Die besonderen Herausforderungen der MeToo-Bewegung in Iran
Die MeToo-Bewegung in Iran hat einen wichtigen Diskurs über sexuelle Gewalt angestoßen – doch Überlebende und Unterstützerinnen sind massiven juristischen und Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt. Während Täter oft einflussreiche Männer bleiben, riskieren Betroffene durch das Erzählen ihrer Geschichte soziale Ächtung und rechtliche Verfolgung. In einem repressiven Staat, der feministische Arbeit kriminalisiert, stellt sich die Frage: Wie kann Solidarität aussehen, wenn der Preis so hoch ist?
Von: Arnavaz, Soziologin in Iran *
Während ich dies schreibe, treibt ein Filmregisseur, dem mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorwerfen, eine Klage gegen die Betroffenen und deren Unterstützerinnen voran. Ich selbst gehörte zu denjenigen, die die Berichte der Überlebenden auf Social Media geteilt haben. Nachdem einige von ihnen und ihren Unterstützerinnen zur Polizei vorgeladen wurden, habe ich nach Rücksprache mit einer befreundeten Anwältin meine Beiträge, wie viele andere, von meinen Profilen gelöscht.
Diese Entwicklung – dass Männer, die wiederholt sexueller Gewalt beschuldigt werden, juristisch gegen die Überlebenden und feministische Unterstützerinnen vorgehen – ist eine der häufigsten Reaktionen auf die Erzählbewegung gegen sexuelle Gewalt in Iran. Frauenfeindliche Gesetze wie die Hijab-Pflicht, sexuelle Belästigung auf der Straße unter dem Vorwand mangelnder Bedeckung, die Kriminalisierung vor- und außerehelicher Beziehungen sowie die Einstufung jeglichen Engagements für Geschlechtergleichheit als sicherheitsgefährdend verschärfen diese Dynamik. Sie nähren eine Angst, die nicht nur dazu führt, dass Überlebende anonym bleiben, sondern auch dazu, dass feministische Unterstützerinnen massiven juristischen Risiken und Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt sind.
Wenn Täter die Kontrolle behalten
Als Feministin der MeToo-Bewegung habe ich es in den vergangenen Jahren als meine Pflicht angesehen, meine Plattform den Betroffenen so weit wie möglich zur Verfügung zu stellen. Ich dachte: Sie werden durch das Erzählen ihrer Geschichten ohnehin von Justiz, Kolleg*innen und großen Teilen ihres Umfelds ausgegrenzt – also nehme ich die gesellschaftlichen Angriffe, Beleidigungen und heftigen Reaktionen stellvertretend für sie auf mich. So haben es viele Feministinnen getan, oft unter hohen persönlichen Kosten. Doch dieser Widerstand ist selten einfach. Irgendwann stellt man fest, dass man permanent von allen Seiten angegriffen wird.
Schweigen oder Strafe: die Zwangslage der Betroffenen
Feministische Arbeit wird dann besonders schwierig – wenn nicht gar unmöglich –, wenn man sich bereits zu Beginn mit gravierenden juristischen Konsequenzen konfrontiert sieht. Dann ist das Festhalten an der eigenen Überzeugung nicht mehr selbstverständlich. Auch die Überlebenden stehen vor dieser Wahl: Entweder sie schweigen über die Gewalt, die ihnen angetan wurde, oder sie erzählen ihre Geschichte und riskieren dafür soziale Ächtung und juristische Verfolgung. Diese Zwangslage begleitet die MeToo-Bewegung in Iran von Anfang an – und sie prägt das Schicksal der Betroffenen und feministischen Aktivistinnen bis heute.
In den Jahren seit der Ausweitung der MeToo-Bewegung ist eine Frage immer wieder gestellt worden: Wer ist befugt, die Schuld eines Täters zu beweisen? Die Antwort auf diese Frage kann je nach kulturellem und rechtlichem Kontext in jedem Justizsystem unterschiedlich ausfallen. Doch in den letzten Jahren, mit dem Erstarken sozialer Bewegungen für Freiheit in Iran und der wachsenden Opposition gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung, hat sich die Kluft zwischen dem Rechtssystem und gesellschaftlichen Normen weiter vertieft.
