Auf dem Fahrrad ins „Zentrum der Fäulnis“
Der Anstieg der Lebenshaltungskosten solle nicht zu Gleichgültigkeit gegenüber „anderen gesellschaftlichen Problemen“ führen, sagte Mitte Februar Mohammad-Taghi Rahbar, der Freitagsimam der Stadt Isfahan. Fahrradfahrende Frauen zum Beispiel seien eines dieser Probleme. Rahabr spricht aus, was viele Geistliche denken.
„Vor einiger Zeit haben mich mehrere Studenten schriftlich gebeten: ‚Sprechen Sie die Studentinnen darauf an, damit wir, die jungen Menschen, durch unseren Sexualtrieb keine Sünden begehen müssen.‘ Dies zeigt, dass die Scharia ohne Wenn und Aber eingehalten werden soll. Darum müssen wir uns genauso kümmern wie um den Anstieg der Lebenshaltungskosten“, zitierte die Webseite Etemad-Online Rahbar Mitte Februar.
Zuvor hatte Abolhassan Mahdawi, Vertreter des Wahlkreises Isfahan im iranischen Expertenrat, den Oberbürgermeister der Stadt scharf kritisiert. Denn der hatte das Radfahren von Frauen verteidigt. „Wir sind an unsere Grenzen gekommen“, sagte Mahdawi vor Religionsschülern. Er warte auf eine entsprechende Maßnahme gegen diese „unislamische Handlung“. „Sonst werden wir anders vorgehen“, drohte er. Die Stadt Isfahan ist bekannt für Gewalt gegen Frauen, die nach Auffassung der Ultrakonservativen die islamischen Kleidervorschriften nicht einhalten. 2014 wurden dort mehrere Frauen deshalb Opfer von Säureattacken.
Im vergangenen Frühjahr hatte die Staatsanwaltschaft von Isfahan das Radfahren von Frauen in der Öffentlichkeit als „haram“ (nach islamischen Regeln verboten) bezeichnet und die Bezirksbürgermeister aufgefordert, Frauen nicht dazu zu ermutigen. Die Vorstellung eines örtlichen Fahrradverleihsystems wurde daraufhin abgesagt. Und der stellvertretende Freitagsimam von Isfahan, Yousef Tabatabai-Nejad, hatte das Thema gleich beim ersten Freitagsgebet nach den Corona-Einschränkungen angesprochen und die Medien aufgefordert, das Radfahren von Frauen nicht zu fördern. „Das ist eine Form von Konfessionslosigkeit und die Geistlichen halten es für unzulässig“, sagte er.
Was sagt der Gesetzgeber?
Laut Artikel 2 des iranischen Strafgesetzbuchs ist „jede Handlung oder Unterlassung, für die eine Strafe verhängt wurde, ein Verbrechen“. Die iranische Gesetzgebung verbietet wiederum weder das Fahrrad- noch das Motorradfahren von Frauen. Dementsprechend dürfen Polizei und andere Behörden beides nicht einschränken. Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsabteilung der iranischen Justiz bereits im September 2000 bestätigt, dass unter anderem das Radfahren von Frauen nicht als Straftat angesehen werden kann.
https://youtu.be/c0JiPvOyCdM
Einige islamische Rechtsgelehrte betrachten das Fahrradfahren für Frauen in geschlossenen Räumlichkeiten als erlaubt. Andere halten es in jedem Fall für streng verboten. Ali Khamenei, das religiöse Oberhaupt der Islamischen Republik Iran, hatte 2016 auf Anfrage erklärt, das Radfahren von Frauen in der Öffentlichkeit beziehungsweise vor fremden Männern sei „haram“.
Sein Stellvertreter in der Provinz Razavi-Chorasan, Ahmad Alamolhoda, nannte im Sommer 2020 allein das Sitzen von Frauen auf einem Fahrradsattel „ein Spiel mit dem Glauben der jungen Männer“, das diese sexuell anrege. Radfahrende Frauen an den Universitäten vor den Augen von Studenten verwandelten die Hochschulen gar in ein „Zentrum der Fäulnis“. Alamolhoda plädierte für entsprechende Maßnahmen: „Sowohl unsere Polizei als auch die Stadtverwaltung sollten dafür sensibel sein.“ Er forderte „die keuschen Schwestern“ und „die ehrbaren Mädchen“ der Stadt Mashhad auf, das Radfahren in der Öffentlichkeit zu unterlassen. Es sei die Pflicht der Stadt, geeignete Räume bereitzustellen, in denen Frauen fern von männlichen Augen Fahrrad fahren könnten.
© Iran Journal
Diese Beiträge können Sie auch interessieren: