Droht eine neue militärische Eskalation?
Nach einer Reihe mysteriöser Vorfälle, bei denen in den letzten Tagen im Iran militärische Einrichtungen durch Explosionen und Brände in Mitleidenschaft gezogen wurden, verdichten sich Gerüchte und Spekulationen, dass dies der Auftakt einer direkten Auseinandersetzung zwischen Israel oder auch den USA mit dem Iran sein könnte. Die Vorfälle ereigneten sich nämlich in mehr oder weniger direktem Umfeld iranischer Atom- und Rüstungsprojekte. Etwa auf einem Militärgelände nicht weit von Teheran, auf dem iranische Raketen entwickelt werden. Oder in Natanz, einem wichtigen Nuklearzentrum, wo der Iran gegenwärtig an neuen und leistungsfähigeren Zentrifugen arbeiten soll.
Offizielle iranische Stellen schienen die Zwischenfälle zunächst herunterspielen und verharmlosen zu wollen. So war von einer Gasexplosion und ähnlichen „Unfällen“ die Rede. Nach Natanz aber macht man nun Israel den Vorwurf, vielleicht mit US-Rückendeckung für diesen Angriff verantwortlich zu sein und Teheran warnt – sollte sich dies erwiesen – unverhohlen vor den Folgen. Ganz klar eine Anspielung auf frühere Angriffe, die beide Staaten gegeneinander durchführten.
Verdeckte israelische Aktionen
Israel hatte bereits vor zehn Jahren mit dem Stuxnet-Virus Atomanlagen im Iran schwer beschädigt. Es war auch verantwortlich für Anschläge auf iranische Atomforscher in Teheran. In den Folgejahren verlagerte sich die Auseinandersetzung mehr auf israelische Angriffe gegen iranische Truppen in Syrien und selbst im Irak, deren Hauptaufgabe in den Augen der israelischen Regierung eine direkte militärische Bedrohung Israels war. Erst in den letzten Wochen hatten sich israelische Luftangriffe gegen iranische Militärlager in Syrien wieder gehäuft – ohne dass man allerdings offiziell dazu Stellung bezogen hätte.
Noch voriges Jahr hatten israelische Politiker sich ziemlich offen zu diesen Angriffen geäussert. Inzwischen kehrte man aber zur üblichen Verschwiegenheit zurück. Mit der Ausnahme von zwei gegenseitigen israelisch-iranischen Angriffen, die an die Zeit der verdeckten Aktionen erinnerten: So warf Israel dem Iran vor, vor einigen Monaten versucht zu haben, die israelische Trinkwasserversorgung zu sabotieren. Wenig später gab man offen zu, die Computer in dem strategisch wichtigen Hafen „Shahid Rajaee“ vorübergehend ausser Betrieb gesetzt zu haben.
Nach den jüngsten Vorfällen war bisher nur eine Erklärung von Verteidigungsminister Gantz zu hören: Nicht immer, wenn im Iran etwas passiere, sei Israel dafür verantwortlich. Die iranischen Atompläne stellten aber eine Gefahr für Israel dar und man sei entschlossen, sich dagegen zu wehren. Die Luftangriffe der letzten Wochen dürften dies ohnehin bereits unterstrichen haben.
Europa auf US-Kurs
Israel fühlt sich in der Frage Iran und Atom nicht nur von den USA unterstützt, sondern inzwischen auch von den Europäern. Nach dem Ausstieg Washingtons aus dem Atomdeal mit Teheran hatten die Europäer diesen Schritt noch kritisiert und versichert, sie würden sich dem nicht anschliessen. Dies löste in Israel zunächst Unzufriedenheit aus, während es im Iran die Hoffnung stärkte, man werde auch ohne die USA am Atomabkommen festhalten können.
Die Hoffnung ist längst tiefer Enttäuschung gewichen: Europa hat sich längst dem Druck der USA auf Iran untergeordnet – besonders was die Sanktionen betrifft. Zusagen, man werde den Finanzverkehr mit Iran durch ein eigens dafür geschaffenes System (Instex) aufrechterhalten, wurden nicht erfüllt und die Haltung der wichtigsten EU-Staaten gegenüber dem Iran verhärtete sich schrittweise:
Als Konsequenz des amerikanischen Ausstiegs aus dem Atomabkommen und der mangelnden Unterstützung durch Europa begann Teheran selbst damit, verschiedene Teile des Abkommens schrittweise nicht mehr zu befolgen. Aufgekündigt hat es den Vertrag allerdings nicht. Die Atomenergiebehörde IAEA begann jedoch die iranische Politik als Verletzung des Abkommens zu kritisieren. Inzwischen ist ähnliche Kritik auch aus der EU zu hören. Obwohl dort hinreichend bekannt ist, wie es zu der neuen Haltung Teherans zum Atomabkommen gekommen war.
Entscheidende US-Wahlen
Solche Kritik aus Europa hat in Teheran die Überzeugung verstärkt, dass man sich auf Europa nicht verlassen kann und dass – sollte es (vielleicht nach den US-Präsidentschaftswahlen) doch wieder zu internationalen Verhandlungen mit Iran kommen – am besten wohl nur die USA, Russland und China mit am Verhandlungstisch sitzen.
Sollte Trump eine Wiederwahl gelingen, dürfte es allerdings auch dazu nicht kommen. Und die Befürchtung ist auch nicht unbegründet, dass es vor den US-Wahlen im November noch zu einer weiteren Eskalation im Konflikt mit und um Iran kommen könnte. So makaber dies klingen mag: Die drei Hauptakteure USA, Iran und Israel gehören zu den am stärksten betroffenen Corona-Opfern – mit allen innenpolitischen Problemen, die daraus resultieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass militärische Konflikte von solchen Problemen ablenken sollen. ♦
PETER PHILIPP*
*Zur Person: Peter Philipp ging 1968 (ein Jahr nach dem Sechstagekrieg) als freier Journalist „für 2, 3 Jahre“ nach Jerusalem. Es wurden 23 Jahre – als Korrespondent für Deutschlandfunk, streckenweise auch Tages-Anzeiger, Süddeutsche und andere. Das Berichtsgebiet für den Hörfunk umfasste bald die gesamte Region. 1991 Rückkehr nach Deutschland zum DLF, 1993 Wechsel zur Deutschen Welle. Dort Leiter der Nahost-Abteilung, später Chefkorrespondent. Seit 2009 im (Un)Ruhestand und wieder freier Autor und Kommentator mit Hauptgewicht Naher und Mittlerer Osten.
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