Was Iranerinnen vom neuen Parlament erwarten
Die Iranerinnen sind nicht nur durch eine männlich dominierte Gesellschaft benachteiligt, sondern auch durch frauenfeindliche Gesetze. Grund genug, um bewusst an den Wahlen teilzunehmen und so das Regime auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Was aber sind die Forderungen?
Die jüngsten Parlamentswahlen im Iran haben zum wiederholten Mal bewiesen, dass sich die politische, aber auch gesellschaftliche Lage in Irans Hauptstadt Teheran stark von der in anderen iranischen Städten unterscheidet. Die TeheranerInnen haben in den vergangenen vier Jahrzehnten gezeigt, dass sie sich schneller als die Bewohner anderer Städte von Traditionen trennen und mehr individuelle und gesellschaftliche Freiheiten erkämpfen. Deshalb nehmen Beobachter lieber die Forderungen der Bevölkerung außerhalb der Hauptstadt als Maß, wenn es um die Einschätzung der „realen“ Wünsche der iranischen Gesellschaft geht. Dieser Teil der Bevölkerung ist immer noch zum großen Teil religiös und beugt sich traditionellen Strukturen.
Borudjerd in der westiranischen Provinz Lorestan etwa ist in diesem Sinne eine traditionelle Stadt, in der Frauen weder in der Öffentlichkeit noch in hohen Ämtern eine Rolle zugeteilt wird.
Assieh ist die erste Frau aus Borudjerd, die sich traut, ein Interview zu geben. Die schwarz verschleierte 32-jährige Lehrerin erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als würde sie der „Partei Gottes“ (so nennen sich die Anhänger der konservativen Machthaber im Iran – d. Red.) angehören oder den so genannten „Linientreuen“, die sich als die wahren Nachfolger der Revolution von 1979 verstehen.
Doch ihr Aussehen täuscht. Ihre Antwort auf die Frage, warum sie an den Wahlen teilgenommen hat, bringt ihre Einstellung ans Licht. Sie meint, dass die Menschenrechte im Iran im Namen der Religion mit Füßen getreten würden und nur die Bemühungen der Regierung Rouhani und der Reformisten, das Land aus der internationalen Isolation zu führen, dagegen wirken könnten. An den vorherigen Wahlen habe sie nicht teilgenommen, so Assieh. Da hatten die Konservativen die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen. „Was haben sie für Frauen unternommen? Wenn die Guten im Parlament sitzen würden, würden keine Gesetze für die Zeitehe verabschiedet oder solche, die Ehen von kleinen Mädchen mit reichen Wölfen ermöglichen …“
Assieh kann ihre Tränen kaum aufhalten. Sie erzählt von einer ihrer Schülerinnen, die als Zwölfjährige die Schule verlassen musste, weil ihre Familie sie zur Heirat mit einem 43-Jährigen gezwungen hatte.
Assieh selbst hat drei Töchter, die jüngste ist 10 Jahre alt. Sie hätte ihren Kindern beigebracht, dass sie sich durch Studium und Erlernen der englischen Sprache von ihren zukünftigen Ehemännern finanziell unabhängig machen könnten, sagt die Lehrerin.
Gesetzlich müssen Mädchen im Iran zum Heiraten mindestens 13 Jahre alt sein, Jungen mindestens 15. Mit der Genehmigung ihres Vormundes dürfen Mädchen jedoch früher verheiratet werden. Laut der islamischen Scharia ist ein Mädchen mit neun Jahren, ein Junge mit 15 „reif“ zum Heiraten.
Kritik von Unicef
Vor etwa einem Monat hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) die Islamische Republik aufgefordert, Gesetze, die das Heiraten von Kindern ermöglichen, abzuschaffen. Die UN-Organisation kritisierte den Iran, weil das Land sexuelle Beziehungen erwachsener Männer mit kleinen Mädchen gesetzlich erlaube und sexuelle Nötigung von Kindern damit nicht bestraft werde.
Kurz darauf bestätigte die Frauenbeauftragte von Präsident Rouhani, Schahindokht Molawerdi, die Unicef-Vorwürfe: „In den vergangenen zwei Jahren erreichten uns immer wieder beunruhigende Berichte von standesamtlich registrierten Heiraten junger Mädchen, die das gesetzliche Heiratsalter noch nicht erreicht hatten und zum Teil jünger als zehn Jahre alt waren“, sagte Molawerdi gegenüber JournalistInnen. Die Regierung soll die nationale Behörde für Kinderrechte eingeschaltet haben, fügte sie hinzu.
Und der Sport …
Sara ist 27 Jahre alt und liebt es, sich farbenfroh anzuziehen. Sie erzählt, dass viele Männer in der konservativen Kleinstadt Borudjerd bunt gekleidete Frauen für „schlechte Frauen“ hielten. Dies ist für sie aber kein Problem. Sie ist geschminkt, ihre Nägel sind orange lackiert. Ihr Ehemann habe nichts dagegen, sonst hätte sie ihn entweder verlassen oder ihre Wünsche aufgeben müssen – und bis zum Ende ihres Lebens darunter gelitten, sagt die junge Frau.
Sara hat lange davon geträumt, an den olympischen Spielen in Leichtathletik teilzunehmen. Sie war eine der schnellsten Läuferinnen ihrer Provinz. Am Ende musste sie aber akzeptieren, dass sich der Frauensport und die konservative Einstellung ihrer Heimatstadt ausschließen. Sie arbeitet halbzeit als Bürokauffrau. Den Rest ihrer Zeit verbringt sie vor allem mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern.
