Flucht in die Apokalypse

Damit widerspricht der Hisbollah-Chef offen und eindeutig seinem Mentor und Idol, dem iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei, der nicht nur die Hisbollah, sondern die gesamte „Achse“ alimentiert. Khamenei sieht sich weiterhin in der Offensive: Er sucht Eskalation, jedenfalls verbal. Am Vorabend des Al-Quds-Tags stellte das religiöse Oberhaupt des Iran auf seiner offiziellen Webseite ein Plakat online, das ein „freies“ Palästina darstellt und dabei den Nazi-Euphemismus „Endlösung“ bemüht.

Das Poster, das in Farsi, Arabisch und Englisch veröffentlicht wurde, trägt den Titel: „Palästina wird frei sein. Die Endlösung: Widerstand bis zum Referendum“. Darunter sieht man eine Zeichnung von Soldaten aus islamischen Ländern, wie sie palästinensische Flaggen und das Bild des von den USA getöteten iranischen Generals Soleimani schwenken. Im Vordergrund ist die Al-Aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg, im Hintergrund der Felsendom zu sehen. 

Programmierte Provokation

Das Wort „Endlösung“ ist kein Fauxpas, kein Zufall. Khameneis wichtigste außenpolitische Berater wie Ali Akbar Velayati oder Kamal Kharrazi sind Absolventen von US-Universitäten. Sie wissen, welche Emotionen das Wort im Zusammenhang mit Juden in der westlichen Öffentlichkeit auslöst. Auch Khamenei weiß das. Das ist eine programmierte Provokation. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, er warte und freue sich auf heftige Reaktionen aus dem Ausland.

Und er bekam sie sehr schnell. Unmittelbar nach der Provokation reagierten wie erwartet das Weiße Haus, US-Außenminister Mike Pompeo, der EU-Chefdiplomat Josep Borrell und natürlich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Und alle verurteilten Khameneis Wortwahl. Die kalkulierte Eskalation nahm ihren Lauf. Kurz nach der Veröffentlichung des „Endlösungsposters“ twitterte Benjamin Netanyahu, die „Endlösung“ gegen Israel umzusetzen, erinnere an die „Endlösung“ der Nazis zur Vernichtung des jüdischen Volkes. Sofort, als habe sie nur darauf gewartet, berichtete die Nachrichtenagentur Fars mit sichtbarer Freude über Netanyahus Reaktion. Fars ist das wichtigste Propagandaorgan der Revolutionsgarden. Die Garden selbst veröffentlichten eine eigene Israel-Erklärung, in der sie behaupteten, sie hätten Evidenzen für das baldige Verschwinden der „zionistischen Herrschaft im besetzten Palästina“.

Um zwölf Uhr des Al-Quds-Tags sendete das iranische Fernsehen dann Khameneis Ansprache zu Israel. Und hier ging der Religionsführer noch weiter: „Das zionistische Gebilde“ sei wie das Coronavirus, das die Menschheit befallen habe, erklärte er und rief die Welt zum Kampf gegen „dieses Gebilde“ auf. 

Am Quds-Tag 2020 in Baghdad
Am Quds-Tag 2020 in Baghdad

Khamenei oder Nasrallah, wer hat recht?

Warum aber diese eigenartige Provokation, warum diese Sprache, warum treibt Khamenei den Iran bewusst weiter in die internationale Isolation? Der Kampf gegen den israelischen Staat gehört zwar praktisch zur DNA der Islamischen Republik – ein Staat namens Israel existiert offiziell nicht -, doch Khameneis Verbalradikalismus gegen Israel ging in diesem Jahr weiter als üblich.

Das hat einen handfesten innenpolitischen Grund: Sein Regime befindet sich tatsächlich im „Tal von Abu Taleb“, um bei den Worten des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah zu bleiben. Die „Achse des Widerstands“, also die paramilitärischen schiitischen Gruppen, steht in der Tat unter massivem Druck: Im Libanon und in Syrien bombardiert Israel pro-iranische Gruppen – in aller Regelmäßigkeit und mit stillschweigender Zustimmung Russlands. Im Irak will der neue Ministerpräsident Mustafa Kadhimi die schiitischen Milizen entwaffnen. Und im kriegsgeplagten Jemen setzt sich das Elend fort, ohne große Frontveränderung.

Mutterland in der Sackgasse

Und der Iran, das Mutterland dieser „Achse“, befindet sich selbst in einer ausweglosen Situation. Es gibt keinen Außenhandel, der diesen Namen verdient. Die Sanktionen sind perfekt, Bankverbindungen zum Iran existieren nicht. Selbst die Grenze zum Nachbarland Irak ist derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Auch mit diesem Verbündeten findet kein Warenaustausch mehr statt.

Aus Angst davor, dass in dieser Sackgasse jemand vorschlagen könnte, mit den USA ins Gespräch zu kommen, schlägt Khamenei härtere Töne an. Wer behaupte, der Iran befände sich im Belagerungszustand, betreibe das Geschäft des Feindes, sagte er am vergangenen Montag in einer Videoansprache vor linientreuen Studenten. Khamenei ermunterte sie, jeden im Land zu bekämpfen, der sich traue, „Zweifel zu säen“ oder Verhandlungen mit Amerika zu fordern.

Die Islamische Republik war der einzige Staat weltweit, der gegen das deutsche Aktivitätsverbot für die Hisbollah protestiert hat. Selbst die libanesische Regierung, der zwei Hisbollah-Minister angehören, schwieg dazu. Die diffamierende und apokalyptische Sprache scheint für Khamenei das Mittel zur Verhinderung des Niedergangs zu sein. Funktioniert das?

© Iran Journal

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