Der schwere Weg aus der Welt der Fantasie

In der Neuordnung der Bildwelten waren es in Deutschland mehr die Farben, das Bunte, die Ornamente, die das Vorstellungsvermögen neu prägten. Im Ganzen lässt sich sagen, dass die Umbesetzung der Bildinhalte dort, wo sie zu einer neuen Bildidee im Gegenzug zum Realismus des 19. Jahrhunderts führte, dem Fantastischen des Fremden Tür und Tor öffnete.
Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, dass gerade in Persien das Interesse an diesem Realismus erwachte. Der Maler Mohammad Ghaffari Kaschani, bekannt unter seinem Hoftitel Kamal al-Molk, reiste Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa, um dort Malerei zu studieren. Er brachte einen für Persien neuen Malstil in ein Land, in dem erst langsam die Bedingungen für diese Darstellungsweisen entstanden. Kamal al-Molks anfängliche Erfolglosigkeit änderte sich nach der konstitutionellen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Erwachen eines Bedürfnisses nach Selbstdarstellung in einer neu entstandenen gebildeten Oberschicht.
Gerne sieht man dies als Einbruch der modernen Kunst in Persien. Es ist aber bei näherer Betrachtung ein zeitverzögertes Aufgreifen europäischer Bildtraditionen. Grundsätzlich hat die Schule von Kamal al-Molk in Persien das Verhältnis zu künstlerischer Gestaltung verändert. Die Kunst stellt in diesem Sinne keinen genuin in der Kultur Persiens eingelagerten Bereich dar, sie wird aber zu einem Faktor, anhand dessen die Berührungspunkte mit und die Einflüsse der westlichen Kultur reflektiert werden können.
Verwestlichung mit Fleisch und Blut“
Die ‚Berliner Gruppe‘ um Hassan Taghizadeh stellt in diesem Kontext eine der eingehenderen Begegnungen mit der deutschen Kultur dar. Ihr ging es darum, Persien in einen modernen Staat zu verwandeln. In erster Linie waren es die technischen, wissenschaftlichen und industriellen Errungenschaften, bei denen die Mitglieder der Gruppe einen großen Nachholbedarf der persischen Kultur sahen. Ihr Denken war aber deutlich strukturell ausgerichtet: Sie sahen sehr wohl, dass es um komplexere Organisationsformen ging und die Moderne nicht als isoliertes technisches Additiv zu nehmen war.
Ihr Motto ‚Verwestlichung mit Fleisch und Blut‘ bezog die Dynamik sowohl der Kunst als auch der Literatur ein. Die Diskussion, ob die persische Sprache und vor allem die Schrift in das europäische Notationssystem überführt werden solle, ist nur ein Symptom der Bewunderung für die deutsche Kultur – und das Empfinden eines Mangels der persischen. Dass hier ein Aufgreifen aktuell gegenwärtiger Kulturphänomene im Zentrum stand, unterscheidet die Gruppe von den Reflektionsweisen der Vorzeit insofern, als ihr Bild von Deutschland nicht an Vorstellungen gebunden war, sondern die Entwicklungsbedingungen, die vor allem in der Kunst zur Anschauung kommen, einbezog.

"Goldschmiede von Baghdad", von Kalmal al-Molk, 1901
„Goldschmiede von Baghdad“, von Kalmal al-Molk, 1901

