Die „heilige Stellung“ Russlands

Nach der Drohung der USA, Länder und Unternehmen zu bestrafen, die mit dem Iran kooperieren, ziehen sich immer mehr westliche Firmen aus dem Iran-Geschäft zurück. Die islamischen Hardliner um den religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei plädieren für eine stärkere Anbindung des Iran an Russland, die Reformer und Gemäßigten um Präsident Hassan Rouhani warnen davor.
Mitglieder der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und etliche Nicht-OPEC-Staaten haben sich vergangene Woche auf die Aufstockung ihrer Fördermengen geeinigt. Demnach soll ab Mitte Juli pro Tag eine Million Barrel mehr Erdöl gefördert werden, um den weltweiten Bedarf an dem schwarzen Gold zu decken.
Die Experten rechnen jedoch damit, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Sie gehen davon aus, dass die OPEC-Mitglieder Venezuela und Iran ihren Beitrag nicht leisten können. Venezuela fehlen technische Erfordernisse, und das iranische Öl soll nach dem Willen des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump bald sanktioniert werden. Die US-Regierung verlangt einen weltweiten Import-Stopp für iranisches Öl bis November.
Kurz nach dem Beschluss der Ölförderländer zur Erhöhung ihrer Produktion hat Saudi-Arabien seine Bereitschaft zur weiteren Erhöhung der eigenen Erdölmenge angekündigt, und der Sicherheitsberater des Weißen Hauses, John Bolton, wird bald zur Vorbereitung des Treffens zwischen dem US-Präsidenten und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin nach Moskau reisen.
„Russland denkt nur an die eigenen Interessen“
Vor diesem Hintergrund schlagen Kritiker einer stärkeren Annäherung des Iran an Russland Alarm. Einer der bekanntesten unter ihnen ist der Parlamentarier Heshmatollah Falahat-Pisheh. Der Vorsitzende des Ausschusses für nationale Sicherheit und Außenpolitik warnt im Gespräch mit der iranischen Nachrichtenagentur ISNA: „Die Russen halten sich an die Regeln der Weltordnung. Wir ignorieren diese auf eine emotionale Art und Weise. Die Russen verfolgen ihre Interessen und positionieren sich dementsprechend neben anderen Ländern oder gegen sie. Sie fühlen sich deshalb keinem Land dauerhaft verpflichtet.“

Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (re.) mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin gehört zu den wenigen Staatsmännern, die Irans Revolutionsführer Ali Khamenei (re.) empfängt 

 
Falahat-Pisheh erinnert daran, dass der Iran „oft der interessensorientierten Politik der Russen zum Opfer gefallen“ sei. Dennoch habe Russland bei den Hardlinern der Islamischen Republik eine „heilige Stellung“. Wer Russlands Politik gegenüber dem Iran kritisiere, werde schikaniert: „Ich wurde mehrmals wegen meiner realistischen Stellungnahmen ausgegrenzt, angegriffen und bedroht“, so der Abgeordnete.
Falahat-Pisheh spricht im Interview mit ISNA auch die russische Rolle in Syrien an. Russland hat sich als Verteidiger des syrischen Regimes und Bekämpfer des Extremismus im Nahen Osten profiliert. Doch in Wahrheit habe Moskau mit der Beteiligung am syrischen Krieg eine führende Rolle in der Region einnehmen wollen, so der gemäßigte Politiker.
Er sei der Überzeugung, dass der Iran in seinen Beziehungen zu Russland in verschiedenen Bereichen, aber hauptsächlich im militärischen, strategische Fehler begangen habe, „die in Zukunft unseren Interessen und unserer nationalen Sicherheit schaden könnten“, moniert Falahat-Pisheh. Aktuelles Beispiel: Kürzlich ließ die russische Regierung verlauten, dass sie sich den Abzug aller ausländischen Staaten – auch des Iran – aus Syrien wünsche.
Der Iran ist neben Russland der wichtigste Unterstützer des Assad-Regimes.
Kritik am Revolutionsführer
Nach dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran schlug Ali Akbar Velayati, ehemals Außenminister der Islamischen Republik und heute außenpolitischer Berater des Revolutionsführers, einen Kurswechsel vor: weg von Europa, hin zu Russland und China. „Russland kann und will den Iran nicht unter Druck setzen“, versicherte Velayati in einem Interview: „Im Bereich Verteidigung arbeiten wir mit dem Land zusammen und haben mehr oder weniger alles bekommen, was wir wollten.“
Der Sieger Bashar Assad (li.) und sein Unterstützer, Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei - Foto aus dem Archiv
Bashar Assad (li.) gehört auch zu den auserwählten Staatsoberhäupter, die Khamenei besuchen dürfen!

 
Als Velayati wegen dieser Äußerung vom gemäßigten Lager um Präsident Rouhani kritisiert wurde, ließ sein Medienberater wissen: Die Aussage seines Chefs sei der außenpolitische Wunsch des Revolutionsführers und ein Vorschlag zur Rettung des Iran aus der zu erwartenden neuen Krise gewesen.
Im Januar hatte Revolutionsführer Khamenei in einer Rede klargestellt: „Das Bevorzugen des Ostens gegenüber dem Westen, das Bevorzugen von Nachbarn gegenüber Nichtnachbarn und das Bevorzugen von Völkern, die Gemeinsamkeiten mit uns aufweisen, gegenüber anderen, ist eine Priorität unserer heutigen Außenpolitik.“
Gemäßigte Politiker im Parlament und im Kabinett haben seitdem mehrfach darauf hingewiesen, dass die zu starke Neigung zu Russland den Iran immer mehr in eine Sackgasse treiben würde. „Während der Sanktionen vor dem Atomabkommen 2015 kompensierten Russland und andere Staaten aus der Region den fehlenden iranischen Anteil am Ölmarkt und verdienten so jährlich zwanzig Milliarden Dollar“, protestiert Falahat-Pisheh im Interview mit ISNA: „Mit dem Geld kann man im Iran mindestens zwei Millionen Arbeitsplätze im Jahr schaffen. Ich wiederhole: Das haben Länder gemacht, die in unserer Außenpolitik zu unseren Freunden zählen.“
Der Vorsitzende des Ausschusses für nationale Sicherheit und Außenpolitik im iranischen Parlament fordert eine Neudefinition der nationalen Interessen der IranerInnen: „Wir büßen für viele internationale Krisen, die nicht den geringsten Einfluss auf unsere nationale Sicherheit beziehungsweise unsere Interessen haben. Diese Krisen werden irgendwann aufhören. Aber die betroffenen Länder werden uns weiter als Feind einstufen.“
Heshmatollah Falahat-Pisheh plädiert für eine sachliche und interessenorientierte Alternative im Bereich Außenpolitik. Die heutige Welt sehne sich nach Entspannung, der Iran solle in diese Richtung mit den Nachbarländern und der Welt Kurs aufnehmen: „So kommt die Weltgemeinschaft auf uns zu. Andernfalls wird der Rest der Welt unsere Interessen wie eine Opfergabe unter sich aufteilen. Unsere Politik müssen wir basierend auf unseren Eigeninteressen und unabhängig von unzuverlässigen Partnern vorantreiben“, resümiert der gemäßigte Politiker mit Blick auf Russland.
SEPEHR LORESTANI
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani
© Iran Journal

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