Shahreno oder “Viertel der Traurigen“
Wie die Prostitution im Iran vor der islamischen Revolution funktionierte, beschreibt Nasrin Bassiri anhand des Teheraner Rotlichtviertels Shahreno. Es wurde sechs Monate nach der Revolution, im August 1970, zerstört.
Während der Herrschaft von Schah Mohammad-Reza Pahlavi (1941 – 1979) lebten Sexarbeiterinnen der Hauptstadt Teheran, oft mit ihren Kindern, ausgestoßen und abgedrängt in heruntergekommenen Häusern des Viertels „Shahreno“ (die neue Stadt) am südlichen Stadtrand.
Als Mohammad-Rezas Vater, Reza Khan, noch nicht König, sondern der Oberbefehlshaber der Armee war, hatte er von Vertrauten erfahren, dass die Engländer Pläne schmiedeten, um ihn zu entmachten. Reza Pahlavi nahm sich vor, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er wusste, dass zwei hohe britische Diplomaten hin und wieder das berühmt-berüchtigte „Freudenhaus“ von Aziz Kashi besuchten. Also befahl er seinen Soldaten, sie bei ihrem nächsten Besuch dort zu überraschen. Das war am 8. März 1922. Die Zeitungen berichteten ausführlich über den Vorfall, die beiden Diplomaten verließen schleunigst das Land.
Nachdem Schah Reza den Thron bestiegen hatte, ließ er den Qajar-Palast im Zentrum von Teheran niederreißen und die Frauen, die dort im Harem lebten und es nicht schafften, wohlhabende Männer aus der königlichen Familie zu heiraten, in das Qajar-Viertel bringen. Das Viertel ließ er in der Folge ausbauen, damit dort Platz für die neu hinzugezogenen Prostituierten aus diversen „Freudenhäusern“ Teherans war, die er hatte schließen lassen.
Damit wurden die Weichen für die Errichtung des Viertels Shahreno gelegt, in dem alle Sexarbeiterinnen Teherans leben konnten. Später, unter der Herrschaft von Reza Shahs Sohn, Mohammad Reza, wurde eine Mauer um das Viertel gebaut, um es besser kontrollieren zu können. Umgangssprachlich wurde er „Ghaleh“ (die Burg), genannt.
„Burg des Schweigens“
Als „Burg des Schweigens“ oder „Viertel der Traurigen“ wurde Shahreno von denen bezeichnet, die sich intellektuell oder künstlerisch mit dem Leben der Frauen dort befasst haben. Laute enge Gassen, hier und dort Cafés zogen sich durch den Viertel, in dem etwa Hunderte Frauen mit ihren Kindern lebten. Jedes Haus hatte eine Chefin, die von den Bewohnerinnen ehrfürchtig mit „Frau Vorsteherin“ angeredet wurde. Sie kassierte das Geld und gewährte den Frauen Kost, Logis und Taschengeld.
Ein Teil des Dokumentarfilms Ghaleh von Kamran Shirdel:
Vor der Aufnahme in Shahreno mussten die Frauen von einem Mitglied des „Frauenrats“ begutachtet werden. Danach wurden sie von der Polizei des Viertels registriert und bekamen einen Ausweis sowie eine Gesundheitskarte. Damit waren sie als Bewohnerinnen des Viertels zugelassen. Mit der Gesundheitskarte gingen sie einmal in der Woche zu einer ärztlichen Untersuchung.
Bei der Aufnahme in eines der Häuser mussten die Bewohnerinnen mehrere Schuldscheine unterschreiben. An einen Austritt war aufgrund der Höhe der Schulden und des Makels, der ihnen als „ehrlose“ Prostituierte anhaftete, dann nicht mehr zu denken. Der Zutritt der nicht zugelassenen Frauen war in Shahreno unerwünscht.
Die Frauen hatten das Sagen
Die „Bosse“ in Shahreno waren auf allen Ebenen Frauen. Sie waren als Vermittlerinnen, die mit Sex Geschäfte machten, nicht völlig anders als Männer. Doch der Druck, der von ihnen ausging, war milder, zermürbte die Frauen zwar, zerstörte sie aber nicht. Auch körperliche Gewalt hatte mildere Formen. Männliche Nachtclubbesitzer oder „Vermittler“ versuchten zwar in Shahreno Einfluss auszuüben, doch die strukturelle Macht blieb bei den Vorsteherinnen und einflussreichen Frauen, die die Zügel in den Händen hielten. Gewaltverbrechen waren in dem Viertel eine Seltenheit. Die häufigsten Verstöße gegen Recht und Ordnung war der Konsum von Opiaten, der im Viertel weit verbreitet war. Mit ihm konnten die Sexarbeiterinnen Leid und Elend besser ertragen.
Damals waren außereheliche sexuelle Kontakte von Frauen oder gar die Geburt eines unehelichen Kindes absolut tabu. Frauen, von denen solches bekannt wurde, wurden als „ehrlos“ ausgestoßen, wenn sie nicht von männlichen Verwandten getötet wurden. Selbst wenn sie als Dienstmädchen von ihren Dienstherren oder in den Dörfern von Großgrundbesitzern vergewaltigt worden waren, blieb ihnen meistens nur der Weg frei, als Sexarbeiterin in einem Bordell zu überleben.
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