 
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Gründe dafür, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und dem inzwischen in Iran* umbenannten Persien sich direkt nach dem 2. Weltkrieg auf dünnem Boden bewegten und eher schwierig waren, waren die Konsequenzen aus der weltpolitischen Situation, die sich in und nach dem Krieg ergeben hatte. Erst in den fünfziger Jahren setzten die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder ein. Von Beziehungen auf der Ebene der Kunst kann jedoch noch keine Rede sein. Im Iran bewegte sich die Kunst im Rahmen ihrer eigenen Aktualität, die sich abspielte zwischen einem prosperierenden Ölstaat und der wachsenden Erkenntnis, der eigenen kulturellen Tradition und der Entwicklung politischer Selbstbestimmung Rechnung tragen zu müssen.
Auch in Deutschland waren die Zeichen in der Kunst auf Selbstbesinnung und -reflexion gestellt. Die Orientierung richtete sich, soweit sie nicht an den eigenen Neudefinitionen arbeitete, auf Europa und in verstärktem Maße in Richtung USA. Die 1955 erstmals stattfindende Documenta konzentrierte sich auf das eigene Kunstschaffen und es dauerte lange, bis dort vereinzelt Kunstwerke von außerhalb der westlichen Welt auftauchten. 1972 war Siah Armajani als erster und einziger Iraner vor 1979 mit einem Film in Kassel vertreten.
Quasi unter dem Schirm setzte Ende der sechziger Jahre in Deutschland vor allem bei Studenten ein Interesse für die Welt außerhalb der eigenen Grenzen ein. Die 68er-Generation nur innerhalb der deutschen politischen Verhältnisse zu denken, kommt dem Phänomen, die Rahmenbedingungen des Eigenen zu sprengen, nicht nahe. Es ging von ihr ein Bedürfnis aus, Begegnungen zu inszenieren, die nicht vorgeformt waren und ins vertraute Bild passten. Gerade Teheran war ein Ort, mit dem sich Vorstellungen anderer Erfahrung verbanden.
Steigendes Interesse an westlicher Kunst
Das Festival von Shiraz, zu dem eine Reihe deutscher Künstler wie etwa Karlheinz Stockhausen eingeladen wurden, lässt sich hier als ein geradezu gegenläufiges Bild ansehen, das ein gesteigertes Interesse an westlicher Kultur aufweist. Die etwas später initiierte Teheraner Sammlung, von der schon die Rede war, nahm diesen Gestus vor allem im Bereich der bildenden Kunst auf.
Karl Schlamminger etwa, der seinen Wohnort nach Teheran verlegte, sammelte wertvolle Erfahrungen im Iran und vor allem in der Auseinandersetzung mit der iranischen Kunst. Darüber hinaus unterrichtete er in Teheran Kunst und war eng in die dortige Kunstszene eingebunden, deren kosmopolitische Ausrichtung geradezu legendär geworden ist.
In der zugespitzten politischen Situation der siebziger Jahre formulierten sich die Beziehungen neu. Der Schah-Besuch 1972 entpuppte sich als Ernüchterung in den Beziehungen zum Iran. Wer weiterhin die Welt außerhalb Deutschlands im Iran erkunden wollte, arrangierte sich mit einer Haltung, die ins Unpolitische tendierte. Der Iran war nicht mehr getrennt davon zu sehen, dass er von einer monarchistischen Diktatur regiert wurde. Auf der anderen Seite gingen viele junge Iraner nach Deutschland, um dort – auch Kunst – zu studieren – teils aus freien Stücken, zum Teil gezwungenermaßen.
Diese in ihrer Größenordnung neuen Beziehungen auf nichtstaatlicher Ebene wuchsen zu einer Intensität auf, in der damals und in der Folge bis heute die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran und die Auseinandersetzung mit eben diesen Beziehungen zu verorten sind. 
Die Eröffnung des Museums für Zeitgenössische Kunst in Teheran stellt in mancher Hinsicht einen Höhepunkt in den internationalen Beziehungen dar, auch denen zwischen Deutschland und dem Iran auf dem Gebiet der Kunst. Die individuellen Ausdrucksformen in der Kunst fanden in einem kosmopolitischen Sinne Eingang in eine öffentliche Institution, auch in eine Form staatlicher Repräsentation. Dass zeitgleich gesellschaftliche Balancen ins Wanken gerieten, mag Ausdruck davon sein, dass sich die international angelegte Welt der Kunst im Iran auf eine Elite beschränkte, wie auch davon, dass die Vermittlung moderner Kunst sich weit von kulturellen Traditionen und religiösen Sichtweisen entfernt hat.
Nach 1979: Abschottung
Nach der Revolution im Iran im Jahr 1979 schlug das islamische Regime den Weg der Abschottung ein. Dass dies auch für die Beziehungen auf der Ebene der Kunst galt, zeigt, dass diese im Iran nicht in der Mitte der Gesellschaft stand.
In Deutschland standen die zarten und langsamen Öffnungen unter ähnlichen Vorzeichen – Beziehungen nach Außen, auch in der Kunst, bewegten sich innerhalb der Rahmenbedingungen der Selbstdefinition. Es hat lange gedauert, bis den Beziehungen im Bereich der Kunst wieder die Türen geöffnet werden konnten.♦
  CHRISTOPH SEHL
Der Autor behandelt die deutsch-iranischen Beziehungen Auf dem Gebiet der Kunst seit 1979 in einem gesonderten Artikel. Hier klicken, um den Artikel zu lesen.
© Iran Journal
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