Der Gottesstaat und die Generation Z

Der besondere Banker

B. ist Banker, Ende dreißig, dynamisch und gut informiert über alles, was sich im Iran, in Europa und den USA ereignet. Er ist ein besonderer Banker, wie es ihn nur in der Islamischen Republik geben kann. B. hat eigentlich Hochbau studiert, hauptberuflich arbeitet er in der südiranischen Stadt Kerman in einem Architektenbüro, das ausschließlich Projekte der Revolutionsgarden ausführt. Doch sein Gehalt reicht für seine vierköpfige Familie nicht aus. Deshalb betreibt er nebenbei eine „Bank“ in einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Kerman. B. ist, wie alle in seiner Generation, sehr internetaffin, und diese Affinität war es, die ihn zu seiner „Bank“ brachte. Sie besteht aus einem Geldautomaten, der via Internet mit der Zentrale in Teheran verbunden ist. Allwöchentlich holt B. einen Teil seiner eigenen Ersparnisse von einer richtigen Bank ab, fährt vierzig Kilometer weiter und füllt damit den Geldautomaten auf. Am Monatsende bekommt er Prozente von der „Mutterbank“, die ebenfalls den Revolutionsgarden gehört. So gesehen ist B. ein Superbanker, denn in der Realität verleiht er Geld der Großbank in Teheran – besser gesagt: der Revolutionsgarden.

B. ist ein Grenzgänger. Im geschäftlichen Leben hat er zwar mit den Revolutionsgarden zu tun, mental trennen ihn aber Welten von diesen. Nur einmal habe er in seinem Leben gewählt, das war 2009, während der grünen Bewegung, und das habe ihm vollkommen gereicht. Ein Präsident habe im Iran so viel Macht wie ein Servierer in einem Teehaus, das einem anderen gehöre, sagt B. und betont: Diese Allegorie stamme nicht von ihm, sondern von Ex-Präsident Mohammad Chatami.

Ob alle seine Freunde und Bekannten so dächten wie er? Und was bedeute das für die kommende Wahl? Ja, sagt B., er kenne keinen, der irgendeine Hoffnung mit dieser Wahl verbinde. Dass die überwiegende Mehrheit der Jugend diesmal den Urnen fernbleiben wolle, wüssten selbst die Mächtigen, fügt er hinzu: Die Zeiten, in denen die Machthaber ihre Macht auf den Straßen und an den Urnen zeigten, seien vorbei. „Meine Generation hat einen Personalausweis der Islamischen Republik, lebt aber auf einem anderen Planeten.“

Die Ärztin: Corona klärte sie auf

Mina ist Internistin. Die 29-Jährige war einst eine glühende Anhängerin der Islamischen Republik: So wollte es der Vater und so wurde sie. Doch auch der Vater machte irgendwann eine Kehrtwende. Und das war nicht die erste in seinem Leben. Während der Schah-Zeit hatte sich der Volkswirt modern gegeben, er war ein Lebemann, der das westlich geprägte Leben in vollen Zügen genoss, Alkohol inklusive. Doch nach der islamischen Revolution frömmelte er plötzlich bis zur Unkenntlichkeit. Er verabschiedete sich von der Arbeit in der Wirtschaft und diente als Schuhaufpasser am Portal des heiligen Schreins von Imam Reza in Maschhad. Jetzt sei er Rentner und könne nicht sagen, wann genau und warum seine neue Kehrtwende eintrat, sagt Mina. Jedenfalls verachte der alte Mann heute die Mullahs.

Doch die Kehrtwende der Tochter, die als Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, wird nachvollziehbar, wenn sie von ihrem Berufsalltag erzählt. Anlässe und Beispiele sind unzählig und zum großen Teil unerträglich. Der letzte Tropfen für ihre überschäumende Wut war die Coronapolitik der Regierung. Schon zu Beginn der Pandemie habe die Sicherheitsabteilung des Krankenhauses dem gesamten Personal untersagt, irgendeine Information über die Anzahl der Infizierten oder Toten weiterzugeben.

In Rage gerät Mina, wenn sie über das Verbot der Einfuhr von Impfstoffen redet. Erst habe man monatelang die Existenz des Virus im Land geleugnet, und als man dann erkannt habe, dass es so nicht weitergehe und Impfstoff aus dem Ausland gebraucht werde, habe Revolutionsführer Ali Khamenei den Import der amerikanischen und britischen Vakzine einfach verboten. Verzweifelt habe sie „alles hinschmeißen“ wollen.

Das Gespräch über ihre Berufserlebnisse, ihre Coronapatienten, ihre infizierten und verstorbenen Kollegen ist so traurig und bewegend, dass es deplatziert, ja weltfremd klingen würde, wollte man auch noch über die bevorstehende Präsidentenwahl reden. Wenn der mächtigste Mann des Landes selbst über den Import von Impfstoffen entscheide, was suche dann ein Präsident in diesem Land, so Minas kurze Bemerkung, als das Wort Wahlen dennoch fällt.♦

Ali Sadrzadeh

© Iran Journal

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