber keine der beiden Seiten glaubte daran, dass diese Lösung das Ende ihrer Feindseligkeiten mit sich bringen würde.

Obamas „Zähmungsstrategie“

Nicholas Burns war unter US-Präsident George Bush von 2005 bis 2008 stellvertretender Außenminister der USA und führender Kopf der amerikanischen Atomverhandlungsdelegation. Nun ist er Harvard-Professor. Auch unter Obama wurde seine Verhandlungsstrategie fortgesetzt.

Am 4. November 1979 hatten iranische StudentInnenen die US-Botschaft besetzt und 52 Mitarbeiter der Botschaft 444 Tage als Geiseln gehalten
4. November 1979, das Ende der Beziehungen zwischen dem Iran und den USA: iranische StudentInnenen besetzen die US-Botschaft in Teheran, die sie „das Nest der Spione“ nennen

Am 15. August bezeichnete Burns in einem Vortrag an der University of Southern Maine die Wiener Übereinkunft als Teil einer größeren Strategie der USA zur Zähmung der Islamischen Republik Iran. Er hoffe, dass die Wiener Übereinkunft verwirklicht werde, aber in jedem Fall müssten sich Obama und seine Nachfolger bemühen, die iranische Macht in der Region zu zähmen. Der Iran sei die große schiitische Regionalmacht, halte das Assad-Regime am Leben, bewaffne die schiitischen Militaristen im Südirak und unterstütze die libanesische Hizbollah und die Hamas mit Waffen. Die USA müssten Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait, Jordanien und Oman dem Iran gegenüber stärken. Der Iran müsse gezähmt werden und sein Zurückdrängen in der Region parallel mit der Umsetzung der Nuklearübereinkunft geschehen. Burns stellte in seinem Vortrag fest: „Der Nukleardeal ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu allen anstehenden Problemen, die wir mit dem Iran haben. Obama hat richtig entschieden, sich zunächst auf die Nuklearfrage zu beschränken. Wir haben nicht alles zusammen regeln können.”

“Tod für Amerika 2015”

Am 30. August registrierten die Teheraner Medien, dass in den vorhergehenden Tagen auf Geheiß der Regierung überall in der Stadt, etwa auf den Mauern des früheren amerikanischen Botschaftsgebäudes, die Parole “Tod für Amerika” entfernt worden war. Radikale Hardliner sprühten jedoch über Nacht am selben Ort erneut: „Tod für Amerika 2015” stand nun dort. Das sollte zeigen, dass die Wiener Einigung nichts an ihrer Haltung ändern würde – was der Politik Khameneis entspricht. Damit zeichnet sich ein Konflikt zwischen der Regierung Rouhanis und Revolutionsführer Khamenei ab, der bis heute die Worte “Wiener Übereinkunft” oder ”Wiener Abkommen” nicht in den Mund genommen hat. Der Revolutionsführer spricht je nachdem von einem “verhandelten Text” oder dem “Wiener Entwurf”.
Bei seinem bislang letzten Treffen mit dem Staatspräsidenten und seinen Regierungsmitgliedern am 27. August nannte Khamenei den Abschluss der Wiener Verhandlungen wörtlich „eine sehr wichtige Arbeit“. Er hoffe, dass noch vorhandene Fragen und Probleme gelöst werden könnten. Doch: „Der Wille unserer Feinde zur Infiltration unseres Landes sollte nicht aus den Augen verloren gehen“, so Khamenei. Deren „klar feindlichen Ziele“ seien ihren „Worten und Schriften“ zu entnehmen: „Keiner soll vergessen, dass die Front des Feindes unserem Land und Volk bewaffnet begegnen will. Auch wir müssen mit klarer Frontstellung unseren Feinden begegnen.“
Damit ist alles über die Befürchtungen Khameneis gesagt. Er lebt ständig mit der Angst, dass ein Kompromiss in der Nuklearfrage Washingtons Appetit anregen und die USA von der iranischen Führung etwa die Achtung der Menschenrechte fordern könnten. Rouhani könnte damit gut leben, er stünde mit dieser Politik auf der Siegerseite, ihm wäre dann ein Sieg bei den nächsten Präsidentschaftswahlen sicher. Khamenei hingegen hätte bei einer außenpolitischen Öffnung des Landes nur zu verlieren. Er ist deshalb nicht gewillt, bei den kommenden Parlamentswahlen im Februar 2016 dem Lager Rouhani eine parlamentarische Mehrheit zu gestatten und sich mit weniger Macht zufrieden zu geben. Die Geschichte wird zeigen, ob Rouhani die Konfrontation mit der Monopolmacht Khamenei überstehen wird.♦

© Iran Journal

Zum Autor: Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.

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