Ein Militärregime als Alternative zur Islamischen Republik?

Mit uns oder gegen uns

Die Neuankömmlinge untergruben bald alle Konkurrenten nach dem Prinzip „entweder mit uns oder gegen uns“. Somit errichteten sie ein monopolistisches Netzwerk familiärer und wirtschaftlicher Beziehungen aus etwa 200 Familien, zu dem Fremde keinen Zugang haben. Die aufstrebende Klasse gewann durch Eheschließungen zwischen den Familien der Kommandanten sowie mit den Familien hochrangiger Geistlicher weiter an Einfluss. Zeitgleich wurde das Netzwerk in schwere wirtschaftliche Straftaten verwickelt – darunter Schmuggel, Geldwäsche und spekulativer Währungshandel. Vor allem drei Faktoren trugen massiv dazu bei: eng verflochtene familiäre Beziehungen, finanzielle Opazität und der exorbitante Gewinn der Geschäfte.

Das Ende war allerdings noch längst nicht erreicht. Die neuen Milliardäre stiegen mit der Genehmigung des Hofes von Chamenei parallel in das Bankenwesen, die Börse, den Währungsmarkt und die Erstellung von Kryptowährungen ein.

Vor zwanzig Jahren errichteten sie überall im Iran kleine Sparkassen, um den Familien ihrer Mitarbeiter*innen und später auch Anderen zinsgünstige Kredite anzubieten. Plötzlich stand die iranische Zentralbank 7.500 Filialen gegenüber, die gegen hohe Zinsen Anlagen eingesammelt hatten und im großen Stil Kredite vergeben konnten.

Innerhalb kürzester Zeit stieg der Vermögenswert mancher Sparkasse der Revolutionsgarden um das Achtzigfache. Die Zentralbank kann bis heute nicht gegen solche zweifelhafte Geschäfte vorgehen.

Die Kommandanten fingen bald an, Anteile der Großbanken zu kaufen.

Bei der Betrachtung der Rolle der Revolutionsgarde in der Zukunft Irans darf also die Tatsache nicht außer Acht gelassen werden, dass sie weltweit das einzige militärische Organ eines Landes ist, die in Bank-, Börsen-, Import- und Exportgeschäfte verwickelt ist, keine Steuern zahlt und deren Machenschaften, Konten und Geschäfte nicht der Kontrolle der Regierung oder des Parlaments unterliegen.

Bemerkenswerterweise werden die Banken und Börsengeschäfte der IRGC vom Chameneis Hof und dem ihm unterstehenden 200 Milliarden Dollar schweren Konglomerat „Execution of Imam Chomeini’s Order“ als Partner begleitet.

Die Ohnmacht der Zentralbank

Vorgetäuschte Insolvenzmeldungen ihrer Finanzinstitute gehören zu den Taktiken der wirtschaftlichen Sparte der IRGC. Dies dient der Geldwäsche, und die iranische Zentralbank ist nicht in der Lage, dagegen vorzugehen. Die Proteste der Gläubiger, die ihre Ersparnisse verloren haben, sind auf nahezu alle Städte übergesprungen und dauern immer noch an. Infolgedessen hat die Zentralbank die Betroffenen zum Teil entschädigt. Sie hat allerdings wiederholt betont, gegen diese Geldinstitute rechtlich nicht vorgehen zu können, da diese stets miteinander fusionieren, sich spalten oder Insolvenz anmelden.

Ein Großteil der finanziellen Aktivitäten der IRGC findet an der Börse statt. Dort geht eine milliardenschwere Geldwäsche über die Bühne. Die Börse im Iran ist praktisch staatlich, ihre Hauptakteure sind fast alle miteinander befreundet und haben Zugang zu Geheiminformationen.

Gleichzeitig fehlt dem iranischen Handelsrecht die nötige Effizienz. Es mangelt an Gesetzen und rechtlichen Mitteln zum Schutz des Wettbewerbs. Darüber hinaus pflegen die Revolutionsgarden enge Beziehungen zur Justiz, haben Minister in der Regierung und die Mehrheit im Parlament. So genießen ihre Aktivitäten ultimativen Schutz.

