Parastou Forouhar bei der Trauerrede für die vom iranischen Geheimdienst getöteten Eltern Parvaneh und Dariush Forouhar - 21. November 2024

Zwischen Schmerz und Hoffnung: Parastou Forouhars Reisebericht – Teil 2

Meine Reise war dieses Mal länger als in den vergangenen Jahren; ich hatte Gelegenheit, mehr Zeit in meinem Elternhaus zu verbringen – hier und da zu sitzen, bis die Erinnerungen zu mir zurückkehrten, das Wandern des Lichts auf den Wänden und Teppichen zu beobachten, die Schränke und Schubladen zu ordnen, den Staub von den Büchern zu wischen, in ihnen zu blättern.

Der Verfall des Hauses hat sich schleichend ausgebreitet und ist nun sichtbar geworden. An dem einen Ende des Wohnzimmers, in der Raumecke, zieht sich entlang der Wand ein Riss, der immer größer wird. Ein schmaler Riss hat sich von der Öffnung des Klimageräts in der Mitte der Wand nach unten gezogen. Der Putz an der Decke, der sich nach einem Rohrbruch aufgeworfen hatte, beginnt langsam abzufallen. Im Treppenhaus und im Flur blättert die Farbe ab. Das Wandregal im zweiten Stock hat sich wegen der Feuchtigkeit aus der Dachrinne verzogen. Die Geländer der Balkone haben Risse bekommen, einige sind gebrochen. Das Haus ist nicht nur ein Erbe. Es verkörpert ein Vermächtnis, das mich an sich bindet – egal ob ich dort bin oder weit weg davon. Es spiegelt meine Liebe zur Heimat wider und meinen Schmerz um sie.

Hier sind meine verstorbenen Eltern, manchmal die Erinnerungen an die Jahre ihres Lebens und ihres Kampfes für die Freiheit. Manchmal sind diese Erinnerungen ihre toten Körper, die hier gefunden wurden. Und manchmal sind sie die Vorstellung, die ich mir von ihrem letzten Gang mache – in jenen Stunden, in denen sie mit ihren Mördern in diesem Haus allein waren. Die Wahrheit darüber zu erfahren, wie geliebte Menschen zu Tode gekommen sind, ist für Hinterbliebene unverzichtbar. Es ist sowohl ein Recht als auch ein Bedürfnis. Es lässt den Lebenden keine Ruhe, gleich, wie viele Jahre vergehen – das macht keinen Unterschied. Wenn man die Wahrheit nicht kennt, wenn ein tyrannischer und listiger Machtapparat einem die Wahrheit verwehrt, dann sterben in der Vorstellung die Gestorbenen tausendfach und auf tausend unterschiedliche Weisen.

Das Haus ist ein Verbündeter für mich, für uns alle, die dort zusammenkommen, um auf das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu beharren.

Die Gedenkveranstaltung

Am Donnerstag, den 21. November, findet die Gedenkveranstaltung zum 26. Jahrestag des politischen Mordes an Parvaneh und Dariush Forouhar statt. Schon am Morgen kommen Verwandte und Freunde, um das Haus für die Zeremonie vorzubereiten. Auch wenn seit einigen Jahren das Verbot der Veranstaltung gelockert wurde, bleibt die Bedrohung spürbar, weil uns die Bilder von jenen Jahren der Verbote im Kopf verfolgen: Aufmärsche der Polizei und der Handlanger des Regimes, die die Straße blockieren und die Versammelten drangsalieren und verprügeln. Es liegt stets die Sorge in der Luft, dass es wieder geschehen kann.

Das Haus von Dariush und Parvaneh Forouhar in Teheran, geschmückt mit Parolen wie "Frau, Leben, Freiheit" und "Gegen das Vergessen" - Foto: Parasotou Forouhar
Das Haus von Dariush und Parvaneh Forouhar in Teheran, geschmückt mit Parolen wie „Frau, Leben, Freiheit“ und „Gegen das Vergessen“ – Foto: Parasotou Forouhar

Am Nachmittag öffnen wir das Haustor, und langsam füllt sich das Haus mit Besuchern. Dieses Jahr war die Anzahl der Menschen, die zur Gedenkveranstaltung kamen, größer als in den vergangenen Jahren, und die Besucher waren unterschiedlicher. Die spürbare Solidarität trotz aller Meinungsdifferenzen, der kulturellen Vielfalt der Anwesenden sowie deren großem Altersunterschied berührt mich und stimmt mich hoffnungsvoll. Auch die Agenten des Regimes sind gekommen. Sie alle tragen Masken. Einige lehnen sich an die Wand gegenüber der Haustür, filmen und fotografieren die Besucher. Andere stehen entlang der Straße oder sitzen in den Autos, die ringsherum parken.

Später am Abend, als sich das Haus langsam zu leeren beginnt, sagt eine Freundin beim Abschied, dass sie während der Stunden unserer Zusammenkunft eine für diese Tage seltene Zuversicht gespürt habe, die sie Kraft schöpfen ließ. Ich muss an meine Eltern denken, an ihre ungebrochene Zuversicht auf ein freies Iran.

Abschiedsbesuch

Am Tag nach der Gedenkfeier besuche ich mit meiner lieben Freundin das Grab meiner Eltern, um all die Blumen, die man für sie gebracht hat, dort abzulegen. Offenbar war schon vor uns jemand dagewesen, der nach alter Tradition Körner auf das Grab gestreut hat, damit Vögel kämen, auf den Grabstein picken und die Toten rufen würden. Mögen sie auch unsere Stimmen hören, die sie nicht in Vergessenheit geraten lassen!

Wenige Tage später reise ich ab. Auf dem langen Flug von Teheran nach Dubai schaue ich aus dem Fenster auf das Land, auf seine steinigen Berge, die Trockenheit ausstrahlen, auf die kleinen Flecken auf seiner gräulichen Haut, die grünlich schimmern, auf seine sandigen Wüsten, die sich sanft ausstrecken, und auf einen bezaubernden Salzsee, der rot schillert. Das Schamgefühl nimmt erneut Besitz von mir. Ich schaue auf die Schönheit dieser Landschaft und kann mich gleichzeitig nicht gegen Verlustgefühle wehren. In mir wächst die Vorstellung des Niedergangs, den meine befreundete Aktivistin vorhergesagt hat. ♦

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