Sara erwartet von dem neuen Parlament, dass die „uralten Gesetze“ abgeschafft würden, durch die die Benachteiligung von Frauen im Iran zur Selbstverständlichkeit geworden sei. Sie ist der Meinung, dass diese Gesetze Frauen zu „Bürgern zweiter Klasse“ gemacht haben: „Männer dürfen dadurch mit ihnen machen, was sie wollen“, so Sara. Der Frauensport ist für sie ein gutes Beispiel für die staatlich unterstützte Diskriminierung der Iranerinnen.
Sara schaut sich ab und zu Sportsendungen anderer Länder über Satellit an. Sie leidet darunter, dass die Frauen ihres Heimatlandes nicht die gleichen Möglichkeiten haben. Sie weiß, dass iranische Frauen aufgrund der Kleidungsvorschriften an vielen Sportarten nicht teilnehmen dürfen und stellt fest: „Ich glaube, dass für viele Nicht-Iraner der Anblick unserer Frauen im Sport eher belustigend ist.“ Am meisten ärgert sie, dass Iranerinnen sogar das Recht auf Zutritt in Sportstadien verwehrt wird: „Obwohl weder der Koran noch die dem Propheten zugeschriebenen Überlieferungen dies verbieten.“
Lästige Kleidervorschriften
Sara weiß nicht, dass Nadjmeh Khedmati, die sich für die olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 qualifiziert hat, vom neuen Parlament das Gleiche erwartet. Khedmati sagte der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA, dass das neue Parlament durch Beseitigung der Diskriminierungen dem iranischen Frauensport zu mehr Erfolg in Asien und der Welt verhelfen könnte. Die Sportschützin kritisiert indirekt die lästigen Kleidervorschriften, die iranische Sportlerinnen nicht nur im Inland zu beachten haben. Sie fordert die ParlamentarierInnen auf, die iranische Gesellschaft und die Welt genauer zu beobachten. So würden sie feststellen, dass Gleichberechtigung mittlerweile unerlässlich sei.
Gewalt gegen Frauen
Asam ist 28 Jahre alt. Sie ist Hausfrau und kleidet sich nach islamischen Vorschriften. Sie sagt, dass sie bis jetzt nie das tägliche Gebet versäumt habe. Sie hat ebenfalls an den Wahlen teilgenommen, möchte jedoch nicht verraten, wen sie gewählt hat. Sie hat „keine großen Erwartungen“ an das neue Parlament: „Es reicht mir, wenn die GesetzgeberInnen gegen häusliche Gewalt vorgehen und für mehr Ruhe innerhalb der Familien sorgen würden.“
Asam hat eine achtjährige Tochter und einen sechsjährigen Sohn. Sie sagt, dass beide Kinder unter Stress leiden, da ihr Vater gewalttätig und launisch sei und sehr schnell die Kontrolle über sich verliere. Er schlage Asam vor den Kindern und drohe, eine jüngere Frau zu heiraten, falls sie nicht nach seinen Regeln spiele.
Warum lässt sie sich nicht scheiden? „Einmal zog ich vor Gericht. Man hat mich zum sozialpädagogischen Dienst geschickt. Dort wurde mir klar gemacht, dass ich mich von meinem Ehemann nur dann trennen kann, wenn er drogenabhängig wäre. Dann nannten mir die Betreuer ein paar Heiligen, die ihren Männern gehorcht hätten. Ich solle auch lieber meine Familie beschützen, an meine Kinder denken und mich nach dem Willen meines Ehemannes verhalten, damit wieder Ruhe einkehre.“
Asam ist aber auch selbst froh, geblieben zu sein, denn sie hat weder studiert noch eine Ausbildung gemacht. Sie hat so gut wie keine Chancen, einen Job zu finden. Ihre Familie ist arm und kann sie nicht unterstützen. Zudem bekäme ihr Ehemann nach der Scheidung das Sorgerecht. So würde sie ihre Kinder nicht mehr sehen können.
Auch Mahin, eine Cousine von Asam, erwartet von dem neuen Parlament, dass Hausfrauen mehr unterstützt werden; Hausfrauen, die durch „frauenfeindliche“ Gesetze zu Sklavinnen ihrer Ehemänner geworden seien. Mahin sagt, sie sei noch nie einem „guten Mann“ begegnet und deshalb generell Männern gegenüber misstrauisch. Ihr Ehemann sei nicht nett und immer müde, keiner hätte ihn bislang lachen gesehen. Er hat einen Bürojob, verdient wenig und muss daher nach Feierabend noch als Taxifahrer arbeiten. Er ist auch gewalttätig. Mahin hat ihn deshalb bereits einige Male verlassen und ist zu ihrem jüngeren Bruder gegangen, der aber drogensüchtig sei. Ihr Bruder hat sie immer wieder überredet, zu ihrem Mann zurückzugehen.
Borudjerd hat mit 340.000 EinwohnerInnen weder ein Frauenzentrum noch eine auf Gewalt spezialisierte Beratungsstelle für Frauen. Hier erleben Frauen durch konservative Strukturen oder traditionelle Familien mehr Druck als Frauen in der Hauptstadt. Trotzdem sind die Forderungen landesweit gleich. Alle Frauen in Borudjerd, die sich zu einem Interview bereit erklärten, sehnen sich nach der Gleichberechtigung, für die die Frauen in Teheran seit Jahren kämpfen.
MINA TEHRANI
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Farhad Payar