Der Kauf von 51 Prozent der Anteile des iranischen Telekommunikationsunternehmens (TCI) – des etablierten Festnetzanbieters des Landes – war wahrscheinlich der größte Schritt der IRGC in Richtung einer Kontrolle der zukünftigen Entwicklungen. Bonyad Taavon Sepah, eine Genossenschaft der Revolutionsgarden, kaufte die Anteile für acht Milliarden Dollar; nach unabhängigen Schätzungen sind sie 44 Milliarden Dollar wert. Dabei wurden die rechtlich üblichen Kaufformalitäten unter dem Einfluss der Revolutionswächter ausgelassen; die Konkurrenz aus dem Privatsektor wurde vertrieben.

Die Revolutionsgarden sind die wichtigste Waffe des Staatsoberhaupts Chamenei gegen seine Kritiker und Feinde innerhalb und außerhalb des Landes
Die Revolutionsgarden sind die wichtigste Waffe des Staatsoberhaupts Chamenei gegen seine Kritiker und Feinde innerhalb und außerhalb des Landes

Die iranische Justiz beschäftigt sich mit etlichen milliardenschweren Korruptionsdelikten – darunter die Unterschlagung von vier Milliarden Dollar durch die Genossenschaft Bonyad Taavon Sepah. Die iranischen Medien decken immer wieder Korruptionsaffären auf. Es folgen jedoch keine Aufklärungen. Denn solche Korruption und Unterschlagungen haben ihre Wurzeln entweder in Chameneis Hof und der Schattenregierung oder in den Institutionen der IRGC.

Diese Unterschlagungen erreichen je nach Berechnung einen möglichen Gesamtwert von hundert Milliarden Dollar. Die Gelder kann man meist nicht verfolgen, weil sie Teil der Geldwäsche der Islamischen Republik sind und als finanzielle Unterstützung an die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen, die Huthi-Rebellen im Jemen oder die schiitischen Milizen im Irak fließen.

Eingeschworene Feinde der FATF

Von den internationalen Sanktionen der vergangenen zehn Jahre hat unter anderem die IRGC am meisten profitiert. Heimliche Geschäfte zur Umgehung der Sanktionen spülten enorme Gewinne in die Kassen der Revolutionsgarden. Genau aus diesem Grund sind die Wirtschaftsmanager der Revolutionsgarden allesamt eingeschworene Gegner des Atomdeals und der internationalen finanzbehördlichen Eingreiftruppe für Geldwäsche FATF. Eine Zusammenarbeit mit der FATF bedeutet Transparenz – auch bei den Geschäften der Revolutionsgarden.

Die Umgehung der Sanktionen vor allem zwecks illegaler Ölgeschäfte erfolgt meist über mehrere Frontfirmen und Vermittler, um jegliche Spuren zu verwischen. Dies ist für die Unternehmen der IRGC Grund genug, weder Steuern zu zahlen noch ihre Bücher offenzulegen oder über ihre Geschäfte zu berichten.

Nach klassischer Auffassung sind die Streitkräfte eines jeden Landes ein elementares Instrument für die Ausübung politischer Macht und die Gewährleistung der nationalen Sicherheit. In demokratischen Staaten spielt das Militär bei offiziellen Veranstaltungen die Rolle eines zeremoniellen Schwertes – allerdings ohne sich in die Politik einmischen zu dürfen. In nicht demokratischen Regimes dagegen führt das Militär entweder Staatsstreiche durch oder wird zum Unterdrückungsmittel des Diktators. Und manchmal steigt es in milliardenschwere Geschäfte ein.

Die IRGC hat als eine historische Ausnahme im Iran alle drei Rollen zugleich übernommen. 2009 führte sie praktisch einen Staatsstreich durch, um den damaligen Präsidenten Ahmadinedschad an der Macht zu halten; 2018 und 2019 schlug sie landesweite Proteste blutig nieder. Zeitgleich baut sie ihr Wirtschaftsimperium durch ihre Teilnahme an sämtlichen lukrativen Geschäften aus – allen voran Sanktionsumgehungsgeschäfte.

