Gestohlene Kindheit: Kinderehen im Iran
Die Zahl der Hochzeiten von Kindern im Iran steigt. Seit über 34 Jahren sind Eheschließungen Minderjähriger dort gesetzlich erlaubt. Während die Konservativen daran festhalten, kämpfen Kinder- und FrauenrechtlerInnen seit Jahren für die Abschaffung der Kinderehe.
Sie waren noch Kinder, besuchten die Schule und spielten mit Puppen. Doch plötzlich sollten sie die Ehefrau eines oft viel älteren Mannes werden. Mit der Eheschließung musste auch die Schule abgebrochen werden. Die Kindheit war vorbei. So klingen viele Schilderungen iranischer Frauen, die als junge Mädchen oder gar Kinder zwangsverheiratet wurden. .
Dieses Schicksal ist offiziellen Angaben zufolge im Iran keine Seltenheit. Die iranische „National Organisation for Civil Registration“ veröffentlichte in der vergangenen Woche neue Zahlen: Demnach wurden allein zwischen März und Dezember 2013 etwa 31.000 Mädchen unter fünfzehn Jahren verheiratet. Das sind mehr als vier Mal so viele wie 2011: Da wurden 7.440 solcher Kinderehen gezählt.
Die betroffenen Kinder sind dabei nicht nur der Entscheidung ihrer Eltern, sondern auch den Gesetzen ausgeliefert. Laut Paragraf 1014 des iranischen Zivilgesetzes, das auf islamischem Recht basiert, dürfen Mädchen ab dem 13. und Jungen ab dem 15. Lebensjahr heiraten. Überdies können Eltern von Mädchen unter 13 Jahren von einem Richter die „Heiratsreife“ ihrer Tochter bestätigen lassen. So können selbst Mädchen im Alter von sieben oder acht Jahren ganz legal von ihren Eltern verheiratet werden.
Die iranische Rechtsanwältin Shirin Ebadi setzt sich seit Jahren auch für Kinderechte im Iran ein. Vor allem Mädchen aus armen Familien seien von solchen frühen Zwangsverheiratungen bedroht, sagt die seit 2009 im Exil lebende Friedensnobelpreisträgerin im Gespräch mit TFI. Das sei „eine Art Menschenhandel“, so Ebadi: „Denn meist werden die jungen Mädchen mit wohlhabenden Männern verheiratet. Und die Eltern handeln dabei für sich hohe Brautgelder aus.“
Keine Zufluchtsorte
Aber nicht nur ökonomische Gründe sind Ursache von Kinderehen. Ebadi kennt viele Familien, die zwar an der Armutsgrenze leben, aber dennoch alles tun, um ihren Kindern zu schulischer Bildung zu verhelfen. Es seien oft auch strenge kulturelle Traditionen, die zu den frühen Verheiratungen von Mädchen führten. Die Menschenrechtlerin fordert deshalb „Aufklärungsarbeit“. Die von ihr 1994 mitgegründete Kinderrechtsorganisation Society for Protecting the Child’s Rights war die erste Organisation im Iran, die eine Hotline für Kinder in Not anbot. Ebadi erinnert sich, dass damals auch zwangsverheiratete Mädchen um Hilfe baten. Doch leider könne man nicht viel tun, erklärt die 67-Jährige. Etwa, weil es im Iran keine Zufluchtsstätten für Betroffene gebe: „Es gibt nicht einmal richtige Frauenhäuser. Viele Mädchen, die vor einer Zwangsverheiratung fliehen, landen auf der Straße.“
Brutale Folgen
Mädchen und Frauen, die bereits als Kinder verheiratet werden, werden häufiger Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt als Frauen, die selbstbestimmt als Erwachsene eine Ehe eingehen. Zwangsehen sind zudem auch häufige Ursache für Tötungsdelikte unter Ehepaaren, erklärt Ebadi mit Hinweis auf eine sozialwissenschaftliche Studie der Universität Teheran. Laut der Untersuchung überwiegt dabei die Zahl der Täterinnen die der Täter. Und es handelt sich dabei meist um Frauen, die bereits als Kinder zwangsverheiratet wurden. In der Studie aus dem Jahr 2011 waren Ehemorde in 15 der 31 Provinzen des Irans untersucht worden.
