Wie hätte ich schweigen können! Bericht einer Ex-Gefangenen

Nach vierzig Tagen durfte ich endlich telefonieren.

  • Wen wirst du anrufen?“

  • Meinen Ehemann.“

  • Du weißt gar nicht, was ein Ehemann ist! Ihr Feministinnen habt keine Ahnung, was Muttersein bedeutet oder wie ein Ehemann zu pflegen ist. Wäre dein Ehemann ein richtiger Mann gewesen, hätte er sich von dir schon zehn Mal scheiden lassen, statt jeden Tag zu versuchen, dich zu besuchen oder sich um deinen Fall zu kümmern. Als ich ihn vor ein paar Tagen bei der Staatsanwaltschaft traf, habe ich ihm gesagt: Sie ist nicht die richtige Frau für dich, kümmere dich um dein eigenes Leben!“

Meine Augen waren verbunden und ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Zeitgleich wollte ich nach vierzig Tagen unbedingt die Stimme von Vahid hören und wusste, dass der Verhörer die Macht hatte, mir diese Gelegenheit zu nehmen. Das wollte ich nicht riskieren.

Der Winter war gekommen, es gab beißende Kälte. Das Telefon befand sich im Hof, der schneebedeckt war. Auf meinem Weg dorthin, während ich Schnee und Eis betrachtete, fiel mir auf, dass ich zum vierten Mal das Evin-Gefängnis im Winter erlebte*.

Bereits nach dem ersten Klingeln hob Vahid ab. „Ich wusste, dass du anrufst“, sagte er. „Heute waren Mutter und ich beim Richter. Er wollte ein Telefonat genehmigen.“ „Ist für meinen Fall ein Richter ernannt worden?“ „Ja, Schatz! Dein Fall wird in der fünfzehnten Kammer behandelt!“ „Bei Richter Salavati?” “Ja! Alle reden von dir, Mahdieh. Internationale Organisationen haben Erklärungen veröffentlicht. Es gibt eine Kampagne für deine Freilassung. Es werden Unterschriften gesammelt.“

Richter Salavati ist der strengste Richter des Revolutionsgerichts. Normalerweise werden ihm die Fälle zugewiesen, die mit einer Hinrichtung enden sollen. Er war derjenige, der den Journalisten Ruhollah Zam zum Tode verurteilt hat. Ich nahm an, sie hatten ihn mit meinem Fall beauftragt, um mir Angst einzujagen, um mich zu entmutigen.

Zu diesem Zeitpunkt saß ich bereits zwei Monate in Einzelhaft. Ab dem vierzigsten Tag konnte ich zwei Mal telefonieren. Jetzt durfte ich sogar Besuch bekommen. Ich sagte meinem Verhörer, dass ich nicht mehr in Einzelhaft sein sollte, weil die Untersuchungen abgeschlossen seien und der Richter über meinen Fall urteilen würde. Er war dagegen und ließ mich weiterhin in Einzelhaft bleiben.

Im vierten Monat fiel mir die Einzelhaft leichter. Die Einzelhaft hat verschiedene Phasen: Im zweiten Monat ist es sehr schwer, als ob die Wände deine Seele und deinen Körper auffressen würden. Aber nach drei Monaten ist es so, als ob du dich daran gewöhnst: an das Alleinsein, an deine Selbstgespräche. Wenn du aus dem Gefängnis entlassen oder in eine Sammelzelle verlegt wirst, kannst du die Menschen kaum ertragen!

Seit der Gründung der Islamischen Republik kämpfen iranische Frauen gegen ihre Diskriminierung – hier die Demonstration gegen den Schleierzwang am 8. März 1979 in Teheran:

Das Gerichtsverfahren

An einem Morgen im vierten Monat meiner Einzelhaft, als ich in meiner Zelle auf dem Boden lag und die Decke anstarrte, öffnete ein Wärter den Türschlitz und sagte: „Mach dich fertig!“ Ich wusste nicht, was mich erwartet: ein Verhör, ein Besuch, ein Telefonat oder etwas anders.

Ein Wärter zog mich mit verbundenen Augen hinter sich her auf den Gefängnishof. Sie legten mir Handschellen an und ließen mich in einen schwarzen Peugeot einsteigen. Aus einem Winkel, den die Augenbinde frei ließ, konnte ich die Umgebung sehen: Wir verließen das Gefängnis.

Das Auto fuhr in den Hof des Revolutionsgerichts ein. Wir gingen ins Erdgeschoss. Ich suchte nach bekannten Gesichtern, die man hier normalerweise trifft. Schnell brachten sie mich zum Aufzug. „Zieh deinen Tschador nach vorne“, sagte der mich begleitende Beamte. „Mit Handschellen kann ich ihn nicht richtig halten!“, antwortete ich. Meine Antwort machte ihn wütend. Er zog grob an meinen Tschador. Meine langen Haare wurden mitgezogen, das tat weh. „Fass mich nicht an, du Penner!“, reagierte ich wütend, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, das Gericht ruhig zu betreten.

