Vom schönen Schein der Islamischen Republik

Auch wird immer wieder die Hypothese aufgestellt, der Iran sei das einzige stabile Land in der Region – anders als die vom „Arabischen Frühling“ erfassten Staaten. Auf Grundlage dieser Aussage wird vor allem die Notwendigkeit engerer Beziehungen Europas zum Iran rationalisiert. Diese Annahme verkennt jedoch, dass die gegenwärtig scheinbare Stabilität des Landes bei genauer Betrachtung eher auf tönernen Füßen steht – wie zuletzt beim Aufstand zur Jahreswende unmissvetsändlich demonstriert wurde. Denn wie in anderen Ländern Westasiens und Nordafrikas auch, existiert im Iran bis heute eine Mischung aus sozio-ökonomischer Malaise und politischer Unmündigkeit des Großteils der Bevölkerung, die den Boden auch für zukünftige Aufstände gegen das Regime bereitet.
Alarmierend sind in diesem Zusammenhang die unvermindert hohe Jugendarbeitslosigkeit, das hohe Maß an sozialer Ungerechtigkeit (die Hälfte der Iraner lebt am Armutslimit), die grassierende Korruption und Vetternwirtschaft sowie ein weltweit rekordverdächtiger Brain-Drain.
So werden die systemimmanente Schattenseiten der Islamischen Republik systematisch ausgeblendet. Denn die dortige Eliten-Herrschaft, die die große Mehrheit der Bevölkerung von politischer und wirtschaftlicher Beteiligung systematisch ausschließt, hält unvermindert an.
So muss eher konstatiert werden, dass die Situation in der Islamischen Republik Iran – trotz anderslautender Behauptungen aus dem In- und Ausland – viel mehr jener Lage in den vom „Arabischen Frühling“ erfassten Nachbarländern ähnelt. Die zuvor erwähnte Reformresistenz des iranischen Systems – die Unzulänglichkeit schrittweiser institutioneller Reformen, um einen grundlegenden Wandel zu induzieren, sowie das Manko einer Trennung von Staat und Religion – engt laut einer aktuellen vergleichenden Studie des Soziologen Misagh Parsa mögliche Demokratisierungsoptionen des Landes ein. Sein ernüchterndes Fazit: „Die Islamische Republik kann höchstwahrscheinlich nicht durch politische Reform demokratisiert werden.“

Der iranische Staat reagiert auf die Proteste mit Polizeigewalt
Der iranische Staat reagierte auch auf die neuerlichen Proteste mit Polizeigewalt

 
Reformer im Fahrwasser des Systems
Vor diesem Hintergrund erscheint die lange Zeit gebetsmühlenartig wiederholte Argumentation vieler Iran-Analysten und europäischer Medien-Schaffenden, der einzig gangbare Weg hin zu einer Demokratisierung sei jener der schrittweisen Reformen, lediglich als ein Widerhall der Sichtweise des reformistischen Flügels der politischen Elite der Islamischen Republik, die bekanntlich eher an einer moderaten Modifizierung des Systems als an wirklichen Veränderungen interessiert ist.
Irans Außenpolitik zwischen Wandel und Kontinuität
Vermessen wäre es allerdings auch, keinerlei Veränderungen in der iranischen Politik festzustellen – eine dogmatische Haltung, die sich wie ein Mantra durch die Iran-Kommentare neokonservativer Kreise in Israel und dem Westen sowie zunehmend auch durch die Saudi-Arabien nahe stehende arabische Presselandschaft zieht. In der Tat müssen wir anerkennen, dass Präsident Rouhani und sein in internationalen Diplomatenkreisen hochgeachteter Außenminister Javad Zarif eine wesentlich andere Außenpolitik verfolgen als etwa die Vorgänger-Regierung.
Der erfolgreiche Abschluss des Atomabkommens, ein zweifelsohne historischer Verhandlungsprozess zwischen dem Iran und den westlichen Großmächten, legt hiervon ein deutliches Zeugnis ab. Allerdings gibt es nach wie vor außenpolitische Kontinuitäten, die in vielen Iran-Analysen zu kurz kommen. Denn zur Wahrheit gehört, dass weder die Regierung noch das Außenministerium eine Richtlinienkompetenz in der Außenpolitik besitzen. Somit ist der Vorwurf, sie würden eher als PR-Maschine fungieren nicht vollkommen von der Hand zu weisen. So wird die iranische Politik im Irak und in Syrien nach wie vor primär von den Revolutionsgarden und dem Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei bestimmt, die weniger auf Ausgleich als auf Machterhalt und -ausbau bedacht ist.
Somit besteht eines der zentralen analytischen Fehler in der Eins-zu-eins-Übertragung der von der Regierung und dem Außenminister proklamierten Außenpolitik des Ausgleichs auf die iranische Machtpolitik im Irak und in Syrien. Während solch eine Projektion von manchen europäischen Medien und politischen Kreisen kritiklos übernommen wurde, mit dem langfristigen Ziel einer politisch-strategischen Annäherung an die Regionalmacht Iran, stößt dies unter vielen arabischen Nachbarn auf großes Unverständnis und wird als Ausdruck einer eindeutigen Bevorzugung des Iran gedeutet.
© Qantara
Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Gastwissenschaftler am Brookings Doha Center; Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center der Harvard Kennedy School.
Dies ist ein Auszug und eine leicht aktualisierte Fassung einer längeren Analyse, die unter dem Titel „Kritik der Iran-Analysen unter Präsident Rouhani: Von Dämonisierung zu Glorifizierung“ im Iran-Reader 2017 der Konrad-Adenauer-Stiftung erschien.

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