Ein Rechtssystem gegen Frauen: wenn das Gesetz sexuelle Gewalt legitimiert
Eine der ersten Herausforderungen für Überlebende, die ihre Geschichten erzählt haben, war die Tatsache, dass im iranischen Rechtssystem der Tatbestand der „sexuellen Belästigung“ nicht einmal existiert. In vielen Fällen ist sexuelle Gewalt nicht nur legal, sondern wird aktiv gefördert – etwa durch das Gesetz zur ehelichen Gehorsamspflicht für Frauen oder durch staatliche Kampagnen, die Übergriffe gegen Frauen „mit schlechtem Hijab“ legitimieren. Hinzu kommt, dass außereheliche Beziehungen in Iran kriminalisiert sind. Viele Betroffene können ihre Geschichte daher weder öffentlich erzählen noch Anzeige bei der Polizei erstatten, da sie befürchten müssen, selbst der „unerlaubten Beziehung“ beschuldigt zu werden – oder schlimmer noch, in den Verdacht zu geraten, mit feministischen Netzwerken zusammenzuarbeiten, was als „sicherheitsgefährdendes“ Vergehen verfolgt werden kann.
Wie in vielen anderen Ländern entwickelte sich die MeToo-Bewegung auch in Iran zunächst im digitalen Raum. Während der Coronoapandemie begann sie auf Twitter und Instagram und weitete sich dann rasch auf private und öffentliche Räume aus. Das Erzählen der eigenen Geschichte führte dazu, dass Betroffene sich fanden, Netzwerke von Unterstützerinnen bildeten und Diskussionen über die Definitionen und Grenzen sexueller Gewalt erstmals in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Begriffe und Konzepte, die zuvor kaum existierten, hielten Einzug in gesellschaftliche Debatten.
Die sogenannte Erzählbewegung war weltweit ein junges Phänomen, und viele grundlegende Fragen wurden zum ersten Mal in diesem Umfang diskutiert: das Fehlen rechtlicher Grundlagen und feministischer Methoden der Überprüfung von Vorwürfen, die Definition weiblicher Handlungsmacht, die Grenzen sexuell konnotierten Flirtens, die Bedeutung von Konsens und die Dimensionen sexueller Gewalt. Aktivistinnen und Betroffene standen vor denselben Herausforderungen wie anderswo – sie waren gezwungen, in einem ständigen Prozess von Versuch und Irrtum zu handeln.
Feministische Aktivistinnen: zwischen Solidarität und Kriminalisierung
Aber welche Rolle spielten die Feministinnen in all dem? Die Erzählbewegung brachte neue Herausforderungen für den feministischen Aktivismus mit sich, auch wenn die Aktivistinnen sich mehr oder minder darauf vorbereitet hatten – basierend auf dem Wissen und den Erfahrungen vergangener Kämpfe.
Zum einen wurden die Berichte der Betroffenen meist anonym veröffentlicht. Viele Überlebende waren gezwungen, Teile ihrer Erzählung zu verbergen, um ihre Identität zu schützen. Oft blieben sie unsichtbar und stellten sich hinter die Namen feministischer Plattformen oder Einzelpersonen, damit ihre Stimmen gehört und ernst genommen wurden. Die größte Barriere, die das Fehlen einer rechtlichen Grundlage für den Aktivismus darstellte, war jedoch die Begrenzung der Bewegung auf den digitalen Raum. So entstand eine paradoxe Situation: eine Bewegung, in der die Betroffenen namenlos blieben, die Aktivistinnen potenziell als Kriminelle galten und die Täter oft bekannte und einflussreiche Männer waren.
Der Druck wächst: Die Folgen staatlicher Unterdrückung
Ein weiteres Hindernis: 46 Jahre staatliche Repression gegen feministisches Engagement, langjährige Haftstrafen und die enormen Risiken für die persönliche Sicherheit der Aktivistinnen haben die feministische Bewegung in Iran massiv geschwächt. Nach der Niederschlagung der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung hat dieser Druck noch weiter zugenommen.
