Einst Staatspräsident, dann 40 Jahre Hausarrest

Abolhassan Banisadr, der erste Staatspräsident der iranischen Geschichte, verbrachte mehr als 40 Jahre seines Lebens im Exil. Anfang Oktober verstarb er bei Paris. Eine Veranstaltung ehrte den Politiker, der vom Unterstützer Chomeinis zum Gegner des Islamischen Regimes wurde, an diesem Samstag.

Von Nasrin Bassiri

Was verbindet Dr. Abolhassan Banisadr, den ersten Staatspräsidenten in der iranischen Geschichte, mit dem Gründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ruhollah Chomeini? Der Ex-Sorbonne-Hochschullehrer Banisadr trat im Januar 1980 als erster Präsidentschaftskandidat des Iran gegen weitere 96 Kandidaten an und errang mit 76 Prozent der abgegebenen Stimmen den Wahlsieg. Knapp eineinhalb Jahre später wurde er wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem „obersten religiösen Führer“ Chomeini seines Amtes wieder enthoben. In der Zwischenzeit war Banisadr sowohl Staatspräsident des Iran wie Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Nach seiner Absetzung lebte er mit seiner Familie fast 40 Jahre in Versailles bei Paris faktisch unter einer Art Hausarrest, der allerdings keine Strafe, sondern eine Sicherheitsmaßnahme darstellte. Banisadr blieb bis zu seiner Krankheit vor wenigen Monaten aktiv, las, forschte und veröffentlichte seine Schriften, und er wirkte vor allem bei der Aufklärung der terroristischen Anschläge mit, die der iranische Geheimdienst im Ausland verübte.

Am 9. Oktober 2021 verstarb er im Alter von 88 Jahren nach einer längeren Krankheit. Am Samstag, den 20. November 2021, fand in Versailles eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Banisadr statt.

Persönlicher und politischer Werdegang

‌Abolhassan Banisadr wurde am 22. März 1933 in der Kleinstadt Baghche unweit der historischen Stadt Hamadān geboren. Sein Vater Ayatollah Seyed Nasrollah Banisadr war ein hochrangiger schiitischer Gelehrter und ein enger Freund und Vertrauter von Ayatollah Chomeini. Abolhassan war noch ein kleiner Junge, als Chomeini samt Frau und Kindern an den heißen Sommertagen in der kühlen Region im Westen des Iran zu Besuch war und sich länger in dem geräumigen Hause von Banisadrs Eltern aufhielt. Der junge Abolhassan spielte damals mit Chomeinis Sohn Mostafa, der einige Jahre älter war als er.

Abolhassan Banisadr im Jahr 1958
Abolhassan Banisadr im Jahr 1958

Als Heranwachsender folgte Banisadr dem Rat seines Vaters nicht, der ihm nahegelegt hatte, ebenfalls religiöser Gelehrter zu werden. Ihn zog es in die Hauptstadt Teheran, wo sich gerade eine turbulente Zeit ankündigte. In den 1940er Jahren wuchs im Iran die moderne und moderate Intelligenz, die wie der spätere Premierminister Mohammad Mossadegh in Europa studiert hatte und die Bevormundung durch die Engländer nicht länger duldete. Ihre Vertreter formierten sich 1949 in der „Jebhe Melli“ (Nationalfront), die sich für einen modernen und unabhängigen Staat einsetzte. Der charismatische Mossadegh galt als Galionsfigur dieser Unabhängigkeitsbewegung.

