Mediale Versuche, die Jugend für sich zu begeistern

Ein neues Buch gewährt tiefe Einblicke in den staatlichen Medienapparat Irans. Aus erster Hand schildert es die Debatten um die Ausrichtung des Systems – und zeigt, wie die Jugend mit einer neuen Formel für die Islamische Republik gewonnen werden soll.

Von Daniel Walter*

Hunderttausende Menschen gingen in Iran im Januar 2020 auf die Straßen, um den Tod Qasem Soleimanis zu betrauern. Die Tötung des Generals der sogenannten Al-Quds-Brigaden durch eine US-Drohne in Bagdad, so der Tonus, habe nicht nur den üblichen systemloyalen Teil der Bevölkerung mobilisiert.

Stattdessen hätten auch viele Iraner ihren Unmut und ihre Trauer bekundet, die sonst keine der offiziellen Protestmärsche besuchten, an denen es im Kalender der Islamischen Republik nicht mangelt. Vielfach wurden die Demonstrationen als Zeichen patriotischen Zusammenhalts inmitten gesellschaftlicher Unruhen gewertet.

Folgt man dem neuen Buch der Anthropologin Narges Bajoghli, so wäre dies nicht zuletzt ein Erfolg für die staatliche Medienelite der Islamischen Republik. Diese habe seit zehn Jahren systematisch daran gearbeitet, neue Medien zu bespielen und ein inklusiveres, nationalistisches Staatsverständnis zu kreieren.

Die internen Debatten hinter diesem Richtungswechsel beschreibt die Forscherin der US-amerikanischen Johns Hopkins University in der lesenswerten Studie „Iran Reframed: Anxieties of Power in the Islamic Republic“. Über einen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren erarbeitete sie sich Zugang zu den höchsten Zirkeln der staatlichen Medienelite. Zum Vorteil gereichte der US-Iranerin, deren linke Familie aus politischen Gründen geflohen war, dass sie für ein vorheriges Projekt bereits zahlreiche Kontakte zu den einflussreichen Veteranenorganisationen des Iran-Irak-Kriegs geknüpft hatte.

Ergebnis von zehn Jahren intensiver Feldforschung

Buchcover
Buchcover

Die große Masse an Material flechtet Bajoghli aufschlussreich zusammen. Im Zentrum steht dabei stets die Frage, wie das politische Projekt der Islamischen Republik aus Sicht der systemtreuen Medienschaffenden zeitgemäß vermittelt werden könne. Bajoghlis ethnografischer Ansatz verschafft einen biografischen Zugang. Es solle ein Buch nicht nur über die staatlichen Medien sein, sondern auch über die Männer, die diese Medien produzierten, heißt es einleitend.

Vor allem drei Individuen stehen dabei im Mittelpunkt — aus Sicherheitsgründen nur mit Pseudonymen. Zum einen Reza Hosseini und Mohammad Ahmadi. Sie gehören zur ersten Generation der Medienelite der Islamischen Republik und entstammen Familien der religiösen Mittelschicht und Arbeiterklasse. Wie viele Alterskameraden meldeten sie sich als Jugendliche freiwillig im von 1980 bis 1988 dauernden Krieg gegen den Irak.

Während Reza Hosseinis Heimatstadt Abadan verwüstet wurde, war der Fronteinsatz für den damals 15-Jährigen Mohammad Ahmadi nach wenigen Wochen vorbei: Bei einem Raketeneinschlag verlor er beide Beine. Später nahm er einen Job in der Medienabteilung der Revolutionsgarden an und arbeitete mit Morteza Avini, dem wohl bekanntesten Dokumentarfilmer der Islamischen Republik, zusammen. Dessen mehrteilige Produktion „Geschichten des Siegs“ (revayat-e fath) war stilbildend für das einflussreiche Genre der Kriegsdokumentationen und wichtiger Teil der Propagandamaschinerie.

Avinis Filmen und dem rasant wachsenden Medienapparat kamen in der Konsolidierungsphase der Islamischen Republik eine tragende Rolle zu, wie Bajoghli mit Verweis auf den breiten Forschungsstand zur „Kriegskultur“ anmerkt. Nach Kriegsende 1988 sei die Front in den Kulturbereich verschoben worden — die Fatwa gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie im Februar 1989 ist ein prominentes Beispiel. Vor allem staatlich produzierte Kriegsfilme seien bis heute das wichtigste Vehikel zur Verbreitung der Werte von Islamischer Revolution und Republik, und würden mit Sujets wie dem Krieg gegen den IS und in Syrien wiedererfunden.

Fortsetzung auf Seite 2