Wie hätte ich schweigen können! Bericht einer Ex-Gefangenen

Am Samstagmorgen las ich Nachrichten auf Facebook und in den Nachrichtenagenturen, während ich meinen Kaffee trank. Ich war spät dran. Deswegen machte ich mir schnell ein Butterbrot, um es in der U-Bahn zu essen. Ich weckte Vahid auf, küsste ihn, setzte mein Kopftuch auf und ging los.

Es war frisch. Nach ein paar Schritten hörte ich ein Motorrad, dann eine männliche Stimme: „Frau Golroo?“ Ich drehte mich um. Ein schwarz gekleideter junger Mann mit schwarzem Bart sah mir in die Augen. Ich hörte mein Herz pochen. Er war vom Geheimdienst der Revolutionsgarde. Meine Augen sahen unscharf, aber ich war erfahren genug, um mich zusammenzunehmen. “Als ich das Motorrad hörte, dachte ich, es wäre eine Säureattacke”, sagte ich mit einem künstlichen Lächeln. „Auch darüber werden wir uns unterhalten“, erwiderte er. „Erst begleiten wir Sie zu einer Hausdurchsuchung nach Hause.“ „Dann haben Sie bestimmt einen Durchsuchungs- und einen Haftbefehl. Darf ich sie sehen?“, fragte ich.

Er gab einem schwarzen Auto, das ein Stück weiter geparkt war, ein Zeichen. Es fuhr los. In dem schwarzen Peugeot saßen vier schwarz gekleidete Männer. Einer von ihnen stieg aus und zeigte mir Papiere, sowohl einen Haft- als auch einen Durchsuchungsbefehl.

In meiner Wohnung leerten sie alle Schubladen und Schränke, sogar die Tiefkühltruhe. Meine Fotos hingen an der Wand und am Kühlschrank. „Packen Sie diese Bilder weg“, befahl einer der Männer. „Hier ist meine Wohnung. Ich hänge Fotos auf, wie es mir gefällt“, erwiderte ich. Es waren Bilder von mir ohne Kopftuch, das hatte sie wütend gemacht. Als ich mich weigerte, die Bilder anzurühren, nahm einer der Beamten sie von der Wand und stellte sie verkehrt herum auf den Boden.

Sie durchsuchten unsere Taschen und konfiszierten auch das Handy und den Laptop von Vahid, seine Arbeitsmittel. Mit einem Sack voller CDs, USB-Sticks, Notizbüchern und Büchern schlossen sie die Hausdurchsuchung ab. Vahid musste uns begleiten, damit er nicht die Medien informieren konnte, bevor ich das Gefängnis betrat.

Der erste Halt war mein Arbeitsbüro. Einige Beamte begleiteten mich dorthin, fanden aber nichts für sie Brauchbares. Als wir das Büro verließen, sah ich Vahid in dem schwarzen Peugeot auf der anderen Straßenseite sitzen. Seine Augen waren voller Sorge. Sie ließen ihn aussteigen. Während ich in einen anderen schwarzen Peugeot einstieg, sah ich ihn an einer Ecke stehen.

Setzen Sie diese Augenbinde auf und halten Sie Ihren Kopf nach unten.“ Ich sagte: „Das ist nicht meine erste Festnahme. Ich kenne den Weg zum Evin-Gefängnis bereits.“ „Setz die Augenbinde auf, hab ich gesagt!“, schrie der Mann wütend. Ich setzte sie auf. Der Beamte neben mir drückte meinen Kopf nach unten. “Du machst dir Sorgen um Säureattacken! Du hast Angst davor! Ich bringe dich zu einem sicheren Ort ohne Säureattacken”, sagte ein anderer.

Neueste Urteile der iranischen Justiz gegen Frauenaktivistinnen: Hoda Amid (re.) zu acht Jahren und Najmen Vahedi zu sieben Jahren Haft verurteilt!
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Einzelhaft und Verhöre

Im Gefängnis nahmen sie mir alles weg und gaben mir Gefängniskleidung: eine Bluse, eine Hose, ein Kopftuch und einen Tschador. Dann wurde ich in eine Zelle gebracht. Eine Wärterin betrat meine Zelle und gab mir Nagellackentferner und Wattepads: „Entferne deinen Nagellack, bevor du beim Untersuchungsrichter die Anklagepunkte vorgelesen bekommst!“

Ich war erneut in Einzelhaft. Ich kannte das und wusste bereits, wie lange die bevorstehenden Tage werden würden; Tage, die kein Ende haben, viel zu lange Stunden, Verhöre, Verhöre und wieder Verhöre. Und du wirst dich verteidigen gegen den Vorwurf eines Verbrechen, das du nicht begangen hast.

Nach ein paar Stunden fingen die Verhöre an. Im Tschador sitze ich vor einer Wand in einem schwach beleuchteten Raum, vor mir auf dem Tisch ein Kugelschreiber und ein Stück Papier.

Wer hat die Versammlung befohlen? Aus welchem Land bekommst du die Befehle? Wir wissen bereits alles. Wir wollen nur, dass du gestehst. Die westlichen Länder haben die Frauen mit Säure attackiert, um Menschen wie dich zu instrumentalisieren! Ihr Frauen seid so dumm und gefühlsgesteuert. Ihr lasst euch leicht von ausländischen Medien ausnutzen! Wie wurde die Versammlung finanziert?! Du hast dich dem Koran widersetzt. Dein Urteil wird sehr schwer sein! Leg ein Geständnis ab, das würde das Urteil vielleicht leichter machen! Ihr wollt, dass die Iranerinnen wie die westlichen Frauen werden! Wir sind Muslime und werden den Islam mit allen Mitteln verteidigen! Du hast auf Facebook die Menschen zur Teilnahme an einer Versammlung aufgerufen, das ist ein Komplott zur Störung der öffentlichen Ordnung! Deine Beiträge sind Schwarzmalerei und das ist Propaganda gegen das Regime! Wenn du Fernsehgeständnisse ablegst und zugibst, in die Irre geführt worden zu sein, sorgen wir für ein leichteres Urteil.“

Es vergingen Tage und Wochen. Ein Verhörer löste den anderen ab. Sie konnten sich abwechseln und ausruhen, ich aber nicht. Ich hatte keine Antwort auf solche Fragen. Ich hatte weder Befehle erhalten noch Geld! Welche Antworten konnte ich auf die krankhaften Fantasien der Verhörer geben? Stundenlang versuchte ich, es ihnen zu erklären. Sie sagten aber nur das, wovon sie überzeugt waren.

Die Einzelhaft fraß mein Gehirn auf. Den ganzen Tag dachte ich an die Fragen der Verhörer. Es war bereits ein Monat vergangen. Ich durfte weder Besuch bekommen noch jemanden anrufen. In meiner sechs Quadratmeter großen Zelle lief ich auf und ab und dachte, dass mich mein Gewissen umgebracht hätte, wenn ich an der Versammlung nicht teilgenommen hätte. Wie kann man gegen solche Gewalt nicht protestieren? Wie hätte ich mich sonst Menschenrechtsaktivistin und Feministin nennen können? So beruhigte ich mich und malte mir die Zeit nach den Verhören aus.

Erlaubnis zum Telefonieren

Fortsetzung auf Seite 3