Die Sanktionen und die iranische Revolutionsgarde

Aus der Schwäche wuchs ihre Macht

Nachdem sich diese nun Hauptarmee der Islamischen Republik sicherheits- und militärpolitisch als unentbehrliche Kraft etabliert hatte, tauchte sie allmählich auch überall in der Politik und Wirtschaft auf. Ihr Generäle ließen sich ins Parlament wählen und übernahmen staatliche Produktions- und Dienstleistungsbetriebe. Insbesondere nach dem Tod des Revolutionsführers Khomeini und der Einsetzung seines Nachfolgers Ali Khamenei entwickelte sich die Revolutionsgarde zum „rentier“ – zu einer Macht also, die von ihren eigenen Kapitalerträgen lebt (im Persischen wird dafür der Begriff „rant-khar” genutzt, die Aussprache von „kh“ ist wie „ch“ in „Buch“).

Die gewonnene politische Macht ermöglichte der Revolutionsgarde auch formal und rechtlich den Genuss größter wirtschaftlicher Privilegien. Der Begriff “Rentier Class” im Zusammenhang mit dieser Armee drückt aus, dass es sich um eine neue gesellschaftliche Klasse handelt, die ständig an Wohlstand gewinnt, ohne an dessen Schaffung beteiligt gewesen zu sein. Die “Rentiers” nutzen ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss, um legal oder illegal auf materielle Ressourcen zuzugreifen. Andererseits ermöglichen die wirtschaftlichen Privilegien der Revolutionsgarde, immer mehr Anhänger anzuziehen und das politische System zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Heute verfügt die Garde über 190.000 Soldatinnen und Soldaten, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen, die ebenfalls der Revolutionsgarde unterstellt sind. Die 1990 gegründete Quds-Brigade ist mit 5.000 Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt sie bei Auslandseinsätzen eine zentrale Rolle. Um ihre Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt die Quds-Armee vor allem auf Guerillataktiken.

Von der Politik zur Wirtschaft

Die wirtschaftlichen Aktivitäten der IRGC begannen, als die Kommandeure ihrer Brigaden vom Schlachtfeld des Irakkriegs (1980 – 1988) zurückkehrten. Sie verlangten Belohnung und sichere Lebensgrundlagen. Aber die bankrotte Wirtschaft des Landes bot damals kaum Möglichkeiten, einem größeren Teil der heimgekehrten Revolutionsgardisten besondere Privilegien anzubieten. Akbar Hashemi Rafsanjani, der nach dem Krieg iranischer Präsident war, wollte die politische Einmischung der heimgekehrten Truppen verhindern. Um sie zu beruhigen, bot er ihnen nicht nur großzügige Kredite, sondern auch größere Infrastrukturprojekte wie den Bau von Staudämmen, Autobahnen, U-Bahnlinien und Bewässerungsnetzwerken an – ohne Formalitäten wie Ausschreibungen.

So wurden aus den Gardisten Unternehmer, die sich fehlende Qualifikationen einkauften. Nach und nach durften sie auch Waren frei im-und exportieren. Sie bauten an den südlichen Ufern des Landes spezielle Kais und Häfen ohne jegliche Zollkontrollen. In der Öl- und Gasindustrie waren die IRGC absolut unerfahren. Diesen Mangel machten sie dadurch wett, dass sie das effiziente Privatunternehmen Kish Oriental übernahmen, das während der zweiten Amtszeit von Präsident Mohammad Khatami gegründet worden war, um mit Ausländern Joint Ventures zu betreiben.

Erdgasfeld “South Pars” ist das größte Projekt des Khatam-Al-Anbia-Holdings!
Erdgasfeld “South Pars” ist das größte Projekt des Khatam-Al-Anbia-Holdings!

