Arabische Solidarität mit den iranischen Frauen

Arabische Frauen im Libanon, in Tunesien und Kurdinnen aus dem Irak und Nordsyrien zeigen in unterschiedlichen Formen ihre Solidarität mit den mutigen Iranerinnen. 

Von Hadi Mestufi 

„Du bist nicht mein Führer … Der Kompass bin ich. Iranische Frauen ergreifen das Wort. Sie befreien und erheben sich trotz der Gefahr für ihr Leben. Sie schneiden sich im Zorn ihr Haar ab. In dieser bleiernen Zeit der unterwürfigen Bartträger treten sie für das Recht ein, ihr Haupt unverhüllt zu zeigen. Sie sind unsere Vorbilder … und noch viel mehr.“

Mit diesen Worten solidarisierte sich eine arabische Frauenrechtsorganisation mit den Protesten ihrer iranischen Schwestern für Freiheit und gegen den Hidschāb-Zwang. Der offizielle Instagram-Account titelt auf Arabisch und Persisch: „Von uns für euch, mit all unserer Liebe und Unterstützung“. 

Die Organisation zählte zu den ersten arabischen Institutionen, die sich mit den protestierenden Iranerinnen solidarisierte, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini im Gewahrsam der „Sittenpolizei“ ihr Leben ließ. Die Organisation erklärte: „Mahsa Amini ist nicht gestorben, ihr Körper hat sich lediglich zur Ruhe gebettet…  Ihr Geist ermutigt Frauen im Iran und in allen patriarchal geprägten Ländern dazu, die Selbstbestimmung über ihren Körper zurückzuerlangen.“

Immer noch ebbt die Welle der Solidarität in der arabischen Welt mit der Frauenbewegung im Iran nicht ab. Hunderttausende Fotos, Kunstwerke und Videos von Frauen, die sich die Haare abschneiden, wurden in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MahsaAmini veröffentlicht. Das Hashtag durchbrach relativ schnel auf Twitter die 200-Millionen-Marke und bedeutete damit einen historischen Rekord. 

Unter dem Hashtag der iranischen Protestbewegung wandten sich viele Menschen in den sozialen Medien gegen die Unterdrückung von Frauen in patriarchal geprägten Ländern auf der ganzen Welt – so auch im Iran. 

Tunesien: „Wir erklären unsere Solidarität mit den iranischen Frauen“ 

In Tunis verurteilten Menschenrechtsorganisationen und Frauenverbände auf einer Kundgebung vor dem iranischen Kulturzentrum in der tunesischen Hauptstadt die Unterdrückung und Verfolgung von Frauen im Iran. Die Teilnehmerinnen skandierten: „Tunesische Frauen unterstützen iranische Frauen“, „Wir erklären unsere Solidarität mit den iranischen Frauen“ und „Revolution und Freiheit“. 

Während der Solidaritätsaktion bemühte sich der iranische Botschafter um ein Treffen mit der Präsidentin der Tunesischen Vereinigung demokratischer Frauen (Association Tunisienne de Femmes Democratique, ATFD), Neila Zoghlami. Diese aber lehnte ab und schnitt sich während der Kundgebung als Zeichen ihrer Solidarität mit den iranischen Frauen eine Haarsträhne ab. 

Die ebenfalls teilnehmende Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Nawal Bin Saleh sagte: „Wir waren bei der Demonstration zwar nicht besonders viele, aber unsere Botschaft war stark und hat den iranischen Botschafter bloßgestellt. Im Versuch, die Kundgebung unter Kontrolle zu bringen, schickten uns Mitarbeiter der iranischen Botschaft Süßigkeiten. Doch wir haben das als offensichtliche Provokation abgelehnt.“

Die Initiative „Frauen gegen das (Verfassungs-)Referendum“, hinter der tunesische Menschenrechtsvertreterinnen, Anwältinnen und Aktivistinnen der Zivilgesellschaft stehen, bekundete ebenfalls ihre uneingeschränkte Unterstützung für die iranischen Frauen angesichts der gewaltsamen Übergriffe und Verhaftungen, denen diese seit Beginn der Proteste aus Anlass des gewaltsamen Todes von Mahsa Amini ausgesetzt sind. 

Die als „Stimme der tunesischen Revolution“ bekannte tunesische Sängerin Amal Mathlouthi legte sich den Hidschāb um und sprach Persisch, um ihre Solidarität mit den iranischen Frauen zu bekunden. Sie sang ein Lied zur Melodie des berühmten iranischen Liedes „Sultan Qalbha“ und erklärte, dies sei ein Gruß der tunesischen an die iranische Jugend. 

