Zwischen Schmerz und Hoffnung: Parastou Forouhars Reisebericht – Teil 2
Der politische Mord an dem Politikerehepaar Parvaneh und Dariush Forouhar jährte sich am 21. November 2024 zum 26. Mal. Zu diesem Anlass ist die in Deutschland lebende Künstlerin Parastou Forouhar nach Teheran gereist. Das Iran Journal veröffentlicht ihren Reisebericht in zwei Teilen. Hier der 2. Teil.
Der Link zum 1. Teil des Reiseberichts!
Meine Freunde, die ich während meines Aufenthalts in Iran treffe – allesamt Gegner des Regimes, ob bekannt oder unbekannt –, sind sich der Verantwortung, die ihnen aus der Hoffnung nach dem Sturz des Regimes erwächst, bewusst und tragen ihre Last. Doch sie finden keinen wirksamen Weg, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Aus diesem Zustand heraus agieren sie unterschiedlich, ja sogar gegensätzlich. Einer hat aus Verzweiflung an der Präsidentschaftswahl teilgenommen, ein anderer hat sich den Monarchisten angeschlossen, einer bemüht sich, eine sozialdemokratische Partei zu gründen, ein anderer versucht, eine Gruppe von Integrationsfiguren aus der Opposition zusammenzubringen, die die Gesellschaft in der Stunde der Not führen könnte. Einer gründete eine unabhängige Medienplattform, um die Stimme der Opposition im Inland zu stärken. Ein anderer steht derart unter dem Druck ständiger Vorladungen und des Berufsverbots, das ihm auferlegt ist, dass er die Zukunft dem Lauf der Ereignisse überlässt. Ein weiterer plant, Iran zu verlassen, um sich im Exil gegen das Regime zu engagieren. Und so weiter.
Ein Freund, der kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, behauptet, dass in den vergangenen Jahren ein großer Teil der Kraft der politischen Opposition für symbolische Aktionen eingesetzt wurde, die keine entscheidenden Ergebnisse erzielt hätten. „Auch wenn sie gut genug sind, um in die Geschichte einzugehen, tragen sie nicht zum Sturz dieses Regimes bei.“
Selbstmord als Protest
Am Abend des Mittwochs, 13.11., kehre ich von einem langen Tag nach Hause zurück. Die Hauptstraße, die zu meinem Elternhaus führt und „Revolution“ heißt, ist überfüllt. Der Fahrer schlägt vor, über die „Republikstraße“ zu fahren, die ruhiger sei. Dass an einer Kreuzung mehrere Polizeiautos stehen, kommt mir nicht ungewöhnlich vor. In jenen Tagen hatte ich auf dem Mobiltelefon, das ich ausgeliehen hatte, keinen Zugang zum Internet und konnte die Nachrichten nur zu Hause über ausländische Fernsehsender verfolgen. Ich wusste nicht, dass wenige Stunden zuvor die Leiche des Aktivisten Kianush Sanjari genau auf dieser Straße gelegen hatte, die ich nun entlangfuhr. Ich wusste nicht, dass er nur wenige Stunden vor seinem Selbstmord angekündigt hatte, sich umzubringen, falls seine Forderung nach sofortiger Freilassung der vier politischen Gefangenen Fatemeh Sepehri, Nasrin Shakarami, Toomaj Salehi und Arsham Rezaei nicht erfüllt werde. Zu Hause angekommen, erfahre ich aus den Fernseh-Nachrichten von seinem Tod – eine eingeblendete Nachrichtenzeile läuft unter dem aktuellen Programm. Die Zeile zieht vorüber und hinterlässt bei mir eine unerträgliche Bestürzung.
Am nächsten Tag kaufe ich zur Erinnerung an Kianush Sanjari eine rote Rose im Blumenladen meines Viertels, stecke sie in eine Vase und stelle diese auf die Terrasse meines Elternhauses, an jene Stelle, wo er vor vielen Jahren gestanden und mir von seiner Verhaftung beim Jahrestag meiner Eltern erzählt hatte. Damals war er 18 Jahre alt.
