Von der Bedeutung des iranisch-türkischen Flirts

Der Iran und die Türkei sind dabei, die Spannungen der letzten Monate zu übergehen. Am Ende dieser Annäherung könnte die Aushandlung und Verfestigung einer neuen nahöstlichen bipolaren Ordnung stehen, meint Reinhard Schulze in seiner Analyse.

In den gegenwärtigen Zeiten der politischen Restauration nach den Revolten und Kriegsverheerungen des vergangenen Jahrzehnts kommen Initiativen, die türkisch-iranischen Beziehungen auf neue Füsse zu stellen, nicht überraschend. Alle drei nahöstlichen Regionalbündnisse, die von dem Iran, Saudi-Arabien und respektive der Türkei geführt werden, stimmen überein, dass militärische Interventionen zur Prävention von Revolten im eigenen Land im Prinzip legitim sind, solange sie nicht die Interessen einer anderen Regionalmacht berühren. Daher beruht der gegenwärtige iranisch-türkische Flirt auf einer Interessenkonvergenz.

Ein altes Bündnis

Überraschend ist, wie unverhohlen beide Seiten die Spannungen der letzten Monate übergehen. Man erinnere sich: bis Oktober 2019 waren die Beziehung zwischen beiden Ländern einigermaßen intakt. Als eines der ersten Länder hatte der Iran 2016 den Putschversuch in der Türkei verurteilt, was Präsident Erdoğan immer wieder betonte. Die Türkei und der Iran arbeiteten gut in der von Russland protegierten Astana-Allianz zusammen, selbst eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen türkischen Behörden und den iranischen Revolutionsgarden war möglich.

Der Interessenskonflikt in Syrien schien die Beziehungen kaum zu stören. Als im Mai 2012 erste Einheiten der al-Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden in Syrien zugunsten des Regimes vom al-Asad eingriffen, sahen türkische Politiker und Militärs darin keine unmittelbare Bedrohung der türkischen Sicherheitsinteressen. Tatsächlich war es bis Oktober 2019 kaum zu einer gefährlichen Annäherung zwischen türkischen und iranischen Truppen in Syrien gekommen.

Der Iran und die Türkei unterstützten sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Auseinandersetzung mit den USA im Sommer 2018: die Türkei sprach sich öffentlich gegen die US-Sanktionen gegen den Iran aus und der Iran verurteilte die Sanktionen gegen die Türkei, die die US-Regierung nach der Inhaftierung des presbyterianischen Pastors Andrew Brunson durch türkische Polizei beschlossen hatte.

Rückschläge und Differenzen

Zumindest für die Öffentlichkeit verschlechterten sich die Beziehungen, nachdem sich die Türkei im Oktober 2019 zu einer Intervention in Rojava, also dem kurdisch dominierten Nordosten Syriens, entschlossen hatte. Während frühere türkische Besetzungen in Nordwestsyrien von den Iranern hingenommen wurden, gingen die militärischen Aktionen in Rojava den Iranern zu weit. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif protestierte, wohl auch deshalb, weil die Türkei die Intervention nicht zuvor mit dem Iran abgesprochen hatte.

Dann entschied sich die Türkei, den US-amerikanischen Sanktionen zu entsprechen und kein Erdöl mehr aus dem Iran zu kaufen. Die Beziehungen kühlten nun merklich ab und erreichten einen Tiefpunkt, als deutlich wurde, dass die Türkei die USA indirekt bei der Tötung des iranischen Kommandeurs der al-Quds-Bridagen, Qāsem Solaimāni, am 7. Januar 2020 unterstützt hatte.

