Ein russischer Nationalist im Iran

Liberalismus schlimmer als Kommunismus

„In meinem Land begann die Modernität in der Zeit von Peter dem Großen, und der Kommunismus war der Höhepunkt dieser Moderne. Das Ergebnis war die Vernichtung aller unseren heiligen Traditionen“, referiert Dugin. “Und soweit ich weiß, geschah im Iran mehr oder weniger Ähnliches. Es war aber Ihre islamische Revolution und Ihre Tradition, das Schiitentum, die den Westen und die Modernität besiegten“, sagt Dugin und berichtet darüber, was nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Russland geschah. Hier wird er persönlich und beschreibt seinen eigenen Werdegang: dass er gläubiger Christ und in jungen Jahren Antikommunist gewesen sei. Aber der Liberalismus sei viel schlimmer als der Kommunismus.

Welche Religion Putin habe, will der Ayatollah wissen. Russische Orthodoxie, antwortet Dugin und erklärt ausführlich, wo die Kirche im heutigen Russland steht, wie die christliche Tradition mehr und mehr in der Gesellschaft verinnerlicht wird und wie Putin und die Kirche sich gegenseitig zu unterstützen versuchen. Doch Russland sei bedauerlicherweise noch nicht so weit wie der Iran, für die russische Orthodoxie sei Iran ein gelungenes Beispiel: „Deshalb verfolgen wir Orthodoxen die Ereignisse in Ihrem Land mit Interesse und Sympathie“, sagt Dugin.

Volle Einigkeit

Dann wird ausführlich über den Zerfall der Familie, über Homosexualität, Individualismus, Hedonismus, Libertinage und viele andere „abscheuliche Folgen“ der Moderne gesprochen. Und der Ayatollah pflichtet dem Russen bei all diesen Themen ausführlich bei.

Ein gespenstischer Dialog zwischen zwei einflussreichen Männer aus sehr unterschiedlichen Welten, den man ernst nehmen muss. Denn sie verfolgen ein globales Ziel. In dem Gespräch mit dem Ayatollah erläutert Dugin seine euro-asiatische Vision, in der der Iran, China, die Türkei und natürlich Russland die treibenden Kräfte sind. Er habe 22 Bücher geschrieben, in denen er sich mit Eurasien, dessen Territorium, seiner Geschichte und Philosophie beschäftigt habe, so Dugin. Eines davon habe er speziell über das iranische Imperium, ein anderes über das Osmanische Reich geschrieben.

Selbst politische Themen wie Salafismus, Saudi-Arabien und Terrorismus werden angeschnitten, und beide staunen, wie einig sie sich auch bei diesen Themen sind.

Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte 2015 Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei und schenkte ihm einen alten Koran
Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte 2015 Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei und schenkte ihm einen alten Koran

Beängstigend und gefährlich

Es wird klar, kalt, strategisch und überzeugend gesprochen, und beide Männer vermitteln unmissverständlich den Eindruck, dass sie eine gemeinsame globale Vision haben: Religion soll die Politik bestimmen. Und das schiitische Gelehrtenzentrum war nicht die einzige Bühne, auf der Dugin seine Idee von Eurasien propagierte. In einer zweistündigen Fernseh-Talkshow, in den Politik- und Philosophieseminaren mehrerer Universitäten des Landes sowie in einflussreichen Think Tanks warb er mehrere Tage lang für den euro-asiatischen Traum, den Putin zu verwirklichen versuche.

Man mag nun fragen, wer Dugin überhaupt sei, welchen Einfluss und wie viele Brigaden er habe. Doch die Ereignisse dieser Tage zeigen, dass Dugins Ideen heute aktueller sind denn je, denn Putin schöpfe aus derselben Quelle, sagen Experten. Viele von ihnen sehen in Dugin den Chefideologen, Vordenker oder Einflüsterer des russischen Präsidenten. Und seine Idee von einem euro-asiatischen Raum, in dem der Iran einen würdigen Platz einnehmen würde, hat im Iran tiefe Wurzeln geschlagen.

Selbst der bekannte iranische Wirtschaftsjournalist Said Leilaz, der zu den Liberalen gezählt wird und unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Gefängnis saß, sagte vor zwei Tagen, jeder iranische Patriot müsse dieser Tage an der Seite Russlands stehen.

Seltsamer Türöffner

Den Weg in den Iran hätte Dugin zweifellos selbst gefunden, doch dass er dort Zugang zu verschiedenen Entscheidungszentren fand, verdankt er seinen iranischen Helfershelfern, die dem harten Kern der Macht angehören. Dugins Türöffner und Übersetzer heißt Nader Talebzadeh. Er ist der Spross einer Generalsfamilie aus der Schah-Zeit, der sich nach dem Studium der Filmwissenschaften in den USA in den Dienst der islamischen Republik stellte. Heute hat er eine eigene Politik-Talkshow im Staatsfernsehen, produziert Polit-Dokumente und veranstaltet Seminare mit ausländischen Intellektuellen, vornehmlich aus den USA und Großbritannien.

Talebzadeh gehört zu einer Spezies der Aktivist*innen , die wahrscheinlich nur in der Islamischen Republik zu finden ist: Absolvent*innen der westlichen Universitäten, die mit all ihren Fähigkeiten dem radikalsten Teil der Macht dienen. Deren Zahl ist ebenso beträchtlich wie ihr Einfluss im Staat – bis in den höchsten Geheimdienstzentren. Sie sind hauptsächlich Absolvent*innen der amerikanischen Hochschulen. Manche von ihnen sind im Besitz einer Greencard oder gar der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft. Sie wurden im Westen nicht nur zu Akademiker*innen, sondern auch zu radikalen „Antiimperialist*innen“. Den außenpolitischen Kurs der Islamischen Republik gen Moskau und Peking rechtfertigen sie ununterbrochen mit haarsträubenden Winkelzügen. Durch ihre Unterstützung ist der Iran endgültig zu Russlands Hinterhof geworden, den Moskau mit allen Mitteln verteidigen wird – wenn es sein muss, auch mit Raketen.♦

© Iran Journal 

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