Am Abend kommen einige meiner Freunde zu Besuch. Einer meint: „Wir alle haben versagt.“ Wir seien zwar so viele politische Aktivisten in dieser Stadt, doch nur zwei Personen hätten Sanjari nach dessen Ankündigung aufgesucht, um nach ihm zu schauen. „Respekt für sie“, fügt er hinzu, „aber wir alle haben versagt.“ Er berichtet von den diffamierenden Reaktionen, die die Selbstmordankündigung von Kianush auf Instagram nach sich gezogen habe, von der harschen Rhetorik, die in sozialen Netzwerken herrsche und die Atmosphäre des politischen Aktivismus vergifte. Ein anderer Freund sagt, er habe den Instagram-Post von Kianush, in dem dieser seinen Selbstmord ankündigte, unmittelbar gesehen. „Der Ton war ernst, und ich war besorgt. Ich hatte keine Beziehung zu ihm und fragte nur zwei weitere Personen nach ihm, die ihn persönlich kannten. Ich habe nicht weiter nachgehakt. Wir hätten etwas tun sollen, und wir haben es nicht getan.“ Und wieder breitet sich ein Gefühl von Scham aus, das uns alle verschlingt.
Die jährliche Prozedur des Verhörs
Zu dem Verhör, das jährlich vor dem Todestag meiner Eltern stattfindet, werde ich am 11. November bestellt. Es findet in einem neuen Amt statt, das wörtlich übersetzt „Verfolgungsbüro des Informationsministeriums“ heißt. Die Beamten, die mich verhören, sind dieselben wie im letzten Jahr. Auch der Ablauf der Sitzung gleicht sich: Es werden Fragen gestellt, die mir zu verstehen geben sollen, dass sie über mein Leben und meine Aktivitäten Bescheid wüssten; es werden Behauptungen und Anschuldigungen in den Raum gestellt, die meine Bekannten und Freunde betreffen, um meine Reaktionen darauf zu testen und mich zu verunsichern und in die Irre zu führen. Schließlich folgen ihre Monologe, in denen sie die Realität verdrehen.
Am Ende fragen sie nach meinen Plänen für den Jahrestag, die ich auch schriftlich zu Protokoll bringen und unterschreiben muss. Es folgt die obligatorische Mahnung bezüglich der Sicherheit der Versammlung: „Wenn die Konterrevolution diesen Anlass für eigene Ziele instrumentalisiert und die treuen Bürger [gemeint sind die fanatischen Schläger des Regimes] provoziert, können wir die Sicherheit der Versammelten nicht garantieren. Sie tragen die Verantwortung!“ Anschließend geben sie mir meine elektronischen Geräte zurück.
Auf meine Frage, welchen Sinn die Beschlagnahme dieser Geräte habe, wenn sie doch aus Erfahrung wüssten, dass sie keinerlei Informationen enthalten, antwortet einer von ihnen: „Der Sinn erschließt sich uns.“ Die Rückgabe meines Passes wird auf später verschoben. Er befände sich in der „administrativen Bearbeitung“, meint einer. „Nach zwei Wochen ist er immer noch in Bearbeitung?“, frage ich nach. Gelassen antworten sie, dass sie mich kontaktieren würden, wenn ich ihn im üblichen Büro der Passbehörde abholen könnte.
Die Rückkehr von solchen Sitzungen bringt schöne Momente mit sich: das Schwinden der Unruhe in den Augen meiner Tanten, die zu Hause auf mich warten; die Anrufe von Verwandten und Freunden, deren Sorge mit dem Klang meiner Stimme schwindet.
Das Bangen um meinen Pass zieht sich in die Länge. Jedes Mal, wenn ich telefonisch beim zuständigen Büro nachfrage, bekomme ich dieselbe Antwort: „Der Pass befindet sich in der administrativen Bearbeitung.“ Schließlich werde ich einen Tag vor dem Todestag meiner Eltern vorgeladen, um ihn abzuholen.
Schleichender Verfall
Fortsetzung auf Seite 2