Das Haus von Dariush und Parvaneh Forouhar in Teheran, geschmückt mit Parolen wie "Frau, Leben, Freiheit" und "Gegen das Vergessen" - Foto: Parasotou Forouhar

Zwischen Schmerz und Hoffnung: Parastou Forouhars Reisebericht

Tanten zu haben, ist ein Segen. Sie öffnen mir die Arme, wenn ich ankomme, die Tür zu meinem Elternhaus, das lange leer stand und das sie hergerichtet haben, damit ich mich wohlfühle. Der Duft von Tee und Sauberkeit liegt in der Luft. In ihren Blicken, die an die Augen meiner geliebten Mutter erinnern, schimmert eine vertraute Mischung aus Liebe und Sorge.

Auch Freunde und Weggefährten im Kampf um Gerechtigkeit an seiner Seite zu wissen, ist ein großer Segen. Selbst wenn ich kein Telefon habe, suchen sie so lange, bis sie mich finden. Dann kommen sie, beleben das Haus mit ihrer Präsenz und erfüllen meine Reise mit Freude und Bedeutung. Durch ihre Erzählungen spüre ich den Puls des Lebens in der Stadt und empfinde die Last der Situation, die sie täglich tragen.

Das Gefühl meiner Zugehörigkeit zu dieser Stadt und zu meinem Viertel ist ein weiterer, unvergleichlicher Segen: durch die Straßen zu schlendern, den Alltag zu spüren, mit Nachbarn und Ladenbesitzern zu plaudern, Nachrichten und Gerüchte über sowie Flüche gegen die Verursacher der Misere des Landes auszutauschen, zu lachen über den Humor, der noch immer inmitten von Erschöpfung und Bitterkeit die Gespräche würzt, oder einen Passanten zu treffen, der Erinnerungen an die Vergangenheit zum Leben erweckt – an meinen Vater oder meine Mutter, an eigene Erlebnisse anlässlich vergangener Jahrestage, an das „Ey Iran“-Lied, das wir zu diesem Anlass immer gemeinsam singen, oder an die Verhaftungen und Schläge, die sie erlitten haben. Hier und da begegne ich Fremden, die mich erkennen und ansprechen, um ihre Solidarität zu bekunden, die die Namen meiner Eltern aussprechen, um sie in Erinnerung zu rufen. Schon seit Jahren fragt mich hier niemand mehr nach dem Grund meiner Reise, hinterfragt weder deren Sinn noch Zweck. Die Versammlung zum Jahrestag der Ermordung der Forouhars scheint zu einem Brauch geworden zu sein, der gemeinsam begangen und bewahrt wird.

Sorgen der Bevölkerung

Bereits bei den ersten Berührungen mit dem Alltag erkennt man den drastischen wirtschaftlichen Druck, der auf den Menschen lastet. Die exorbitant gestiegenen Preise treffen einen wie Schläge ins Gesicht. Man fragt sich ständig, wie finanzschwache Menschen es schaffen, ihren Alltag zu bewältigen, wie sie sich überhaupt ihr täglich Brot leisten können. Die Geschäfte sind zwar gefüllt und scheinen das Bild eines stabilen Alltags abzugeben, doch die Armut hat sich wie ein Tsunami in das Gefüge des Lebens eingeschlichen. Sie ist allgegenwärtig, springt stets ins Auge und hinterlässt ein bleibendes Schamgefühl.

Aus der Ferne glaubte ich, die Angst vor einem möglichen Krieg und seinen verheerenden Folgen müssten das Hauptthema dieser Tage sein. Doch schon bei den ersten Gesprächen in meinem Stadtviertel wird mir klar, dass selbst angesichts des Krieges das, was die Menschen am meisten belastet und ängstigt, die eskalierende wirtschaftliche Krise ist, die durch den Krieg noch verschärft werden würde. Sie haben mehr Angst vor den Folgen des steigenden Dollarkurses auf ihr Leben als vor Bomben und Raketen. Ein Ladenbesitzer erklärt mir: „Die haben nicht den Mut, mit Mächtigeren zu kämpfen. Ihr Krieg ist gegen uns gerichtet, die wir zu ihren Geiseln geworden sind. Sie prahlen nur und werfen höchstens ein paar ‚Boiler‘ hier und da ab.“ Verblüfft frage ich mich, was er wohl mit ‚Boiler‘ meint. Sein Lehrling sagt: „Kennst du das nicht? So nennen wir die Raketen der Regierung – Boiler.“

Parvaneh und Dariush Forouhar
Parvaneh und Dariush Forouhar

Als die Nachricht über die Beschlagnahmung meines Passes bekannt wird, werde ich immer wieder auch darauf angesprochen. Bekannte und Fremde, sogar in Geschäften, Taxis und in der Metro, fragen mich nach meinem Pass; dem folgen Flüche gegen das Regime, die nun viel schärfer formuliert und offener ausgesprochen werden als in den Jahren zuvor. Einmal gehe ich einen Gehweg entlang, als eine laute Stimme in der Luft erklingt: „Haben sie den Pass zurückgegeben?“ Es ist ein Motorradfahrer, der die Straße entlang fährt. Ich rufe ihm hinterher: „Noch nicht, aber danke!“

