Macht und Ohnmacht der Frauen – Teil 2

Während die Iranerinnen im Familienrecht langsam Rechte zurückgewinnen, haben sie an anderer Stelle die Nase vorn: Die Zahl der Frauen an den iranischen Hochschulen ist so stark gestiegen, dass die Machthaber versuchen, mit Männerquoten die Anzahl der Studentinnen zu reduzieren – als einziges Land der Welt.

Als die Revolution im Februar 1979 begann, betrug der Frauenanteil an den iranischen Hochschulen 23 Prozent. 2006 waren 63 Prozent der Studierenden weiblich, im Folgejahr 65 Prozent. Zu den Aufnahmeprüfungen bewarben sich zu 70 Prozent Frauen. Seither denken die islamischen Hardliner öffentlich über die Möglichkeit nach, den Frauenanteil an den Hochschulen zu reduzieren.

So klagte Ayatollah Ahmad Jannati, Sekretär im Wächterrat und einer der mächtigsten Männer des Iran, im Jahr 2008: „Es ist ein Unglück, dass unsere Mädchen an der Hochschule studieren! Wenn jemand um ihre Hand bittet, lautet die erste Frage: Hat der Bräutigam auch studiert? Welchen Abschluss hat er gemacht?“ Ein Studium, so fürchtet der Ayatollah, wecke bei den Frauen „Erwartungen und Ansprüche in Bezug auf eine Berufstätigkeit. Doch die wichtigste Aufgabe, die eine Frau zu erfüllen hat, ist, sich um die Familie und den Ehemann zu kümmern und die Kinder zu erziehen!“ Auch ein weibliches Parlamentsmitglied, Fatemeh Ajorlou, befürwortet die Reduzierung des Frauenanteil an den Hochschulen, denn: „Die Männer sind für die Versorgung der Familie zuständig!“

An den insgesamt 2.569 iranischen Hochschulen (zum Vergleich: in Deutschland sind es 412) wird seither nicht nur darüber nachgedacht, ungeachtet ihrer Noten bei der Aufnahmeprüfung zu 50 Prozent Männer aufzunehmen. Zahlreiche Hochschulen verweigern Frauen mittlerweile die Immatrikulation oder nehmen sie nur dann auf, wenn der Anteil der Studentinnen unter 60 Prozent liegt. 36 iranische Hochschulen führten 2012 die Geschlechtertrennung für bestimmte Fachrichtungen ein.

Doch trotz der Einführung der Männerquote und anderer Regularien ist es den islamischen Machthabern nicht gelungen, die Zahl der Frauen an den Hochschulen zu reduzieren. 2019 und 2020 lag der Frauenanteil unter den Absolvent*innen weiterhin bei 60 Prozent. Die iranischen Frauen wollen sich die Möglichkeit zum akademischen Erfolg und beruflichen Aufstieg offenbar nicht nehmen lassen.

Die Macht bleibt männlich

Ungeachtet des hohen Anteils von Akademikerinnen haben iranische Frauen jedoch weiterhin kaum Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Landes. Die Machtstrukturen sind männlich. Den wichtigen Gremien Experten-, Wächter- und Schlichterrat dürfen keine Frauen angehören, auch das Präsidentenamt steht ihnen nicht offen. Unter den 290 Abgeordneten des derzeitigen iranischen Parlaments sind nur 16 Frauen: etwa 5,5 Prozent. Und nur eine einzige Frau، Marzieh Vahid Dastjerdi, schaffte es seit der Revolution in ein Ministeramt: eine Ärztin, die drei Jahre als Gesundheitsministerin fungierte.

Die erste große Demonstration gegen Zwangsverschleierung im Iran fand am 8. März 1979, kurz nach der Revolution in Teheran statt!
Die erste große Demonstration gegen Zwangsverschleierung im Iran fand am 8. März 1979, kurz nach der Revolution in Teheran statt!

Auch aus der Judikative sind Frauen ausgeschlossen. Der von Staatsoberhaupt Ali Khamenei ernannte Justizchef sowie alle seine Vertreter und hohen Beamten sind Männer. Nach der Revolution wurden viele Richterinnen aus ihren Ämtern entfernt. Sie protestierten damals vergeblich mit einem Hungerstreik im Justizpalast gegen ihre Entlassung, darunter die heute im Exil lebende iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi.

Zur Zeit arbeiten zahlreiche „Richterinnen“ an den Familiengerichten. Sie sind aber nur beratend tätig und dürfen keine Urteile fällen. 

Frauen erobern eigene Freiräume

Doch die Iranerinnen erobern sich andere Bereiche, um ihre Lebensvorstellungen zu verwirklichen und dabei auf die Lage der iranischen Frauen aufmerksam zu machen. Erfolgreiche iranische Filmemacherinnen gewinnen auf ausländischen Festivals Preise, Künstlerinnen erlangen weltweite Anerkennung, Sportlerinnen siegen bei internationalen Wettkämpfen. Der Mathematikerin Maryam Mirzakhani, im Iran aufgewachsen und zur Schule gegangen, wurde 2014 als erster und bislang einziger Frau die Fields-Medaille, der “Nobelpreis für Mathematik“, verliehen.

Nasrin Sotoudeh, Menschenrechtsanwältin und Journalistin, erhielt zahlreiche internationale Preise, darunter den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlament, den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes und den alternativen Friedensnobelpreis. Sie sitzt wegen ihres Engagements für Menschenrechte derzeit in Haft.

Peinliche Gegenmaßnahmen
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