Die Institution Revolutionsgarde ist in ihrer gegenwärtigen Form mit Zustimmung des Staatsoberhauptes Chamenei die eigentliche Armee des Landes, der eigentliche Geheimdienst und das eigentliche Finanz-, Öl-, Außen- und Innenministerium. Sie besitzt sogar eigene Gefängnisse und Haftanstalten. Auch die persönliche Leibwächterbrigade Chameneis ist eine Sondereinheit der IRGC.

Wirtschaftsmafia

Von besonderer Bedeutung ist die Beziehung zwischen den Revolutionsgarden und der iranischen Mafia. Etwa 75 Prozent der gesamten Ressourcen des Iran liegt heute in den Händen von ungefähr 200 Familien. Die meisten führenden Personen dieser Gruppe, die enge Beziehungen zu Chameneis Hof beziehungsweise seiner Familie pflegen, haben weder eine akademische Ausbildung noch Management- und Führungserfahrung. Sie konnten jedoch in den vergangenen 40 Jahren durch brutale Unterdrückung aller politischen Kräfte an der Macht bleiben. Sie haben mittlerweile nachhaltige und komplexe Verbindungen mit der IRGC aufgebaut. Durch diese Verbindungen wurde die IRGC Teil der mafiosen Strukturen der Islamischen Republik. Diese Beziehungen maximieren die Überlebenschancen beider Parteien und untermauern ihre Sicherheit.

Dementsprechend sind viele neue Milliardäre im Iran entweder frühere Kommandanten der IRGC, deren Angehörige oder stehen den Freitagspredigern (den Vertretern des Staatsoberhaupts in den Städten und Dörfern, Anm.d.Red.) nahe. Zudem besitzen die IRGC und die dem Hof Chameneis gehörenden Unternehmen praktisch Anteile von allen Banken. Sie sind an allen profitablen Öl-, Gas-, Petrochemie- und Import-Export-Unternehmen des Landes beteiligt.

Die IRGC, die neue Mafia-Generation, die Chameneis Hofs gehörenden Unternehmen und die Schattenregierung verbindet eine gemeinsame Strategie: sich gegen den Willen der Bevölkerung zu finanzieller Transparenz und gegen politische Reformen zu stellen. Die IRGC und ihre Verbündeten sind zu jeder Zeit in der Lage, Milliarden von Toman oder ausländischen Währungen in den Markt zu pumpen oder aus dem Markt zu ziehen, um sich und ihren Unternehmen Gewinne zu garantieren. Sie werden weder mit der Bevölkerung einen Friedenspakt schließen noch mit der Welt.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie mehr den Beratungen aus Russland unterstehen als den Gesetzen des Landes und mehr auf Unterstützung aus Russland und China setzen als auf die der eigenen Bevölkerung. Doch vielleicht werden die Krise um das Atomprogramm der Islamischen Republik und der Druck von außen die Lage verändern.

Die IRGC braucht sich nicht an die Macht zu putschen. Sie kann durch manipulierte Wahlen und direkte und indirekte Einflussnahme als Drahtzieher politischer und wirtschaftlicher Angelegenheiten agieren, ohne eine militärische Regierung wie beispielsweise in Ägypten aufstellen zu müssen. Und sie kann mit ihren Möglichkeiten jegliche Protestbewegung flächendeckend und systematisch niederschlagen, sobald sie die kleinste Gefahr spürt.♦

Aus dem Persischen übertragen von Iman Aslani

Zur Autorin: Farzaneh Roostaee ist eine regimekritische politische Anaylstin und häufiger Gast bei persischsprachigen Medien außerhalb des Iran. Um einer Haftstrafe zu entgehen, flüchtete sie 2011 aus dem Iran und lebt seitdem in Schweden. 2018 wurde sie mit dem schwedischen Nya Journalistpriset ausgezeichnet.

Hier finden Sie das gesamte Dossier „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“. 

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