Weltaidstag im Iran

Jährlich am 1. Dezember erinnern seit 1988 verschiedene Gruppierungen daran, Solidarität mit von HIV und AIDS Betroffenen zu zeigen. Der Iran schließt sich auch in diesem Jahr dem weltweiten Gedenk- und Aktionstag nicht an – obwohl sich der Virus auch dort weiter ausbreitet. Eine Bestandsaufnahme.
„Die Zahl der Neuinfektionen im Iran ist seit 2010 um 21 Prozent gestiegen“, gab das Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/Aids (UNAIDS) auf seiner offiziellen Webseite bekannt. In seiner aktuellen Statistik vom Herbst 2017 wird die Zahl der Aids-Infizierten in der Islamischen Republik im Jahr 2016 auf etwa 66.000 geschätzt.
Die Zahlen, die der UNAIDS-Länderreport jüngst über den Iran veröffentlichte, sind in vielen Punkten vage. Dennoch kann man davon ausgehen, dass etwa 75 Prozent der Menschen mit HIV-Infektionen über 15 Jahre alt und männlich sind, 23 Prozent sind weiblich. Die restlichen zwei Prozent sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren.
Nach Parvin Afsar Kazerooni, der Leiterin der Aids-Abteilung des iranischen Gesundheitsministeriums, ist die Zahl der Frauen unter den im laufenden Jahr infizierten Menschen auf 30 Prozent angestiegen. Auch die Zahl derer, die sich durch ungeschützten Sex anstecken, sei deutlich gewachsen, sagte Kazerooni Mitte August. Und ein großes Problem sei, dass nur etwa 40 Prozent der Infizierten von ihrer Ansteckung wüssten. Der Rest laufe „wie eine geladene Waffe“ herum.
Am Rande der Gesellschaft
Der islamische Iran hatte sich mit dem Thema Aids lange Zeit sehr schwer getan. In dem Land sind vor allem marginalisierte und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen von der Immunschwächekrankheit betroffen. Menschen ohne Arbeit und Papiere, Drogenkonsumenten, Sexarbeiterinnen und Straßenkinder haben kaum oder gar keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Hinzukommt, dass, wer in Elendsvierteln lebt, oftmals am Rande der Illegalität, aus Angst nicht wagt, ein Krankenhaus aufzusuchen. Deshalb hat die iranische Gesundheitsbehörde beschlossen, selbst zu den PatientInnen zu gehen.
Zwecks Beratung und Untersuchung sind nach Kazeroonis Angaben 1.500 Aids-Stationen im ganzen Land eingerichtet worden. Daneben beschäftigen sich im Iran zahlreiche NGOs mit dem Thema Aids. Die Ehya-Gruppe etwa bietet eine kostenlose telefonische Beratung an, organisiert Infoveranstaltungen für Betroffene und ihre Familien, hat eine mobile Station in Teheran und Zweigstellen in weiteren Städten des Landes.
Mathilde Berthelot, Programmmanagerin bei „Ärzte ohne Grenzen“, zeigt sich im Gespräch mit dem Iran Journal beeindruckt von den „reichhaltigen Anti-Aids-Maßnahmen der iranischen Regierung. Leider haben die internationalen Sanktionen dazu geführt, dass nicht genügend HIV-Tests und Medikamente den Iran erreicht haben, so dass es bis heute nicht möglich ist, größere Testreihen durchzuführen und Menschen zu behandeln“, so Berthelot.

"Ärzte ohne Grenzen" im Süden der iranischen Hauptstadt Teheran - Coparight MSF
„Ärzte ohne Grenzen“ im Süden der iranischen Hauptstadt Teheran – Foto: MSF