In Begleitung von drei Beamten wartete ich vor der Tür des Gerichtssaals. Meine Mutter und mein Ehemann waren auch dort. Ich machte mich auf, um zu ihnen zu gehen, doch die Beamten hinderten mich daran.

Ich betrat den Saal. Salavatis Gesicht war genau so, wie ich es in Videos gesehen hatte. Seine Stirn war in der Mitte dunkler. Das ist die Stelle, die beim Niederknien während des Betens auf den Gebetsstein gelegt wird. Je dunkler die Stelle, desto häufiger betet und desto frömmer ist der Mensch, propagieren die Ultrakonservativen. Der Richter hatte einen ungepflegten Bart und ein teuflisches Lächeln.

  • Mahdieh Golroo?”
  • Ja.”
  • Du bist sehr jung. Ich dachte, du wärst älter. Sie haben um dich ganz schön viel Lärm gemacht. Die Ausländer unterstützen wohl ihre Agenten. Du hast bestimmt große Angst. Mich kennst du doch, oder?“

  • Ja, ich kenne Sie. Ich habe aber keine Angst. Warum sollte ich? Sie sind ein Richter wie jeder andere Richter auch. Und mein Fall ist doch eindeutig, ich habe nichts getan, weshalb ich Angst haben sollte. Ich gehe davon aus, dass Sie meinen Fall vollständig studiert haben.“

Salavati ist dafür bekannt, dass er die Fälle, die ihm zugewiesen werden, gar nicht studiert. Er urteilt nach den Empfehlungen der Verhörer. Deswegen hatte ich gezielt danach gefragt. Daraufhin sprach er mit dem Beamten, der neben mir stand:

  • Ist von ihren Angehörigen jemand hier?“

  • Ja, ihre Mutter und ihr Ehemann.“

  • Sie sollen hereinkommen.“

Meine Mutter und Vahid betraten den Gerichtsraum. Salavati fing an, sie zu erniedrigen: „Was ist das für eine Erziehung?!“, sagt er zu meiner Mutter. Und zu meinem Mann: „Was hast du gedacht, was für eine Frau du geheiratet hast?“ „Hier stehe ich vor Gericht und nicht meine Familie“, unterbrach ich ihn. Er lachte laut und sprach mit Vahid:

  • Seit wann seid ihr verheiratet?“

  • Seit acht Jahren.”
  • Und wie viele Kinder habt ihr?“

  • Keins.”
  • Und an wem von euch liegt das?“

Verehrter Herr“, begann meine Mutter zu reden, „diese jungen Leute hatten von Anbeginn ihrer Eheschließung mit Gefängnis und solchen Sachen zu tun und sind gar nicht dazu gekommen, sich über das Eltern werden Gedanken zu machen.” Daraufhin schaute Richter Salavati mich und meine dicke Akte auf seinem Tisch an. Er legte seine Hand auf die Akte und sagte zu mir: „Für solche Sachen hast du wohl genug Zeit! Warum habt ihr so viele Probleme damit, Kinder zu gebären und euren Ehemann zu versorgen? Warum kommt ihr nicht wie gute Frauen euren Pflichten nach?“ “Gerade unseren Pflichten wollen wir nachgehen”, antwortete ich.

In der Sitzung hatten wir nur geredet. Enttäuscht kehrte ich in meine Zelle zurück. Nach ein paar Tagen kam ich gegen eine sehr hohe Kaution, die ein guter Freund von uns für mich hinterlassen hatte, frei – nach etwa fünf Monaten Haft.

Mein Gerichtsverfahren wurde nie abgeschlossen. Das hat mein ganzes Leben beeinflusst. Nach der Protestaktion vor dem Parlament nahm mich der Geheimdienst der Revolutionsgarden unter ständige Beobachtung und setzte mich permanent unter Druck. Ich war gezwungen, den Iran zu verlassen.

Bei den Säureattacken im Herbst 2014 wurden mindestens fünfzehn Mädchen und junge Frauen angegriffen und verletzt, ein Opfer kam ums Leben. Das waren nicht die ersten Säureattacken im Iran. Besorgniserregend war jedoch, dass die Attacken diesmal systematisch und staatlich gesteuert waren. Die Täter wurden nicht gefasst. Und der Imam, der die Attacken ins Rollen gebracht hatte, predigt nach wie vor jeden Freitag.♦

Übersetzt aus dem Persischen von Iman Aslani.

ٌZur Autorin: Mahdieh Golroo, geb. 1985, wurde wegen ihres Engagements für die Rechte der Studierenden vom Studium ausgeschlossen. 2009 wurde sie wegen angeblicher „Gefährdung der nationalen Interessen“ verhaftet und zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Sie kam 2011 frei und führte ihre sozialen und politischen Aktivitäten weiter.   

© Iran Journal

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