Solche Momente der Solidarität sind erfrischend und heilsam, wie ein kühler Morgenwind, der einem ins Gesicht weht und die Seele belebt. Auch der Anblick von Frauen ohne Kopftuch in der Stadt beschert mir dieses Gefühl. Ihre alltägliche Rebellion leuchtet wie Sterne im Trubel der Stadt. Ihre Anwesenheit wird von allen – Frauen und Männern, Gläubigen und Nicht-Gläubigen – so selbstverständlich akzeptiert, dass nicht nur sie bewundernswert erscheinen, sondern auch die Umgebung durch die bloße Akzeptanz ihres Tuns gleich respektvoller wirkt. Doch dieses würdige Bild des öffentlichen Raums wird abrupt an den Toren von Schulen, Universitäten, Ämtern und ähnlichen Gebäuden zerstört. Solche Orte sind wie Engpässe, wo die Handlanger des Regimes das Sagen haben, wo sie ihre „Autorität“ zur Schau tragen, Anweisungen geben, Abweichler beleidigen und demütigen, ja, sogar vor Ort bestrafen. In der ersten Woche meines Aufenthalts in Teheran wurde Ahoo Daryayi, eine 26-jährige Studentin, an einem solchen Engpass am Eingang des Universitätsgebäudes aufgehalten und so sehr drangsaliert, dass sie sich in einer explosiven Reaktion ihre Kleidung vom Leib riss. Fast nackt und wehrlos lief sie auf und ab, bis sie von Agenten abgeführt wurde. Es folgte eine große Welle der Solidarität mit ihr und ihrer symbolträchtigen Aktion.

Eine neue Kultur

Selbst in der Metro, wo die Staatskontrolle schärfer ausgeübt wird, begegnet man Frauen ohne Kopftuch. Der Unterschied ist die Stimme, die aus den Lautsprechern der Stationen ertönt und ermahnt, dass die Einhaltung des islamischen Hijabs obligatorisch sei und der Verstoß dagegen eine Straftat darstelle, die verfolgt werde. Die Stimme ist laut vernehmlich und wiederholt sich beständig, ohne dass jemand – ob mit oder ohne Kopftuch, Frau oder Mann – darauf achtet. Es scheint mir, als ob unter den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes eine Kultur des „Respekts und der Achtung vor der Würde des anderen“ herangewachsen ist, die alle gemeinsam aufrecht hält und festigt.

Für mich, die ich aus der Ferne verfolge, was in Iran geschieht, war es sehr hoffnungsvoll, diese neue Kultur zu erleben – so klar und selbstverständlich in den Alltag integriert, als habe sie sich zu einer sozialen Norm entfaltet. Welches Echo könnte nachhaltiger für den großartigen Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ erklingen, der während des Aufstands im Jahr 2022 ganz Iran durchzogen hat? Es scheint, als ob jene Forderungen dieser Bewegung – vom Stopp der Hinrichtungen und der Freilassung der politischen Gefangenen bis hin zur Abschaffung des Regimes -, deren Voranschreiten durch zivilen Ungehorsam der Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt werden könnte, Früchte getragen haben und weiterhin lebendig und stark sind. Doch die Forderungen, die von den Initiativen der politischen Opposition abhängen sind in diversen Sackgassen gelandet und stecken weiterhin fest.

Ein lieber Freund meinte, die Islamische Republik habe ihre Existenz mit den unterschiedlichen Geweben des sozialen Lebens derart heimtückisch verflochten, dass die Last jeder einzelnen Niederlage des Regimes auf die Schultern der Bevölkerung fällt. Er sagte, das Geheimnis dessen Machterhalts liege darin, genau diese Gleichung aufrechtzuerhalten. Unweigerlich musste ich an das weitreichende Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen denken, das unter Schulen, Krankenhäusern und Wohnhäusern der Bevölkerung gebaut wurde – so fest mit dem Alltag der Stadt verschmolzen, dass jeder Angriff auf diese Tunnel zur Zerstörung von Lebensräumen der Menschen und zum rücksichtslosen Töten der Zivilbevölkerung führte. Mein Freund setzte fort: „Sie haben immer versagt, und wir haben immer die Last ihrer Niederlagen getragen. Dann denken sie sich ein neues Projekt aus, das ebenfalls scheitern wird oder bereits gescheitert ist.“

Eine befreundete Aktivistin sagt: „Wir haben keinen anderen Ausweg als den Sturz dieses Regimes. Jede Minute, in der dieser Zustand andauert, verursacht weiteres Elend für die Menschen. Er wird in der vollständigen Zerstörung Irans münden.“ Sie war so aufgewühlt, dass sie die anderen kaum reden ließ. Mit unbändiger Wut beschrieb sie den bevorstehenden Niedergang. Nicht nur das Regime, sondern auch die politische Opposition stellte sie an den Pranger: „Viele von ihnen sind respektable Menschen, aber sie werden ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht. Sie sind mit sich selbst beschäftigt, und ihre einzige Kunst besteht darin, sich gegenseitig Steine in den Weg zu legen, Debatten zu führen, die eher ablenken, anstatt zu fokussieren.“ Sie sprach lange und ich spürte, wie sich unter den Anwesenden langsam ein Schamgefühl ausbreitete. Scham über das Eingeständnis einer Ohnmacht, an der wir alle teilhaben. Ich fragte sie: „Hast du Hoffnung? Woraus schöpfst du Hoffnung?“ Sie schaute mich überrascht an, lächelte und antwortete erst nach einer Weile: „Aus den einfachen Menschen, ihrem Anstand und ihrer Tapferkeit.“

Hier der Link zum 2. Teil des Reiseberichts von Parastou Forouhar!

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