Banisadr studierte an der Universität Teheran Wirtschaft und an der juristischen Fakultät islamisches Recht. Bereits damals zeichnete sich die rote Linie ab, die durch sein Leben führen würde. Er träumte davon, Demokratie, Modernität, Menschenrechte und Islam zu vereinbaren – ein familiär bedingtes Bedürfnis, das ihm in die Wiege gelegt wurde: den Islam mitsamt den Ayatollahs wie seinem Vater und dessen Freund Chomeini zu respektieren, ohne auf Demokratie, modernes Wissen und moderne Lebensart, Menschenrechte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau verzichten zu müssen. Manches davon wurde durch sein Idol Mossadegh bereits verwirklicht: Als Ministerpräsident des Schahs verstaatlichte dieser im März 1951 die Ölindustrie. Der 17-jährige Schüler Banisadr schloss sich damals der Nationalfront an und saß deshalb bereits als Student mehrmals im Gefängnis.

1962 führte der damalige Schah weitere Reformen durch: So wurde das Wahlrecht für Frauen eingeführt und das Parlament für Nicht-Muslime geöffnet. Der Eid, den Abgeordnete bei Amtsantritt zu leisten hatten, musste nun nicht mehr auf den Koran, sondern konnte auch auf andere heilige Schriften religiöser Minderheiten geleistet werden. Zu dieser so genannten „Weißen Revolution“ gehörte auch, dass Großgrundbesitzer nur noch ein Dorf besitzen durften – der Rest ihres Grundbesitzes sollte den Bauern überlassen werden, die darauf arbeiteten. Im Rahmen der Aktion „Armee im Dienste der Wissenschaft“ wurden Soldat*innen in entlegene Dörfer geschickt, um dort die Kinder zu unterrichten.

Am 3. Juni 1963 hielt Ayatollah Chomeini eine wütende Rede gegen diese Reformen des Schahs. Er solle „nicht auf Fremde hören“, riet der Ayatollah dem Monarchen, sondern auf die religiösen Gelehrten: Sie wüssten, was für das Land und die Menschen gut sei.

Aus heutiger Sicht ist nicht nachvollziehbar, warum Banisadr nur zwei Tage nach dieser Rede Chomeinis an einer von dessen Anhänger*innen organisierten Großdemonstration in Teheran teilnahm, an der sich die führenden Köpfe seiner Organisation, der Nationalfront um Mossadegh, nicht beteiligten. Banisadr wurde bei dieser Demonstration am 5. Juni 1963 verletzt und verließ kurz darauf Teheran in Richtung Paris, wo er an der Sorbonne promovierte und später lehrte.

Während seines Studiums in Paris forschte Banisadr nach Lösungen für die Unabhängigkeit des Iran. In seinem Buch „Monotheistische Ökonomie“ geht es um eine gerechtere Verteilung materieller Güter. Seinen Vorträgen lauschten Anhänger und Kritiker gleichermaßen. 1971 verstarb Banisadrs Vater Seyed Nasrollah bei einem Besuch in Paris. Seinem Wunsch entsprechend brachte Banisadr den Leichnam seines Vaters in den Irak in die Pilgerstadt Najaf, wo dessen Freund Chomeini im Exil lebte, um ihn dort zu beerdigen.

Abolhassan Banisadr (li.) neben seinem einstigen Idol Ruhollah Chomeini
Abolhassan Banisadr (li.) neben seinem einstigen Idol Ruhollah Chomeini

Rückkehr in den Iran

Fünf Monate vor der Revolution, als die Proteste im Iran tobten, umzingelten irakische Sicherheitskräfte das Haus von Ayatollah Chomeini in Najaf und forderten ihn auf, das Land zu verlassen. Wolle er in Najaf bleiben, dürfe er sich nicht mehr politisch äußern. Der Versuch, Chomeini nach Kuweit zu bringen, scheiterte. In andere Nachbarländer konnte er ebenfalls nicht gelangen. So entschied Chomeini sich, nach Paris zu fliegen.