Das Schweigen über die Identität Betroffener untergräbt die Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen. Gegner*innen der Bewegung bezeichnen anonyme Berichte häufig als bloße Hetze und einen gezielten Angriff auf prominente Männer. Die Offenlegung der Namen hingegen kann gravierende rechtliche Konsequenzen und Bedrohungen der Sicherheit der Erzählerinnen zur Folge haben.
Ein ähnlicher Druck lastet auf feministischen Aktivistinnen. Anfangs stellten sie ihre Namen als Schutzschild für die anonymen Überlebenden zur Verfügung und veröffentlichten deren Erzählungen auf ihren eigenen Plattformen. Doch angesichts der immer weiter zunehmenden Bedrohungen und juristischen Repressionen zogen sich viele iranische Feministinnen, auch solche, die zwischen Iran und dem Ausland pendelten, aus der Veröffentlichung namentlich gekennzeichneter Berichte zurück. Diese Risiken betreffen Aktivistinnen im Exil in weit geringerem Maße.
Die MeToo-Bewegung offenbarte eine zunehmend spürbare Kluft zwischen Aktivist*innen inner- und außerhalb Irans. Die erzwungene Migration vieler feministischer Stimmen in den vergangenen Jahren führte dazu, dass sich politisches und gesellschaftliches Engagement immer stärker in zwei parallele Räume aufteilte: das Inland und die Diaspora.
Ein Beispiel ist die öffentliche Nennung von Tätern. Für jede Person, die in Iran lebt, kann die Namensnennung eines Täters oder die Veröffentlichung von Missbrauchsberichten strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – etwa eine Anklage wegen Verleumdung oder gar den Verdacht der Zusammenarbeit mit westlichen Regierungen. In einigen Fällen bestand sogar die Gefahr persönlicher Vergeltungsakte durch die Täter. Diese Hindernisse existieren für Aktivist*innen im Exil weit weniger.
Exil und Inland: Eine wachsende Kluft
Dadurch konnten feministische Stimmen in der Diaspora nicht nur einen Großteil der Enthüllungen vorantreiben, sondern auch verstärkt mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. An sich wäre Sichtbarkeit im digitalen Raum kein Problem – unter fairen Bedingungen. Doch was die Kluft zwischen Aktivist*innen inner- und außerhalb des Landes immer weiter vertiefte, war das zunehmende Unsichtbar werden derer, die vor Ort unter immensem Risiko weiterkämpfen.
Viele meiner Freundinnen in der feministischen Bewegung halten eine Allianz mit Feministinnen im Ausland grundsätzlich für unmöglich. Einige fürchten, dass der Aktivismus in der Diaspora zu sehr von Profilierungswillen und Persönlichkeitskult geprägt sei, andere sehen ihn als von westlichen Regierungen finanziert, und wieder andere haben politische oder ideologische Kritik an ihren Methoden. Diese Differenzen bleiben nicht ohne Einfluss auf die MeToo-Bewegung und die Erzählungen der Betroffenen. Denn wenn ungelöste innere Konflikte in einer Bewegung in politische Feindschaft umschlagen und eine kollektive Zusammenarbeit im Sinne einer breiten gesellschaftlichen Bewegung verhindern, dann leiden vor allem diejenigen darunter, die sich von dieser Bewegung eine Plattform für ihren Kampf für Gerechtigkeit erhofft hatten.
restorative justice als Lösung
Angesichts dieser Herausforderungen setzen viele Feministinnen innerhalb des Landes auf die sogenannten „restorative justice“ – also auf einen alternativen, gemeinschaftsbasierten Ansatz zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt. Doch auch dieser Ansatz ist in Iran schwer umsetzbar. Er erfordert Fachleute, die mit sexualisierter Gewalt und feministischen Konzepten im Umgang damit vertraut sind – doch genau diese Expertise fehlt in der iranischen Zivilgesellschaft.
Wenn die Namen der Überlebenden unsichtbar bleiben, während die Täter in der Öffentlichkeit stehen, wenn das Gesetz aufseiten der Täter ist und selbst die bloße Zugehörigkeit zur MeToo-Bewegung kriminalisiert wird, dann bleibt den Aktivistinnen in Iran oft keine andere Wahl, als sich weniger auf die Enthüllung einzelner Täter zu konzentrieren und stattdessen Diskurse über sexuelle Gewalt und alternative Lösungsansätze wie „restorative justice“ in den Vordergrund zu stellen.
