Eine Flutwelle mit Hintergründen

Umwelt- und Naturschutz wurden im Iran über Jahrzehnte vernachlässigt. An den schlimmen Folgen der jüngsten starken Regenfälle sind auch diese Versäumnisse schuld. Nun fordern auch Politiker*innen aus betroffenen Regionen ein Umdenken – Umweltschützer*innen tun das schon viel länger.

Von Nasrin Bassiri
Die Überflutungen, die den Iran seit Mitte März heimsuchen, haben gigantische Ausmaße: Sie reichen vom Nordosten über den Westen bis zum Süden des Landes. Eine beispiellose Naturkatastrophe, die zu 77 Todesopfern und Hunderten Verletzten führte und neben ganzen Dörfern und Stadtvierteln auch Teile des Jahrtausende alten Kulturerbes des Iran zerstörte.
Sicher spielen die Erderwärmung, der Klimawandel und natürlich die starken Regenfälle dabei eine Rolle. Doch Expert*innen und Umweltschützer*innen befürchten, dass menschliches Versagen und Missmanagement die Hauptursachen für die Ereignisse sind. Der Chef der staatlichen Organisation für Krisenmanagement, Esmiell Najjar, sagte kürzlich: „Wir haben die Natur zu sehr manipuliert. Nun sollten wir sie nicht länger bekämpfen und eine Weile sich selbst überlassen.“
Hesameddin Naraghi, Experte des iranischen Naturkatastrophenhilfswerk, sprach von Versäumnissen bei der regelmäßigen Beseitigung von Schlamm und Müll in den Flussläufen. Diese sei in den letzten Jahrzehnten nur sporadisch und nicht in erforderlichem Umfang durchgeführt worden. Aufgrund der extremen Trockenheit der vergangenen Jahre hätten sich Schlamm und Müll in den Flussbetten verhärtet, so dass das Wasser nicht abfließen konnte.
ARD-Korrespondentin Natalie Amiri berichtet:
https://youtu.be/4_4Lx-C4Wyo
Naraghi betonte, dass bauliche Eingriffe wie Straßenbau und das Verlegen von Eisenbahnschienen im Schutzraum der Flüsse, wie es etwa in der Gegend von Schiraz und bei der Stadt Aghghole in der nordostiranischen Provinz Golestan geschehen sei, zu der Katastrophe beigetragen hätten. Beide Baumaßnahmen waren von den Revolutionsgarden durchgeführt worden – wie deren Oberkommandant lobte, mit „kraftvollem Management und starker, risikobereiter Entschlossenheit.“
In 30 Jahren kein Wald mehr im Nordiran
Eine weitere Ursache der Flutkatastrophe ist die Abholzung der iranischen Wälder. Noch vor 50 Jahren gab es im Iran 18 Millionen Hektar Waldfläche, heute sind nur noch 12 Millionen übrig. Der Rest wurde durch industrielle oder illegale Abholzung sowie natürliche oder vorsätzliche Waldbrände vernichtet – oder zu begehrtem Bauland im Grünen für Luxusvillen und -wohnungen gemacht.
 

In 24 Provinzen des Iran sind mehr als 480 Städte und fast 5.000 Dörfer von der Überschwemmung betroffen!
In 24 Provinzen des Iran sind mehr als 480 Städte und fast 5.000 Dörfer von der Überschwemmung betroffen!

 
Laut der Weltbank gingen allein im Jahr 2005 über 125.000 Hektar Waldfläche im Iran verloren. Der Vorsitzende des Vereins für iranische Forstwirtschaft warnt, dass in 30 Jahren im Norden des Landes kein Wald mehr übrig bleiben werde, wenn sich nichts ändere.
Dabei sind die iranischen Wälder bereits seit 60 Jahren Staatseigentum. Um den Waldverlust aufzuhalten, verabschiedete das Parlament am 1. Januar 2017 ein Gesetz, demzufolge die Abholzung der Wälder für zunächst vier Jahre gestoppt werden sollte. Die Regierung wurde verpflichtet, diese Maßnahme durchzusetzen, damit die Wälder sich erholen können.
Gherje Teyar, Parlamentsabgeordneter aus der von den Überflutungen betroffenen Stadt Gonbadkawous im Nordostiran, erklärte, die Plünderung der Wälder und die Erteilung von Baugenehmigungen an Flüssen zeuge von „einem Mangel an Scharfsinn der Verantwortlichen“. An den iranischen Staatspräsidenten Hassan Rouhani gerichtet sagte Teyar: „Wir sind alle schuldig. Wenn wir nicht uns besinnen und unsere Vorgehensweise korrigieren, wird die Flut auch uns wegreißen.“
  © Iran Journal


Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat ein Konto zur sofortigen Hilfe für die Notleidenden in den Krisengebieten eingerichtet. Das DRK bitte um Spenden: 
Deutsches Rotes Kreuz
BAN: DE63370205000005023307
BIC: BFSWDE33XXX
Stichwort: Nothilfe Iran


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