Demonstration einer innigen Freundschaft oder eines Schulterschlusses gegen die USA? (von links) Hassan Rouhani, Wladimir Putin und Recep Tayyib Erdogan - Foto: irna.ir
Demonstration einer innigen Freundschaft oder eines Schulterschlusses gegen die USA? (von links) Hassan Rouhani, Wladimir Putin und Recep Tayyib Erdogan – Foto: irna.ir

Wie der iranische Außenminister Zarif aber betonte, waren sich bald nach Ausbruch der Corona-Krise beide Seiten einig, dass die Wirtschaftsbeziehungen, deren Wert um fast 50 Prozent eingebrochen ist, sowie die Zusammenarbeit im Energiebereich wiederaufgenommen werden müssten. Für die Türkei war bedrohlich, dass zusätzlich zum Ausbleiben europäischer Touristen aufgrund der Corona-Krise nun auch die Iraner wegblieben. Damit fehlten der türkischen Wirtschaft Einnahmen von fast 1,4 Milliarden Euro, das sind fast 4 Prozent des Gesamteinkommens aus dem Tourismusgeschäft. Zudem hat der Iran großes Interesse daran, über eine Pipeline, die durch Anatolien führt, den europäischen Energiemarkt mit Erdgas zu beliefern („Persische Pipeline“), selbst wenn dies zu einem Wettbewerb mit dem russischen Turkish-Stream-Projekt, das am 8. Januar 2020 eröffnet wurde, führen sollte.

Türkisches Werben

Auch die Türkei scheint ein wachsendes Interesse an der Normalisierung der Beziehungen mit dem Iran zu haben. Die Türkei führt die kleinste der drei Allianzen im Nahen Osten an. Sie hat im Grunde nur einen verlässlichen Partner, nämlich das Emirat Qatar. Tunesien, Oman und Kuwait liebäugeln ab und zu mit der Türkei, mochten aber bislang nicht der Allianz beitreten. Und mit der libyschen Regierung in Tripolis konnte die Türkei noch einen weiteren Partner gewinnen. Die Rüstungsausgaben der saudischen Allianz sind allerdings fünfmal so hoch wie die der türkischen Allianz, die immerhin noch etwas mehr Kapital zur Verfügung hat als die iranische Allianz, die, sieht man von Russland ab, nur schwache Partner zur Seite hat.

Eine engere Kooperation zwischen der türkischen und der iranischen Allianz hätte also für beide Seiten große Vorteile: Die Türkei würde ihre strategische Position deutlich verbessern können, und der Iran hätte die Chance, zumindest teilweise die militärische Übermacht des saudischen Blocks ausgleichen zu können.

Eine strategische Kooperation müsste durch eine Konvergenz der Interessen gerechtfertigt werden. Dies müsste über die Tatsache hinausgehen, dass der Iran und die Türkei beide gleichermaßen Opfer der Sanktionspolitik der USA geworden sind. Es müsste sich abzeichnen, dass Saudi-Arabien für den Iran wie für die Türkei der Hauptfeind geworden ist. Und es müsste deutlich werden, dass mit dem Eintritt Israels in die saudische Allianz das neue iranisch-türkische Bündnis zum Garanten der islamisch-arabischen Interessen im Nahen Osten werden könnte.

Wenn dies gegeben ist, ließen sich vielleicht auch Mittel finden, die iranisch-türkischen Stellvertreterkonflikte in Syrien, Libyen und Jemen zu bereinigen. Hierfür gibt es schon erste Anzeichen. Die iranische Regierung hat faktisch die Legitimität der libyschen Regierung von Tripolis anerkannt und die offene Waffenhilfe für Khalifa Haftars LNA eingestellt. Im Gegenzug hat die türkische Regierung deutlich gemacht, dass sie die immer noch stark verankerte Partei der jemenitischen Muslimbrüder, al-Islah, und ihre Milizen aus dem Bündnis mit der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition und der Regierung von Hadi lösen will. Würde das gelingen, würde der saudischen Koalition ein weiterer Gegner gegenüberstehen, der seinerseits über gute soziale Netzwerke mit den nordjemenitischen Ansar Allah, also den Huthi, verfügt.

Die islamische Kluft
Fortsetzung auf Seite 2