Der Studie zufolge liegt in Provinzen, in denen Scheidungen gesellschaftlich nicht völlig negativ bewertet werden, die Zahl der Frauen, die an der Ermordung ihrer Ehemänner beteiligt waren, niedriger als in anderen. Offiziellen Angaben zufolge gibt es jährlich durchschnittlich 800 Scheidungen, bei denen die Ehefrauen erst zwischen 10 und 14 Jahre alt sind, und 15.000 Scheidungen von solchen zwischen 15 und 19 Jahren.
Außerdem führen die frühen Eheschließungen auch zu gesundheitlichen Schäden. Die Sterblichkeit liegt bei Müttern unter 15 Jahren fünfmal so hoch wie bei erwachsenen. Auch Kinder von zu jungen Müttern seien gefährdet, betont Ebadi. Die Gefahr, dass Kinder minderjähriger Mütter vor Erreichen des ersten Lebensjahres sterben, ist um 50 Prozent höher als bei Kindern, deren Mütter zum Zeitpunkt der Geburt das 18. Lebensjahr vollendet haben.
Islamisches Recht geht vor
Zwar habe der Iran 1990 die internationale Kinderrechtskonvention unterschrieben, aber dabei eine Bedingung gestellt, sagt Ebadi. Die laute: „Islamisches Recht geht vor“. Das sei nicht hinnehmbar, so die Juristin, denn „erstens kann man nicht etwas unterschreiben und dabei Bedingungen stellen, zweitens hat der Iran dabei nicht eindeutig erklärt, welche Paragrafen der Konvention sich gegen das islamische Recht richten“. Der United Nations Children’s Fund (UNICEF) habe den Iran mehrmals aufgefordert, sich dazu zu äußern. Doch UNICEF hätte mehr Druck ausüben müssen, so Ebadi: „Denn schließlich geht es hier um einen Verstoß gegen internationale Bestimmungen.“
„Heiraten unter 18 verbieten“
Als Menschen- und Kinderrechtlerin kämpft Ebadi seit Jahren für die Änderung der Gesetze. Gemeinsam mit anderen AktivistInnen konnte sie erreichen, dass während der Amtszeit des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami (1997-2005) das Heiratsalter für Mädchen von neun auf 13 Jahre erhöht wurde. „Unser Ziel war, das Heiratsalter für Mädchen auf 16 Jahre zu erhöhen“, sagt Ebadi. Aber der iranische Wächterrat weigerte sich damals so lange, diesen Gesetzesvorschlag des Parlaments zu genehmigen, bis sich der Schlichtungsrat einschaltete und 13 als Mindestheiratsalter für Mädchen vorschlug.
„Das Heiratsalter muss auf 18 Jahre erhöht werden“, fordert Ebadi. Die heutige Regelung beruhe auf einem über 70 Jahre alten Gesetz. In der Zeit vor der islamischen Revolution im Jahre 1974 hatte der damalige Machthaber Schah Mohammad-Reza Pahlavi durch ein neues Familienschutzgesetz das Heiratsalter für beide Geschlechter auf 18 Jahre angehoben. Doch gleich nach der islamischen Revolution wurde diese Reform rückgängig gemacht.
Ebadi will weiterkämpfen, bis die Gesetze ihrer Heimat Mädchen besser schützen: „Wir müssen erreichen, dass künftig Männer, die minderjährige Mädchen heiraten, und Väter, die ihre Töchter zwangsverheiraten, bestraft werden.“
FOROUGH HOSSEIN POUR