Dennoch kann die Offenlegung von Namen manchmal im öffentlichen Interesse liegen. Die Veröffentlichung der Namen von Politikern, Professoren oder bekannten Künstlern kann nicht nur verhindern, dass sie weitere Opfer finden, sondern auch der Gesellschaft eine klare Warnung sein, dass sie nicht tatenlos zusehen darf.
Wie MeToo den öffentlichen Diskurs verändert hat
Trotz aller Konflikte und Hindernisse hat die MeToo-Bewegung entscheidend dazu beigetragen, einen gesellschaftlichen Diskurs über sexuelle Gewalt zu etablieren – einen Diskurs, der das Leben vieler von uns verändert hat. Wir haben es geschafft, unsere Stimmen hörbar zu machen und für Erfahrungen, die zuvor diffus und unausgesprochen blieben, Begriffe zu finden.
Viele einflussreiche Männer verloren ihren Ruf, während viele zuvor Stimmlose erstmals Gehör fanden – und die Gesellschaft begann zu verstehen, dass sexuelle Gewalt nicht länger ohne Konsequenzen bleiben würde. Freundeskreise und berufliche Netzwerke gerieten zunehmend unter Druck, Stellung zu beziehen, und allmählich wuchs die gesellschaftliche Erwartung, dass Menschen sich zu sexualisierter Gewalt positionieren und sensibel damit umgehen.
In diesen alltäglichen Auseinandersetzungen stellten sich viele an die Seite der Betroffenen – und viele andere blieben auf der Seite der Täter. Diese Spaltungen erfassten auch oppositionelle, intellektuelle Kreise und führten zum Zerbrechen mehrerer kultureller und politischer Gruppen.
Von MeToo zu ‚Frau, Leben, Freiheit‘: eine feministische Kontinuität
Auf dem Höhepunkt der internen Debatten innerhalb der MeToo-Bewegung über die Frage nach Namen und der Rolle der Feministinnen in den Erzählungen brach die „Frau, Leben, Freiheit“-Revolte aus. Die Wucht des Aufstands, die massenhaften Verhaftungen und Hinrichtungen rückten die Aufmerksamkeit für Täter sexueller Gewalt vorübergehend in den Hintergrund – stattdessen konzentrierte sich alles auf die Dynamik der Jina-Bewegung.
Dennoch lässt sich das geschlechterpolitische Bewusstsein der Post-MeToo-Ära in der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung nicht übersehen. MeToo war die erste Bewegung, die Millionen von zuvor unsichtbaren und oft nicht mit dem Feminismus vertrauten Frauen miteinander vernetzte und ihnen die Hoffnung gab, im Kampf gegen Gewalt nicht allein zu sein. In einer Gesellschaft, die sexuelle Themen aus dem öffentlichen Raum verbannte, brachte MeToo erstmals die Erzählungen über sexuelle Gewalt aus dem Flüstern hinter verschlossenen Türen in die gesellschaftliche Debatte und legte die Lücken im Rechtssystem, die Gewalt der Männer und die Isolation der Betroffenen im patriarchalen Recht und in der Kultur schonungslos offen. Denn das zentrale Anliegen beider Bewegungen war dasselbe: das Recht der Frauen auf ihren eigenen Körper und die Zurückweisung der unterdrückenden Kontrolle von Männern und Staat über die Körper von Frauen.
Trotz aller Höhen und Tiefen hat MeToo geholfen, eine gemeinsame Vorstellung zu erschaffen – die Vorstellung von Solidarität gegen männliche Gewalt und des Endes des anhaltenden Schweigens und Stillstands, die Gesellschaft, Familie und Staat den Stimmen und Körpern der Frauen auferlegt haben.
* Arnavaz ist Soziologin und feministische Aktivistin. Sie wurde 2022 im Zuge der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran für mehrere Monate inhaftiert und ist derzeit gegen Kaution auf freiem Fuß. Sie bleibt aus Sicherheitsbedenken anonym.
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Foto: KI-generiert