Libanon: „Frauenhaar ist keine Sünde“

Eine Gruppe von Libanesinnen versammelte sich vor dem Nationalmuseum in Beirut. In Solidarität mit den protestierenden Frauen im Iran hielten sie Bilder von Mahsa Amini hoch und riefen zum Widerstand gegen die Unterdrücker auf.  Die libanesischen Frauen zeigten Transparente mit der Aufschrift: „Unsere Wut ist eins, unser Kampf ist eins“, „Frauenhaar ist keine Sünde, eure Unterdrückung ist Sünde“, „Der Schleier ist eine persönliche Angelegenheit, keine Sache der Regierung“ und „Mein Körper und mein Haar gehören nur mir allein“. 

Abbas Yazbek, ein schiitischer Geistlicher, der als Kritiker des iranischen Regimes gilt, wurde von der Mahnwache mit der Erklärung abgewiesen, man sei gegen jede „geistliche Obrigkeit“. Die Aktivistin Zahraa al-Dirani sagte: „Es ist uns egal, ob der Scheich gegen das iranische Regime ist. Wir sind gegen ihn, weil er eine geistliche Obrigkeit vertritt, die Frauen unterdrückt.“

Im kurdisch kontrollierten Teil Nordsyriens demonstrierten Dutzende von Frauen gegen den gewaltsamen Tod von Masha Amini. Die junge Frau trug als iranische Kurdin eigentlich den kurdischen Vornamen Jina, der von den iranischen Behörden allerdings nicht anerkannt wurde. Einige der Demonstrantinnen schnitten sich das Haar ab und verbrannten Kopftücher. 

Arwa al-Saleh, Mitglied der Frauenrechtsorganisation Kongra Star (kurdisch für Sternenkongress) in den kurdischen Gebieten Syriens, die zu dieser Frauenkundgebung aufgerufen hatte, erklärte: „Wir unterstützen die Proteste und Revolte im Iran.“

Vor dem Büro der Vereinten Nationen in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak, protestierten Demonstranten gegen die Politik der Unterdrückung iranischer Frauen.  Sie verbrannten die Flagge der Islamischen Republik und skandierten: „Jina ist ein Vorbild und der Funke der Revolte.“

Die Demonstrantin Joanna Tamsi sagte: „Wir demonstrieren vor dem Büro der Vereinten Nationen gegen den gewaltsamen Tod von Mahsa Amini, gegen die Tötung von Frauen und gegen das iranische Regime.“

Eine Welle der Solidarität

Über die Welle der Solidarität arabischer Frauen mit den Frauen im Iran sagt Rasha Hilwi, Mitherausgeberin der unabhängigen arabischen Online-Medienplattform Raseef22: „Arabische Frauen fühlen sich eng verbunden mit dem Kampf der Frauen im Iran und ihrer Forderung nach voller Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper „. 

„Ein Regime, das sein eigenes Volk unterdrückt, kann nicht Teil meines Wegs zur Freiheit sein“, kommentiert die aus Palästina stammende Journalistin Hilwi den Widerspruch, dass die iranische Regierung einerseits für die Freiheit der Palästinenser eintritt, aber andererseits die eigenen Bürger unterdrückt. 

Viele Journalistinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen aus der arabischen Welt haben sich mittlerweile über die rigorose Beschneidung der Freiheiten von Frauen im Iran geäußert. Im Kontext der Demonstrationen im Iran schreibt die libanesische Journalistin Sawsan Mhanna in ihrem Artikel „Alle Frauen der Welt … Die Revolution passiert mit Zöpfen, Henna und unserer Stimme“ über den weltweiten historischen Kampf der Frauen um ihre Rechte – insbesondere in der arabischen Welt.  

„Die junge Frau, die ihr Leben verlor, weil einige Strähnen ihres Haars nicht vorschriftsmäßig bedeckt waren, ist zu einem neuen Symbol für die Verteidigung der Freiheit der iranischen Frauen geworden. Sie hat die unmenschlichen Bedingungen einer Gesellschaft entlarvt, die gefangen ist im dunklen Mittelalter und die Frauenhaar für sündhaft hält“, so Mhanna. 

Nora Jaber, Dozentin an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Exeter in Großbritannien, sagte in einem Artikel über den Umgang der westlichen Medien mit den Protesten im Iran: „Die jüngsten Proteste müssen im Kontext des breiteren Kampfes für die Rechte von Frauen und Minderheiten im Iran gesehen werden sowie des Widerstands der Bevölkerung gegen die repressive Politik des Regimes.“

„Viele Menschen im Iran bezahlen für ihren Mut einen hohen Preis,“ sagt die Wissenschaftlerin. Doch die Medien richten ihr Augenmerk vor allem auf das Kopftuch anstatt auf den mutigen Widerstand der Frauen gegen ein repressives Regime und ihren anhaltenden Kampf für ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Das ist eine grobe Vereinfachung und kontraproduktiv.“ ♦

Hadi Mestufi

© raseef22

Aus dem Englischen für qantara.de übersetzt von Peter Lammers.

 

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