Abolhassan Banisadr war einer der wenigen, die ihn am Flughafen empfingen. Dennoch erlangte der Ayatollah in Paris mehr Aufmerksamkeit, als er je erhofft hatte. Journalist*innen gaben sich die Klinke in die Hand, Chomeini wurde über Nacht zum „Hoffnungsträger der Nation“. Banisadr und der spätere iranische Außenminister Sadegh Ghotbzadeh – der 1982 hingerichtet wurde – waren seine wichtigsten Berater. Sie begleiteten Chomeini bei seiner Rückkehr in den Iran 1979 und übernahmen später wichtige Regierungsämter – Banisadr war von 1980 bis 1981 sowohl Staatspräsident der Islamischen Republik Iran wie auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Der Staatspräsident

Doch bereits knapp eineinhalb Jahre nach seiner Wahl im Januar 1980 wurde Banisadr seines Amtes enthoben. Per Parlamentsbeschluss wurde ihm ein Ministerpräsident vorgesetzt, ein einfacher Schullehrer. In einen offiziellen Brief an Chomeini bezeichnete Banisadr diesen als eine Katastrophe, die gewaltigere Auswirkungen haben werde als der damals angebrochene Krieg gegen den Irak. Die Situation der Armee nannte der Präsident unerträglich und kritisierte auch die Besetzung der US-Botschaft. Auch Chomeini kritisierte Banisadr in den ersten Monaten des Jahres 1981 häufig, ohne ihn namentlich zu nennen. Er schrieb etwa: „Da ist ein Politiker, der meint, über dem Parlament und den Staatsorganen stehen zu können.“ Am 3. März 1981 sagte Banisadr in einer Rede auf dem Teheraner Universitätsgelände: „In den iranischen Gefängnissen werden Menschen gefoltert.“ Diese Rede sorgte für Unruhe. Chomeini setzte Banisadr daraufhin als Oberbefehlshaber der Armee ab, der Mob zog auf seinen Befehl durch die Teheraner Straßen und forderte Banisadrs Hinrichtung.

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Banisadr hatte zwar feste politische Standpunkte und betätigte sich bereits als Schüler und Student in der Nationalfront. Doch Erfahrung mit den Strukturen und Hierarchien politischer Parteien hatte er nicht. Dies wurde ihm nun zur Gefahr; allein gegen alle konnte er sich nicht zur Wehr setzen. Die Volksmujahedin boten an, sich an seine Seite zu stellen – trotz unterschiedlicher politischer Motive und Ziele. Banisadr war ein weltoffener und moderater Demokrat, der nach einem Ausweg suchte, die Volksmujahedin machtbewusste Strategen, die mehr Einfluss und Entscheidungsspielräume wollten. Der Einzelkämpfer und die hierarchisch strukturierte Organisation benutzten sich gegenseitig. Sie riefen die iranische Bevölkerung im Juni 1981 gemeinsam zu einer Demonstration gegen den autoritären Staat auf.

Danach ging alles blitzschnell. Auch wenn keine umfassenden und übereinstimmenden Berichte darüber vorliegen, was tatsächlich am 20. Juni 1981 in Teheran und 13 anderen iranischen Großstädten geschah, sprechen Zeitzeugen übereinstimmend vom Einsatz von Waffen und allein über 1.000 Festnahmen in Teheran. Laut den Volksmujahedin gab es bei 500.000 Teilnehmer*innen allein in Teheran 50 Tote und 200 Verletzte auf beiden Seiten innerhalb von wenigen Stunden. Banisadr wurde am Tag darauf, am 21. Juni, seines Amtes enthoben und flüchtete zusammen mit Massoud Rajavi, dem Anführer der Volksmujahedin, nach Paris.

Bis zu seinem Tod am 9. Oktober 2021 lebte Banisadr mit seiner Frau Ozra Hosseini in Versailles bei Paris. Reisen, gar das Haus verlassen, durfte er nur mit Kenntnis der Sicherheitsbehörden – zu seinem persönlichen Schutz. Als ich ihn einst fragte, ob er mit seiner Familie je richtig Urlaub gemacht habe, etwa am Meer, beantwortete er dies mit einem schlichten Nein.♦

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