Soziale Folgen der Corona-Pandemie im Iran
Laut Paragraf 16 des iranischen Gesetzes zur Rauschgiftbekämpfung werden Süchtige, die sich weigern, Möglichkeiten zum Entzug zu nutzen, als „unwillig“ eingestuft und zwangsweise in eine Entzugsanstalt eingeliefert.
„Wir werden mit einer dramatisch ansteigenden Zahl von an Covid-19 erkrankten Menschen zu kämpfen haben“, schreibt ein Autor der Tageszeitung Resalat. „Welche unheildrohenden Folgen bringt es mit sich, wenn zahlreiche obdachlose Drogenabhängige in einer Metropole wie Teheran losgeschickt werden?“ Drogensüchtige achteten kaum auf Hygiene, seien körperlich schwächer als die meisten anderen Menschen, hätten Vorerkrankungen: „Sie verbringen ihre Zeit in der Öffentlichkeit und versammeln sich auf den Straßen.“
Nach dem Gesetz macht sich jeder Drogenabhängige strafbar, der nicht in einer Entzugsanstalt ist. Die Zeitung Resalat zitiert den Teheraner Gouverneur Anoushirvan Mohsenibandpey mit der Aussage, dass sich im Februar 2020 zehntausend Abhängige in diversen Teheraner Entzugszentren befunden hätten. Doch am 20. Februar seien 5.000 von ihnen entlassen worden, weil nach einem sechsmonatigen Aufenthalt ein erneuter Antrag fällig sei, so Mohsenibandpey. Diese seien aber vom Zentralen Stab zur Bekämpfung von Corona nicht gestellt worden. Bereits in den Anfangstagen der Corona-Pandemie seien Abhängige in Teheran nicht mehr in Einrichtungen gebracht worden. Ein kleiner Teil von ihnen habe in den 22 Teheraner Obdachlosenunterkünften Unterschlupf gefunden.
Die Lage in den Gefängnissen
Ein Teil der Insassinnen und Insassen iranischer Gefängnisse, darunter nur wenige politische Inhaftierte – sind aus Sorgen vor einem Ausbruch der Corona-Seuche in Hafturlaube geschickt worden. Denn in den Haftanstalten steht nur wenig Platz zur Verfügung.
Manche der Entlassenen haben jedoch keine Familien, oder diese weigern sich, sie aufzunehmen. Sie landen dann ebenfalls oft in den Obdachlosenasylen. Bisher wurden dort 40 Personen mit Verdacht auf eine Coronainfektion registriert.
Aus Angst vor Corona kam es in Gefängnissen in mehreren iranischen Städten bereits zu Tumulten. Am 19. März brachen aus dem Gefängnis in Khorramabad 23 Gefangene aus, nachdem dort ein Coronofall festgestellt worden war. In der Stadt Saqqez flohen 70 Menschen aus Angst vor der Pandemie aus dem Gefängnis. Auch in Shiraz, Täbris, Ahvaz, Teheran, Aligudarz und Hamadan kam es zu Unruhen, bei denen Gefangene zu Tode kamen. Die Gefangenen forderten Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus wie Freilassungen, Corona-Tests und Hygieneprodukte und die Quarantäne von Infizierten.
Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen protestierende Häftlinge vor. Dabei seien bis zu 36 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt worden, so AI.
Die Menschenrechtsorganisation berichtete auch über den Fall des 18-jährigen Gefangenen Danial Zeinolabedin, der während der Unruhen Ende März seiner Familie telefonisch mitgeteilt hatte, er sei von Gefängniswärtern schwer geschlagen worden und brauche Hilfe. Am 3. April 2020 wurde seiner Familie dann von den Behörden mitgeteilt, Zeinolabedin habe Selbstmord begangen. Seine Familie bestreitet dies und führt an, dass seine Leiche mit blauen Flecken und Schnitten übersät war. „Es ist entsetzlich, mit welcher tödlichen Gewalt die Sicherheitskräfte gegen die Gefangenen vorgegangen sind“, sagt Amnesty-Expertin Vanessa Ullrich. Die Menschenrechtsorganisation hat ein Foto von Danial Zeinolabedins Leiche überprüft und kommt zu dem Schluss, dass die Spuren an seinem Körper auf Folter hinweisen könnten.
Abweichende Meinungen nicht geduldet
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