Meilensteine auf dem Weg zur Gleichstellung

Im Frühling 2014 begannen Islamisten im Iran mit systematischen Angriffen in Form von Säureattacken auf Frauen, deren Kleidung den Vorschriften des Regimes nicht entsprach. Zeitgleich wurde von Aktivistinnen eine Kampagne gegen diese Attacken gegründet. Bei einer Protestaktion wurden zwei Mitglieder, Mahdieh Golrou und Nasrin Sotudeh, vorübergehend verhaftet. Die Kampagne erzwang die Einschränkung der systematischen Angriffe.

Im Sommer 2014 gründete die Exiljournalistin Masih Alinedschad die Facebook-Kampagne My Stealthy Freedom („Meine heimliche Freiheit“). Diese konnte zwar kaum Verbindungen zur iranischen Frauenbewegung aufbauen; umso erfolgreicher ist sie aber bei der Förderung des Anti-Hidschab-Diskurses unter Iraner*innen und im Internet.

Parallel zu „Meine heimliche Freiheit“ verwandelte die Kampagne „Weißer Mittwoch“ die iranischen Straßen in einen Schauplatz des Protestes gegen die Bekleidungsvorschriften. Die Initiatorin Masih Alinedjad fordert dabei Frauen auf, mittwochs immer mit einem weißem Kopftuch auf die Straßen zu gehen.

Im Winter 2017 entflammten im Iran landesweite Straßenproteste gegen die wirtschaftliche Not der Bevölkerung. Zeitgleich nahm die Kampagne „Die Mädchen der Revolutionsstraße, inspiriert von Vida Movahed, Fahrt auf. Movahed war auf einen Verteilerkasten auf der Straße der Revolution im Zentrum Teherans geklettert und hatte dort ihr Kopftuch wie eine Fahne an einem Stock geschwenkt. Andere Frauen folgten ihrem Beispiel, die Aktion sprach sich schnell herum. Die Öffentlichkeit begrüßte die unabhängige Initiative. Die Aktivistinnen wurden jedoch festgenommen und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Sie verließen anschließend das Land.

Vida Movahed löste mit ihrer Aktion gegen das Kopftuch die Kampagne "Die Mädchen der Revolutionsstraße" aus
Vida Movahed löste mit ihrer Aktion gegen das Kopftuch die Kampagne „Die Mädchen der Revolutionsstraße“ aus

Im Herbst 2019 kam es als Reaktion auf die massive Erhöhung des Benzinpreises im Iran erneut zu Straßenprotesten, die zu einer landesweiten Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit wurden. Die Anwesenheit von Frauen prägte diese Proteste so stark, dass die Machthaber die Führung der Demonstrationen „Feministen“ zuschrieben. Mit der Verwendung dieses fremdsprachigen Terminus versuchten sie zu suggerieren, dass die massenhaften Protestaktionen aus dem Ausland gelenkt würden.

Die vierzehnte Kampagne

2020 legte das Coronavirus das Leben der Menschen in den demokratischen und nicht-demokratischen Ländern auf allen fünf Kontinenten lahm. Inmitten dieses Kampfs ums Überleben in der Pandemie erhob sich die vierzehnte Kampagne nach vierzig Jahren iranischer Frauenbewegung wie Phönix aus der Asche. Diese Kampagne, die sich an der „MeToo“-Bewegung westlicher Länder orientiert, erzählt von einem anderen Aspekt des kollektiven Leids iranischer Frauen: sexueller Gewalt.

Die Beteiligung sowohl männlicher als auch weiblicher Opfer an der Kampagne, die Unterstützung von Frauen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die große Zahl derjenigen, die die bitteren Geschichten der Opfer weitererzählen, aber auch die Verifizierung von vielen Berichten, das Nachhaken verschiedener Berufsverbände wie des der Journalist*innen, sowie die immerhin eingeschränkte Unterstützung von Regierungsinstitutionen zugunsten von Vergewaltigungsopfern belegen den Erfolg der Kampagne „MeToo“ – auch wenn nicht alle Täter zur Verantwortung gezogen werden.

„MeToo“ ist die vierzehnte Kampagne der iranischen Frauenbewegung während ihres vierzigjährigen Kampfes für Gleichberechtigung nach der Islamischen Revolution. Doch sie wird mit Sicherheit nicht die letzte sein. Denn solange im Iran frauendiskriminierende Gesetze und Strukturen herrschen, wird es auch Widerstand dagegen geben.

Aus dem Persischen übertragen von Iman Aslani

*Mansoureh Shojaee ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Aktivistin der iranischen Frauenbewegung. Sie saß mehrere Male wegen ihrer Aktivitäten in iranischen Gefängnissen und lebt seit 2010 in Europa.

© Iran Journal

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