Der Gottesstaat und die Generation Z
Eine Café-Besitzerin
Zunächst entschuldigt sie sich, es sei ihr peinlich, dass sie den Interviewtermin am Vortag verpasst habe. Doch dafür könne sie nichts: Die „üblichen Scherereien“ mit der Polizei seien der Grund gewesen. Wieder sei es um ihr Café, die Bekleidung der Frauen, die dort verkehrten, und sonstige „Unsitten“ an diesem Ort gegangen. Ob sie trotzdem nun bereit sei, offen und ohne Angst über die Jugend und die bevorstehende Präsidentenwahl zu reden, darüber, was die Besucher*innen ihres Cafés dächten? Was für eine Frage, antwortet die junge Frau: Sie habe sich doch extra auf ein solches Gespräch vorbereitet und sich dafür viel Zeit genommen! Außerdem sei die Zeit der Angst längst vorbei: „Wir sagen, was wir denken, auch in einem Telefonat mit dem Ausland.“ Und fügt gleich hinzu: „Diese Jugendlichen sind in einer anderen Welt. Ihr Leben, ihr Denken und ihre Hoffnungen haben mit ihrer Umwelt nichts gemein. Sie haben das Politische längst umdefiniert.“
Diese junge Frau, die so über die Jugend urteilt und darauf beharrt, selbst mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen, ist fast so alt wie Ali Khameneis Führerschaft. Sie war im Kindergarten, als er 1989 zum Revolutionsführer der Islamischen Republik ernannt wurde. Generationenbrüche in der Islamischen Republik seien eben sehr kompliziert und vielfältig, sie ließen sich nicht in einer einzigen oder gar einfachen Feststellung zusammenfassen, sagt sie und klingt dabei beinahe hilf- und ratlos. „In einer Welt, in der du ständig jedem, im Privaten ebenso wie in der Öffentlichkeit, über deine Kleidung, dein Aussehen und dein Verhalten Rechenschaft ablegen muss, in einer solchen Welt kannst Du nur abschalten.“
Ihre eigene Geschichte ist eine Erzählung über eine Kindheit in einer kleinen Stadt im Westiran, die immer noch vom achtjährigen Krieg mit dem Irak gezeichnet ist. Die irakische Grenze ist viel näher als die weit entfernte Hauptstadt Teheran. Wie unter einem Brennglas sieht man hier die soziale und wirtschaftliche Misere des gesamten Iran. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen rangiert irgendwo bei 40 Prozent, wohlgemerkt offiziell. Beim Drogenmissbrauch besetzt der Ort einen oberen Rang in der Statistik. Eine traurige Stimmung habe die Stadt voll im Griff, die Mehrheit der Jugend sehe keine Perspektive, das könnten sogar die offiziellen Medien nicht mehr verschweigen.
Und: „Keine, überhaupt keine Rolle spielt für diese Jugendlichen die bevorstehende Wahl.“ Ihnen sei egal, wer sich in Teheran Präsident nenne. Wie das neue IPhone-Modell aussieht sei tausendmal interessanter, als wer gerade Präsident geworden ist.
Die Brutalität des Realen
Diese „sie“ sind die berühmte Generation Z. Und unüberhörbar ist das Bedauern dieser ehemaligen Managerin, wenn sie von der Gleichgültigkeit dieser „Jungen“ spricht, von denen manche fast so alt sind wie sie selbst. Sie mag sie trotzdem, sie versteht sie, denn sie hat jeden Tag mit ihnen zu tun: Sie steht ihnen bei.
Die Brutalität des Realen prägt auch ihre eigene Biographie. Die Kämpfe, die sie privat und öffentlich durchstehen musste, haben sie zu einer Reife gebracht, die sie nun mit der Generation Z teilen will. Nach einer Karriere bei verschiedenen Stand-up-Unternehmen in Teheran ist sie in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Und sie hat es geschafft, mit ihrem Café in dieser entlegenen Gegend einen Ort zu kreieren, wo diese perspektivlose Jugend relativ frei plaudern kann.
Wahlen? Welche Wahlen?
2009, das Jahr der so genannten Grünen Bewegung, ist ein Wendepunkt im Iran. „Es war das Jahr der politischen Reife, wir Aktivist*innen gingen damals durch die Schule der brutalen Realität“, sagt die Cafébesitzerin. Die erbarmungslose Niederschlagung der Massenprotestbewegung nach der Wiederwahl von Präsident Mahmoud Ahmadinedschad sei ein blutiges Zeichen für die Reformunfähigkeit der Islamischen Republik gewesen. „Die Illusion der Wahlen löste sich für viele in Luft auf“: Besucher*innen ihres Cafés hätten nur Hohn und Spott übrig, wenn jemand über Wahlen oder Politik rede.
Die Zeit einer Wahl sei die Zeit zwischen „Schlimmen und Schlimmeren“ – und immer wollte man das Schlimmste verhindern. Selbst dieses Spiel sei aber nun vorbei: „Diesmal hat man es uns sehr leicht gemacht“, diesmal stünden nur die ganz Schlimmen zur Wahl, sagt sie und nennt mit Verachtung die Namen einiger Kandidaten. „Wahlen ändern nichts, das sagt inzwischen selbst die Mehrheit der Erwachsenen! Was erwartet man denn dann von dieser perspektivlosen Jugend?“
Sie wohnt nahe dem Ort, an dem wöchentlich die Freitagsgebete stattfinden, die im Iran in Wahrheit landesweit und generalstabsmäßig organisierte politische Veranstaltungen sind. Wie viele Menschen kommen wöchentlich zum Gebet? „Zwischen 100 und 150, hauptsächlich alte Leute, und die wenigen jungen, die da zu sehen sind, gehören den Machtorganen wie den Basidjis, den paramilitärische Einheiten, an.“
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