 
Unterstützung durch NGOs
Seit 2012 sind die Ärzte ohne Grenzen im Teheraner Bezirk „Darvaseh Ghar“ unterwegs, um in einer mobilen Klinik eine medizinische Grundversorgung aufzubauen. Gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation „Society for Recovery Support“ unterstützen sie Menschen in dem als sozialer Brennpunkt bekannten Bezirk.
Anfangs hätten sie den Menschen, die zu ihnen kamen, nur medizinische Hilfe und psychosoziale Betreuung angeboten, führt Berthelot im Interview mit IRAN JOURNAL aus. So wurde unter den Risikogruppen bekannt, dass die NGOs weder mit der Polizei noch anderen staatlichen Organen verbunden sind. Mathilde Berthelot sieht dies als einen der Gründe dafür, dass sich nun dort auch männliche und weibliche SexarbeiterInnen trauen, mit den Ärzten und Psychologen offen über Sex zu reden und sich schließlich auch auf HIV testen zu lassen. Es sei wichtig, so Berthelot, dass Drogenkonsumenten oder Prostituierte vorurteilsfrei behandelt würden. Eine wichtige Rolle bei der Gesundheitsvorsorge spielen auch die sogenannten Peer Workers vor Ort – oftmals Ex-Junkies oder von HIV betroffene Frauen und Männer, also Menschen in vergleichbaren Situationen, die ein vertrauensbildendes Bindeglied zwischen Ärzten und Patienten darstellen.
Kondome und Spritzen
Liest man den Aids-Report der iranischen Regierung, der unter Aufsicht der Arbeitsgruppe für HIV und Aids der UN 2015 herausgegeben wurde, wird schnell klar, dass Kondome nicht sonderlich beliebt sind im Iran. Weibliche Prostituierte gaben an, nur unregelmäßig Kondome zu benutzen. Über männliche Prostituierte gibt es überhaupt keine Angaben – Homosexualität ist im Iran gesetzlich verboten und gesellschaftlich missbilligt. Laut dem Aids-Report benutzen junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren, die vor- oder außerehelichen Sex haben und zudem Drogen nehmen, generell keine Kondome. Der Zusammenhang zwischen ungeschütztem Sex und einer HIV-Infektion scheint nur den wenigsten bekannt zu sein. Das Tabu, sich darüber zu informieren und dagegen zu schützen, ist offenbar so groß, dass eine HIV-Infektion in Kauf genommen wird.
Anders verhält es sich bei Fixern. Sterile Nadeln sind kein Tabu, weshalb die iranische Regierung relativ leicht Maßnahmen ergreifen konnte, um das Infektionsrisiko einzudämmen. In Gefängnissen, wo weltweit die Aids-Rate etwa acht Mal so hoch ist wie außerhalb der Mauern, konnte die iranische Regierung laut ihrem Report von 2015 mit gezielten Methadon-Programmen in mittlerweile mehr als 142 Gefängnissen in allen 31 Provinzen des Landes das Ansteckungsrisiko erheblich mindern.
Der Staat bricht Tabus
Angesichts der steigenden Infektionsrate durch Geschlechtsverkehr im vergangenen Jahrzehnt – von 15 auf 30 Prozent – hatte sich Irans Vize-Gesundheitsminister Ali Akbar Sayari Mitte 2016 zu einem mutigen Schritt entschlossen und Hilfszentren für Prostituierte eingerichtet, die Tests für sexuell übertragene Krankheiten durchführen, Kondome verteilen und medizinische Aufklärungs- und Vorsorgemaßnahmen leisten. „Die Ansteckung durch Sex nimmt zu und die Menschen müssen offen darüber informiert werden, wenn man das kontrollieren will“, so Sayari in einem Interview mit der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA. Doch außerehelicher Sex steht im Iran unter Strafe, was seine Mission erschwert: „Wir können nicht alle Themen in der Öffentlichkeit besprechen. Zum Beispiel können wir nicht über Kondome reden, aber die Leute müssen Verhütungsmittel bekommen.“
Auch wenn im Iran am Weltaidstag weder überall rote Schleifen verteilt werden noch eine Aids-Gala nach der anderen stattfindet, investiert die iranische Regierung beachtlich viel Geld und Engagement in die Eindämmung von HIV/Aids. Nach Ansicht von Mathilde Berthelot von Ärzte ohne Grenzen werden HIV-PatientInnen im Iran vor allem aufgrund der herrschenden sexuellen Tabus immer noch sehr stark stigmatisiert. Durch die Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten könnte HIV-Infizierten auch mehr gesellschaftliche Unterstützung zuteil werden.♦
 YASMIN KHALIFA
Weiterführende Links in Englisch: 
www.unaids.org , www.rappler.com , AIDS Progress Report

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