Während der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad mussten sich die IRGC-Kommandeure überhaupt nicht mehr bemühen. Sie bekamen, was sie wollten, weil sie ihn in den Präsidentenpalast und viele seiner Anhänger in Gouvernorate und andere Institutionen geschickt hatten. Im ersten Jahr Ahmadinedschads, 2006, hatten die Revolutionsgarden 247 staatliche Projekte in der Hand. Im Juni 2006 bekamen sie einen Auftrag von 1,3 Milliarden US-Dollar für den Bau einer 900 Kilometer langen Pipeline vom Hafen Assaluyeh nach Bandar Abbas und von dort nach Iranshahr. Der Auftragswert für den Bau einer Pipeline zur pakistanischen Grenze, als Teil der so genannten Friedenspipelines nach Indien, wurde von der Tageszeitung Etemad vom 23. Mai 2012 auf 2,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Diese Friedenspipeline mit einer Länge von 2.700 Kilometern soll iranisches Gas über Pakistan nach Indien transportieren. Experten schätzten die Kosten des Projekts auf etwa 7 Milliarden US-Dollar, berichtete BBC-Persian im Mai 2009. Das gesamte Projekt wurde beim Khatam-Al-Anbia-Konzern der Revolutionsgarde in Auftrag gegeben.

Nichtregistrierte Organe 

Außer den bekannten Unternehmen verfügt die IRGC auch über Organisationen und Strukturen, die in keinem offiziellen Amt oder Dokument des Landes registriert sind, weil sie geheime staatliche Haushaltstitel erhalten. Gemäß Artikel 57 des Allgemeinen Rechnungslegungsgesetzes des Iran (Ghanoune mohasebate omoumi) erhalten unter anderem folgende Organisationen und Teilstrukturen der Revolutionsgarden Mittel aus staatlichen Budgets, ohne in den Haushaltsplänen oder anderswo namentlich aufgeführt zu sein: der gemeinsame Stab der Revolutionsgarde, das militärische Baqiyatallah-Hospital, der interne Geheimdienst der IRGC, die Basij und das Khatam-Al-Anbia-Camp IRGC.

Die Revolutionsgarden importieren und verkaufen, was sie wollen, ohne Zoll und Steuern. Vor zehn Jahren gab es 60 „unsichtbare“ Kais („invisible wharf“) in den südlichen Gewässern des Iran. Mittlerweile wird die Anzahl der illegalen Docks auf mindestens 70 geschätzt. Im August 2013 gab das iranische Wirtschaftsministerium unter Berufung auf Statistiken des Hauptquartiers zur Schmuggelbekämpfung bekannt, dass etwa 35 Prozent der Importe des Landes über illegale Märkte und Häfen erfolgten. Neben unsichtbaren Kais verfügt die IRGC auch über Flughäfen, die weit von Überwachung entfernt sind. Etwa der Flughafen Payam Karaj, der zu den vom Wirtschaftsministerium genannten “Häfen“ der Revolutionsgarde gehört. Payam Karaj war offiziell ein Postflughafen für Zwecke wie Güterverkehr, gewerbliche Transporte und Postgüter. Hier erfolgen auch Pilotenschulungsflüge. Seit September 1997 wird dieser Flughafen auch für touristische Zwecke genutzt. Dies soll den Anschein eines normalen Flughafens erwecken, was er in Wirklichkeit aber nicht ist.

Darüber hinaus baut die IRGC auch Waffen. 1983 beendete der Nationale Verteidigungsrat des Iran das militärische Monopol für die Herstellung und Reparatur von Waffen im Land und ermächtigte die IRGC, den Aufbau ihrer eigenen Militärindustrie zu starten. Heute produziert sie alle möglichen Waffen von Gewehren bis zu Langstreckenraketen. Daraus geht hervor, dass der Begriff Revolutionsgarde mehrere Institutionen und Funktionen zusammenfasst: militärische Streitkräfte innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen, ein ideologisch determiniertes Überwachungsinstrument, eine Geheimdienstorganisation ausgestattet mit Kommandotruppen und Gefängnissen sowie Wirtschafts- und Finanzunternehmen.

Machtzuwachs durch die Sanktionen

Fortsetzung auf Seite 3