Esmail Khois Rückkehr nach Borgio Verezzi

Der iranische Dichter Esmail Khoi ist in seinem Londoner Exil gestorben. Aus diesem Anlass stellt Nima Mina sein Gedicht “Rückkehr nach Borgio Verezzi” vor. Es ist ein Schlüsseltext für das Verständnis der nachrevolutionären persischen Exillyrik. Eine deutsche Übersetzung erscheint im Anhang dieses Textes.

Esmail Khoi, geboren am 29. Juni 1938, gehört zu den wichtigsten Vertretern der modernen persischen Lyrik. Er wuchs in Maschhad in der nordostiranischen Provinz Khorasan auf. Nach dem Abschluss seiner Schulausbildung besuchte er in Teheran die Pädagogische Hochschule und ging 1959 im Alter von 21 Jahren mit einem Regierungsstipendium nach Großbritannien, um am University College London Philosophie zu studieren. Nach dem Abschluss seines Studiums kehrte Khoi mit seiner italienischen Ehefrau, die er in England kennengelernt hatte, in den Iran zurück. Aus dieser Ehe, die Ende der 70er Jahre geschieden wurde, gingen zwei Kinder hervor.

Im Iran wurde Khoi als Dozent für Philosophie an seine alte Hochschule berufen, verlor aber in den 1970er Jahren auf Betreiben des Staatssicherheitsdienstes seine Lehrbefugnis. In den ersten fünf Jahren nach seiner Rückkehr nach Teheran veröffentlichte er fünf Gedichtsammlungen, die seinem Werk sehr bald einen Platz im Kanon der modernen persischen Lyrik verschafften.

Khois Lyrik aus diesen Jahren weist formale und inhaltliche Züge auf, die sie bis heute beibehalten hat. Sie steht in der Tradition der Khorasani-Schule der modernen persischen Lyrik und vor allem unter dem Einfluss von Mehdi Akhavan-Sales (1928-1990).

Politisch stand Khoi seit den 1960er Jahren der neuen unabhängigen Linken nahe und ist während der vergangenen vierzig Jahre immer ein Dissident gewesen. Während der Revolution von 1978/79 war er Funktionsträger im iranischen Schriftstellerverband. Der Verband wurde bereits seit seiner Gründung in den 1960er Jahren vom vorrevolutionären Staat verfolgt. Ein noch härteres Schicksal wurde ihm nach dem Regimewechsel im Jahre 1979 zuteil, als viele seiner Mitglieder, die nach ihrer anfänglichen prorevolutionären Euphorie aufgrund ihrer Opposition gegen den islamistischen Monopolanspruch in Gefahr gerieten, ins Exil gingen. Während der letzten 35 Jahre war Khoi ein schaffenskräftiger Dichter mit über 30 außerhalb des Irans publizierten Büchern. Vor der Revolution hat er insgesamt zehn Bücher veröffentlicht.

Blick aus dem fahrenden Zug

“Rückkehr nach Borgio Verezzi” ist ein narratives Gedicht, in dem der Ich-Erzähler – das lyrische Ich – den Leser von der ersten Zeile an mit einer Reihe von kurzen, aufeinander folgenden Eindrücken und Bildern aus der Perspektive eines fahrenden Zuges nach Borgio Verezzi, einem ligurischen Dorf in der Provinz Savona am Golf von Genoa konfrontiert.

Die ersten zwanzig Zeilen des Gedichts sind deskriptive Phrasen, Wortfolgen ohne Verb, die die vorbeiziehenden Landschaftsbilder skizzenhaft beschreiben. Sie bestehen oft nur aus einem unbestimmten Substantiv und einem zusammengesetzten, abstrakten Adjektiv (حسّی بی واژه). In der dritten und zwanzigsten Zeile verdeutlichen zwei Verben die erzählte Zeit als Präsens. Damit erlebt der Leser die “Geschichte” zusammen mit dem lyrischen Subjekt. Aufgrund des Ortsnamens im Titel und weiterer Referenzen wissen wir, dass wir uns in Italien und am “azurblauen Meer” befinden.

Die Erzählung liest sich wie ein Erlebnisbericht, den das lyrische Ich schreibt, um die Flut der Eindrücke, die seine Gedanken zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Traum, Alptraum und Wirklichkeit hin- und herspringen lassen, zu kontrollieren und Ordnung in ihnen zu schaffen. Die Erzählung wird stellenweise unterbrochen von bruchstückhaften Einblendungen von Erinnerungen an eine frühere Reise des lyrischen Ichs mit einer Geliebten an denselben Ort. Diese Reise liegt, wie aus der allerletzten Zeile des Gedichts hervorgeht, zwanzig Jahre zurück.

Gespräch mit Hafis
Fortsetzung auf Seite 2